ORCHID, FREE FALL, TROUBLED HORSE, WHITE DAZE, 17.05.2013, Universum, Stuttgart
Rob Zombie hat mal gesagt, dass jedes coole Riff schon mal bei Black Sabbath vorgekommen ist. Man könne es, so fährt er fort, vorwärts oder rückwärts, langsamer oder schneller spielen, aber jedes coole Riff hätten die Briten eben schon vorweggenommen. Der stilistische Stilmix der Bands, die heute im Universum auftreten lädt da quasi zur Probe aufs Exempel ein.
Der erste Proband ist White Daze, unsere lokalen Blues Rock-Heroen. Ihr Auftritt ist gewohnt souverän wie bei ihrem Platten-Release oder dem Auftritt mit Graveyard im Jahr davor.
Machen wir also den Test anhand von „Nine Times out of Ten“, dem Abschlussstück dieses Sets, das vom Publikum sehr gut aufgenommen wurde, obwohl die Band für einen Freitag etwas früh am Start ist. Den Aufruf von Robby, Veranstalter des Konzertes und White Daze-Label-Chef, für die Band pünktlich vor Ort zu sein, haben dann doch einige befolgt. Aber hier in Stuttgart hat sich auch schon rumgesprochen, was man von den Jungs erwarten kann. „Nine Times out of Ten“ stammt von deren bisher einzigem Tonträger „Preflight“. Gleich vorneweg kann man sagen, dass da noch mehr kommen wird, denn das Material für das Full length-Album wird demnächst aufgenommen, wie mir Frontmann Marc Bauer erklärt.
Heute beginnt die Nummer mit einer abgedrehten Piano-Improvisation von Marcs Bruder Nico, bevor dieser zu den eerie Organ-Sounds übergeht, welche den Song tragen. Das Stück beginnt etwas schleppend, steigert aber nach der ersten Strophe das Tempo. Nicht nur bietet es mit seiner griffigen Hookline Gelegenheit zum Mitsingen. Die Brüder fegen sich auch spannende und vor allem sehr schnelle Lead-Melodien zwischen Gitarre und Keys hin und her. Der Aufbau des Stücks besteht aus vielen Teilen, die sich beim ersten Mal gar nicht wirklich erfassen lassen. Seien es die Doors-mäßigen Hammond-Sounds gegen Ende oder die Rainbow-mäßigen Läufe am Schluss. Live zeigen sich die Musiker hier wie gegenüber allem bislang veröffentlichten Material noch um ein Wesentliches spielfreudiger und beschenken uns noch mit dem einen oder anderen Lick. Am Ende des Sets hat man den Eindruck, dass sich so mancher Musiker gegenüber dem, was White Daze hier so vormachen, nochmal in den Proberaum zurückziehen sollte, bevor er mithalten kann.
Was jetzt den Black Sabbath-Riff-Test angeht, muss ich feststellen: Einerseits spielen Riffs hier ohnehin eine untergeordnete Rolle, weil sie nur eingesetzt werden, wenn ein anderes Instrument im Vordergrund steht. Andererseits sind die Riffs anders als die Leads zwar zurückhaltend, aber deswegen in der Regel nicht weniger cool, ohne deswegen irgendwie nach Black Sabbath zu klingen. Fehlanzeige also.
Probieren wir es stattdessen mit den Schweden Troubled Horse als zweiten Probanden. Sie treten heute als würdiger Ersatz für die eigentlichen Headliner Witchcraft auf, die wegen gesundheitlicher Probleme von ihren Tour-Plänen zurücktreten mussten – oder jedenfalls teilweise, weil praktisch das ganze Line Up des Örebro-Fünfers aus aktuellen oder ehemaligen Witchcraft-Musikern besteht – mit Ausnahme des Sängers Martin Heppich. Die Jungs liefern wirklich ein Hammer-Set ab und bilden einen würdigen Ersatz für Witchcraft, auch wenn es wirklich Zeit wird, dass die mal wieder nach Stuttgart kommen!
Ein bisschen Witchcraft hört man freilich schon heraus, was daran liegt, dass John Hoyles, Ola Henriksson und dessen Bruder Jens beim Song Writing kräftig mitmischen, auch wenn John die Band unterdessen leider verlassen hat. Dementsprechend findet man hier auch eine Menge Pentagram-Einflüsse.
Hier nehmen wir mal zwei Songs in den Test: Ein eindrucksvoller neuer Song ist „I’ve Been Loosing“, den Martin mit den Worten ankündigt, er habe den Text dafür vor zehn Jahren geschrieben, als er dachte, er habe jetzt genug verloren, ohne freilich gewusst zu haben, dass er noch weit mehr verlieren würde. Zwei Sachen sind entscheidend anders als auf Platte: Einerseits müssen wir auf die abgedrehten Keyboards verzichten, andererseits ist dieses wie auch die anderen Stücke von der neuen Platte live wesentlich rockiger, weil der Sound um ein so Vielfaches voller, heavier ist und vor allem die Stimme wesentlich tiefer. Auch wenn hier immer mal wieder ein paar Kopfstimmentöne eingeflochten werden, ist Martin wesentlich kratziger, rockiger. Das tut der Sache gut und macht Druck nach vorne. So viel verlieren kann er heute freilich nicht, denn das Publikum ist echt begeistert. Troubled Horse wirken auch auf mich – ganz besonders bei einem mir nicht identifizierbaren Stück, in welchem Simon Solomon ein herrlich Jimi Hendrix-mäßiges Solo hinlegt, den Ball dann an den anderen Gitarristen weitergibt. Beide spielen äußerst kunstvoll, beide in völlig unterschiedlichem Stil, bei beiden sind es zarte, gefühlvolle Melodien. Dann steigert sich die Intensität der Rhythmusgruppe und wir bekommen noch ein volles Duett der Gitarren dazu.
Etwas Entscheidendes freilich haben Troubled Horse eingebüßt: Als ich sie vor einigen Jahren zum ersten Mal auf dem Roadburn sah, trat Martin noch in einem witzigen roten Hauskleid auf. Schade. Jetzt sehen wir ihn – noch etwas draller geworden – nur noch im schwarzen Hemd mit einer Art Polizeimütze und verstrubbeltem Bart.
Was jetzt den Black Sabbath-Riff-Test angeht, muss ich feststellen: Riffs spielen bei diesen rockigen Nummer eine sehr große Rolle, aber sie klingen bestenfalls gelegentlich nach Black Sabbath, am ehesten noch nach Pentagram, die ihrerseits sicherlich nicht gänzlich frei sind von Sabbath-Einflüssen, aber wie auch Troubled Horse durchaus in der Lage sind, sehr coole eigene Riffs zu schreiben. Weitgehend Fehlanzeige also.
Als dritter Proband treten Free Fall an, bei denen ich mir nicht ganz sicher bin, wie sie hier ins Bild passen sollen. Denn anders als bei den drei anderen Bands treten hier die bluesigen Einflüsse zu Gunsten von späten 70ern und 80ern deutlich in den Hintergrund. Und diesen Einflüssen sind sie bis in die Oberlippenbärte verwurzelt. Jetzt wird reiner Hard Rock gespielt, mal schneller, sodass das Publikum kräftig mitgeht, mal langsamer in klassischer Balladenmanier. Auch Free Fall sind aus Schweden. Und wie Witchcraft und Orchid sind sie bei Nuclear Blast, was sie vermutlich in dieses Package gebracht hat.
Der Raum ist inzwischen subtropisch warm und feucht. Kim Fransson schwitzt so viel, wie er seine rauchige hohe Rock Stimme erklingen lässt. Stücke wie „World Domination“ (Testsong I) zeigen wo’s lang geht. Und während die Hookline „I want world domination“ stetig wiederholt wird, singen viele mit, inklusive Martin Heppich, der sich ins Publikum gesellt hat. Manch einer spielt Luftgitarre, während oben auf der Bühne Jan Martens Basshals beim Spielen vor und zurück geschwenkt wird, als wären wir hier auf einem Scorpions-Konzert. Klar, dass Mattias Bärjeds Gitarre da auch mal wie ein Gewehr ins Publikum gehalten wird. Ein bisschen viel Klischee für meinen Geschmack, aber den Leuten gefällt’s, und es ist allemal besser als die ja durchaus hoch gelobten Kissin’ Dynamite aus Oberschwaben.
Als das beste Stück empfand ich eigentlich die Ballade „Attila“ (Testsong II). Hier finden sich innerhalb des Sets noch am ehesten ein paar von den melodiösen und rhythmischen musikalischen Trade Marks, die man heute hier erwartet. Ganz leise fängt es an, fast zart setzt er da seine Rockröhre ein, rauchig, die Gitarren sind ruhig, spielen auch mal eine etwas melancholischere Melodie, schließlich schwillt auch hier langsam die Rhythumsgruppe an. „But it’s over now“, singt er dann, während zugleich mehr Crunch in die Gitarren und in seine Stimme kommt. So steigert sich das Stück fortwährend, was gar nicht schlecht gemacht ist, einen aber seltsam unberührt lässt. Ist wohl einfach nicht meins. Sue Real dagegen fühlt sich von Free Fall angesprochen. Zwischen den 80er-mäßigen Soli kann man dann schon noch mal ein paar minimal bluesigere Elemente raus hören, die aber auch schnell wieder verschwunden sind.
Was jetzt den Black Sabbath-Riff-Test angeht, muss ich feststellen: Ich höre kein cooles Riff, weder eines das nach Sabbath klingt, noch sonst eins. Naja, ganz so schlimm ist es auch nicht. Dennoch: Fehlanzeige.
Last, but definitely not least stellen sich Orchid aus San Francisco dem Test. Als erstes muss gesagt werden, dass wirklich jeder hier drin die Band sehen will, denn es wird wirklich so voll vorne, dass Sue Real kaum noch eine Chance hat, seinen Job zu machen. Als zweites muss gesagt werden, dass hier mal wieder das Amerikanische-Profimusiker-Phänomen eintritt: Alles ist perfekt, der Sound, das Zusammenspiel, das Timing. Orchid ersetzen den dezenten DIY-Charm von Troubled Horse durch messerschafte Professionalität im Auftritt. Das hat viel für sich, könnte aber einer der zwei Aspekte sein, die bei mir am Ende doch ein etwas unbefriedigendes Gefühl zurück lassen, dass ich trotzdem nicht ganz erklären kann: Der Mob tobt nämlich, und auch ich finde den Okkult Rock mit der Hammer-Stimme richtig fett.
Der dicke Sound knallt gleich ziemlich rein, auch wenn die Akustik im Uni ja immer etwas fragwürdig ist, falls man zu weit hinten steht. Das Einzige, was bei mir, hier fast ganz vorne, noch stören kann, ist die menschliche Schallschutzwand: Nach dem ersten Song schreit einer „Lauter!“ und dann: „Wie früher!“ Gelächter. Doch schon setzt unser erster Testsong „Eyes Behind The Wall“ ein. Die Leute erkennen es schon am ersten Ton, sodass sofort Jubel einsetzt. Klar, der Song ist griffig, bleibt sofort im Ohr hängen. Er kann – wie auch so ziemlich jeder andere – als programmatisch herangezogen werden. Die erdigen Gitarren schleppen sich rhythmisch und heavy, sind angereichert mit netten kleinen Einfällen, mal ein gut gesetztes Vibrato, mal ein nettes Lick. Alles grooved. Breaks und Tempowechsel halten den Hörer gebannt. Und Theo Mindells hohe, warme Stimme liegt gepresst darüber. Dass sie hier nicht das Volumen gewinnen kann, das sie auf der Platte bekommt, weil dort jede Zeile mehrfach aufgezeichnet und parallel abgemischt ist, fällt nicht auf. Zu dicht ist das alles.
Das Stück dringt immer wieder aus dem Down- in den Uptempo-Bereich vor, die Gitarren-Leads von Mark Thomas Baker – heute ganz in schwarz – schrillen in hohen Lagen und schwanken zwischen ultra-langsamen und schnellen, psychedelischen Passagen. All das schiebt das Publikum an, das sich nicht lange bitten lässt. In den gesangfreien Momenten macht Theo – durch dessen offenes Lederhemd man ein seltsames Tattoo von einer Tierfratze mit einem Auge als Mund sieht – auch vor, wie das geht: Haare schütteln und dazu Luftgitarre oder noch häufiger -drums. Das schönste Riff hat dann natürlich „Eastern Woman“, der (Test-)Song, welcher die Band seit dem ersten Hören 2009 in mein Gehirn gebrannt hat – und nach dem Umstand zu urteilen, dass die Meute schon wiederholt nach dem Stück geschrien hat, geht das nicht nur mir so. Aber auch die Stimme ist einfach der Wahn. Könnte es geiler sein?
Was jetzt den Black Sabbath-Riff-Test angeht, muss ich feststellen: Nun ja, um ehrlich zu sein, es könnte geiler sein. Also geiler im Sinne von mehr Nummern wie „Eastern Woman“, Nummern mit eigenen coolen Riffs. Denn ansonsten gilt nun leider einmal, dass Orchid jedes coole Riff von Black Sabbath nehmen und es vorwärts oder rückwärts, langsamer oder schneller spielen und damit wahnsinnig cool klingen. Aber eben nur wegen der Mannen um Tony Iommi, der sich das alles schließlich teilweise schon vor vierzig Jahren mal ausgedacht hat. Und so perfekt und cool, wie das alles bei Orchid dann klingt, hinterlässt das eben doch einen schalen Geschmack.
Fazit also: Die coolsten Riffs haben zwar Black Sabbath, doch deswegen sind Orchid nicht weniger sehens- und hörenswert. Den überzeugendsten Auftritt aber hatten heute Troubled Horse.
Musiktheoretisch, der vielleicht beste Artikel, den ich (und nicht nur hier) gelesen habe. Vergleichende Musikanalyse vom Feinsten!