JA, PANIK + FARCE, 19.04.2024, Merlin, Stuttgart
JP Supеrnova bleibt die einzige Droga! Und Stuttgart auf Entzug: Ja, Panik waren ganz schön lang nicht mehr in Stuttgart. Zurück im Merlin, eine besondere Rückkehr: Vor 15 Jahren spielte die österreichische Band hier, beinahe eine Zeitreise. So viel ist passiert in der Zwischenzeit, jetzt sind Ja, Panik mit neuem Album „Don’t play with the rich kids“ auf Tour und überrollen heute mit einem irrsinnig tighten und druckvollen Set.
Die einzelnen Bandmitglieder jedoch fanden in letzter Zeit oft den Weg ins Merlin: Sänger Andreas Spechtl mehrmals solo, zuletzt im Oktober mit Band Die Türen, auch Gitarristin Laura Landergott als Teil der momentan stark angesagten Fuffifufzich oder Drummer Sebastian Janata mit Debutroman „Die Ambassadorin“ – das Merlin hat(te) sie alle. Heimathafen JP.
Das sensationelle Ja, Panik-Konzert vor zwei Jahren in Schorndorf ist noch in guter Erinnerung, die sonderbaren Pandemie-Jahre hat die Band mit ihrer vorigen Platte gut in Musik übersetzt: Dieses selftitled Album „Die Gruppe“ klang zurückgenommen, reduziert und eingekehrt, aber wunderschön – so federleicht flirrte der Sound durch den Raum, holte einen in jener Zeit voll ab. Buchstäblich eine „Pandemie-Platte“. Umso mehr kann man den heutigen Auftritt und das neue Album durchaus als Rückkehr zur Rockgruppe Ja, Panik verstehen.
Die kleine Merlin Bühne gleicht einer Materialschlacht, gezählt sechs Gitarren, Saxophon, E-Cello, Keyboard, Synth, Schellenkranz, Drums. „Heute ist ein schöner Tag, die Sonne scheint und wir machen blau“ als gesungene erste Worte, die Sonne soll uns im Verlauf des Abends noch mehrmals begegnen („Don’t play with the rich kids, they are always sun kissed“, „Every sun that shines“ sowie „The evening sun“). Sonnige Aussichten im dusteren Merlin. Die projizierten Visuals tauchen die gesamte Band, ganz in schwarz, in ganzer Bühnenbreite in ein dauerndes rauschendes Lichtspiel, sie wird eins mit der Projektion. Lässt das Ganze noch mehr als Gesamtperformance aus Visuals und Sound wirken. Beauty in black und weißes Licht.
Der enorm dichte Sound drückt mit einer Wucht von Beginn an und wirbelt wie die Platte groß auf. Eine Nebel- und Lärmwolke und fiese, gleißend helle Stroboskopblitze. Mit Ansagen wird gespart, die Songs sprechen jedoch klar für sich. Es sind fast nur Titel vom aktuellen Album, Ausreißer sind „On Livestream“, „Die Luft ist dünn“, „Alles hin, hin, hin“ oder „Libertatia“. Bei letzterem auch keine Ansagen notwendig, das glasklare Statement gegen Nationalismus, Solidarität mit Geflüchteten wurde selten schöner mit „Space is the place der die Flüchtigen liebt“ ausgedrückt. Freiheit und auch Utopien, irgendwie das Wesen der Band.
Titeltrack „Don’t Play with the rich kids, Mama made this boy“ schüttelt fieberhaft konsequent durch. Schuhe alt, Thoughts neu! Ja, Panik das Paradebeispiel für dieses harmonisch angewandte deutsch/englisch-Crossover, zahllose Beispiele, allen voran im beeindruckenden fast schon Manifest DMD KIU LIDT. (Leider heute nicht zu hören)
Daneben immer wieder Verweise an Örtlichkeiten: („lost in Berlin, lost in Vienna, lost in Mexico City“) bezeichnend für die kosmopolitische Gruppe Ja, Panik, vielleicht auch eine Anspielung an Spechtls Mitwirkung beim Theaterstück „algo pasó“ vor drei Jahren am Schauspiel Stuttgart. Burgenland international. Der hörbare Dialekt in der Sprache sagt straight from Burgenland, mit dem Kopf und der Kunst im ganzen Universum zuhause, das strahlt die Band zumindest aus, wie so vieles bei Ja, Panik verschwimmen auch hier die Grenzen. Gut so.
„Lost“ kommt sympathisch selbstreferenziell daher. („Ja, Panik topfit! (..) JP Supеrnova bleibt die einzige Droga“), fanfarenartig weckt es im Refrain ein bisserl Erinnerungen an Tocotronics „Let there be rock“, wenn man das nicht raushören mag, tun es die schweren verzerrten 90er-Gitarren und der K.O.O.K.-Sound. Andreas Spechtl vielleicht auch ein bisschen ein burgenländischer Dirk von Lowtzow. Beide charmant, von der Bedeutsamkeit deutschsprachiger Musik sicherlich ebenbürtig.
“Changes“ öffnet erneut den Blick für gegenwärtige Themen, die in dem Kontext passende David Bowie-Referenz stimmt hoffnungsvoll: „Ich glaub schon, dass man uns ändern kann / Ich du er sie they, yes we could be changed”, ein queer-positives Statement plus Glaube an Veränderungsbereitschaft der Menschen zum Guten hin. („Frag den Dude am Screen, ob seine Sprache wirklich wehtun will and ask the planets above how to define love“)
Da macht es nur Sinn, dass Ja, Panik als Toursupport Farce eingeladen haben, eine der aufstrebendsten Wiener Künstlerinnen. Es hebt nochmals die künstlerische Offenheit der Band hervor, als Instanz eines eigenen Pop-Biotop für spannende zeitgemäße Popmusik mit Musiker*innen wie eben Farce, die auch in Chören der aktuellen Ja, Panik-Platte zu hören ist. Kurzum: Ein wunderbares Pairing.
Für Farce aka Veronika König ist es ein Heimspiel, ursprünglich kommt sie aus dem Stuttgarter Raum und hat u.a. in hiesigen Punk- und Metal-Bands gespielt. Mit dem Umzug nach Wien begann ihr Soloprojekt. Kürzlich war sie noch mit dem ebenfalls hier ansässigen und groß gehypten Phänomen Edwin Rosen im ausverkauften LKA, wir kennen beide noch aus dem Komma.
Ihr unweigerlich tanzbarer experimenteller Sound, sophisticated queer Pop, manchmal ein bisschen sad. Dancing with tears in my eyes im besten Sinne. Farce’ hohe Stimme, gelegentlich verfremdet, legt sich sanft auf die Beats, die sie live steuert, moduliert und dazu Gitarre spielt. Das kurze Set besteht vor allem aus Songs ihres aktuellen Albums „Not to regress“. Ihre Stimme nutzt nicht sie nicht nur zum Singen: Von sexueller Belästigung in der U-Bahn handelt der nächste Song, kündigt sie „Subway Surfer“ an. („We go through this shit every night“) Farce steht durchaus für die vor allem aktuell so wichtigen fortschrittlichen Kräfte in der Popmusik. „Make abusers pay“, in Nieten auf ihrem als Gitarrenkoffer umfunktionierten Desk geschrieben, unterstreicht dies. Mit ihrem wunderschön umgesetzten „Kiss me“-Cover von Sixpence None the Richer endet ihr Auftritt, „ein Song, den ihr alle kennt“. Danke für den 90er-Flashback! Ihre Interpretation des Songs, Kategorie sehr gelungene Cover, das kann Farce eh gut: Neben „Hotline bling“ überzeugt auch ihre Version von Überhit „Enjoy the Silence“ gemeinsam mit Soap & Skin (!).
Ja, Panik knüpfen da mit Pop-Referenzen weiter an. Im Lichtermeer schwirrt noch der „Kung Fu Fighter“ als Projektion über die Bühne. Mal sehen, ob Kung Fu Fighting (oh-ho-ho-ho), das Carl Douglas-Pop Zitat, morgen an selber Stelle weitergesponnen wird, wenn Erdmöbel-Sänger Markus Berges hier liest und singt, mit gleicher Referenz in deren Song und Platte „Kung Fu Fighting“. Ein schöner Zufall im kleinen Merlin-Pop-Kosmos.
Mit dem 12-Minuten Koloss „Ushuaia“ (= südlichste Stadt Argentiniens) endet das gut einstündige Set, es ist zugleich der Schlusstrack des Albums. Zur letzten Zugabe „The evening sun“ wird es zum ersten Mal nahezu andächtig und versöhnlich, der oft nicht enden wollende (und auch nicht sollende) finale Publikumschor, hallt noch lang im Raum nach. Bombastisch, wie Support Act Farce die Show vorab treffend beschreibt.