JOE SCHOLES, 16.02.2024, Merlin, Stuttgart
Für die Veranstaltung am vergangenen Freitag war Gig-Blog-Schreiber und InDieWohnzimmer-Organisator Holger Vogt ein gewisses Wagnis eingegangen: Ein Liederabend über die Ska-Band The Specials – wieviel Interesse würde das wohl in Stuttgart hervorrufen? Immerhin hatte er mit Joe Scholes einen Musiker eingeladen, der die deutsche Ska-Szene deutlich mitgeprägt hat: Zunächst als Frontmann der Band The Braces, später dann auch mit Soloalben oder als Mit-Organisator des Kölner Festivals „Freedom Sounds“ ist er seit den 1980er Jahren in verschiedensten Rollen in Erscheinung getreten.
Das aktuelle Programm von Scholes „Terry, The Specials and me“ lockte dann tatsächlich viel Publikum in das Café des Kulturzentrums Merlin. Fast war es wie ein Frühjahrserwachen der Stuttgarter Ska-Szene: So konnte ich unter anderem Musiker und Musikerinnen von den lokalen Ska-Heroen wie No Sports, den Nite Steadies oder Dreadskin Kickbox unter den Zuschauern ausmachen. Auch sonst war der Zuspruch riesig: Schon weit vor Beginn waren die Sitzplätze besetzt, sodass ein großer Teil der rund 80 Gäste stehen müsste.
Die Bühne für Joe Scholes war also bereitet und dieser eröffnete den Abend unter Zuhilfenahme seiner Gitarre gleich mit einem echten Klassiker: „Rudy A Message To You“, bereits 1967 erstmals veröffentlicht, aber erst durch die Cover-Version der Specials 13 Jahre später in die englischen Top 10 gekommen, sorgte für einen gelungenen Auftakt. Da wurde sofort lautstark mitgesungen und Scholes hatte sein Publikum von Anfang an in der Hand.
Nun ging es an den autobiographischen Teil des Abends und gemeinsam reiste man zurück ins Jahr 1980 nach Krefeld: Der 13-jährige Joachim Uerschels wurde damals von seinem Bruder ins Wohnzimmer gerufen, um sich eine Ausgabe der Sendung „Musikladen“ anzusehen: „Da zuckten dann eine Gruppe von Männern in Anzügen über unseren Bildschirm“, berichtete Scholes: Die legendären „Madness“, die mit den „Specials“ damals die Speerspitze der britischen Two-Tone-Ska-Bewegung bildeten. Das sei schon gut gewesen, erinnerte der Musiker sich zurück. Als dann später in der Sendung auch ebenjene Specials auftraten, sei es um ihn geschehen gewesen.
Zum Geburtstag im nächsten Mai habe er dann vom eben erwähnten Bruder das Album „Specials“ bekommen. Die LP zog er sogleich aus seinen Devotionalen und zeigte dem Stuttgarter Publikum stolz das „durchgenudelte“ Album. Scholes fuhr fort, erzählte davon, wie er sich mit anderen Ska-Fans an der Schule vernetzte. Ein wunderschönes Mädchen, mit dem er abhing, sei mit 16 zwei Jahre älter gewesen und hätte somit auch abends schon auf entsprechende Veranstaltungen gehen können. An einem Abend, an dem er wieder nicht mit konnte, schenkte sie ihm zum Trost die Single „Rat Race“, die er natürlich auch zugleich vorzeigte und daraufhin den Song intonierte.
Fortan war das Leben des Teenagers mit der Band verknüpft, wie er anschaulich erzählte: Vom Sprachkurs in London, den er nutzte, um in die dortige Szene einzutauschen und von dem er unter anderem ein heute gesuchtes Songbook mit den Akkorden zu allen Songs der Specials mitbrachte. Vom zweiten Album „More Specials“, auf dem die Band sich noch abwechslungsreicher, aber auch mit komplexeren Songstrukturen präsentierte. Und dem anschließenden großen Knall: Mastermind und Keyboarder Jerry Dahmers, der insbesondere am Anfang der Hauptsong-Schreiber der „Specials“ war, löste Differenzen über den weiteren musikalischen Weg der Band aus. Dammers startete das Nachfolgeprojekt „The Special AKA“, Terry Hall gründete mit seinen Specials-Kollegen Neville Staples und Lynval Golding das Trio „Fun Boy Three“.
Und prompt kam es 1983 dann zur ersten Beinahe-Begegnung zwischen dem jungen Joachim und seinem Idol Terry Hall: In den Sartory-Sälen in Köln spielten „Fun Boy Three“ bei der Rockpalast-Nacht. Scholes spielte er einen kurzen Ausschnitt aus der Aufnahme ein: Im Publikum lief jemand laut nach den „Specials“. Scholes grinsend: „Ich war es leider nicht selber, aber ich behaupte einfach, das war jemand aus meiner Gang.“
Allgemein zeigte er sich bei dem Abend im Merlin als bester Entertainer: Als Solokünstler mit Gitarre war er natürlich eingeschränkt und musste die teils komplexen Specials-Songs vereinfacht mit rhythmischer Begleitung darbieten. Offen gestand er beispielsweise während eines Songs ein „Hier wäre jetzt ein tolles Gitarrensolo gewesen“ und fuhr dann mit der nächsten Strophe fort.
Ob „Hey Little Rich Girl” oder “Do Nothing” – Scholes drückte den für die Gitarrenbegleitung umarrangierten Songs seinen eigenen Stempel auf und trug diese mit einem nahezu akzentfreiem Englisch vor. Zahlreiche Anekdoten präsentierte er, spielte auch eigene Songs aus der Braces-Ära oder von seinen Solo-Ausflügen. Ein Highlight bei einem seiner Soloalben war eindeutig eine Rezension, in der er als „deutscher Terry Hall“ bezeichnet wurde. Und so zog sich der Bezug zu Hall weiter durch Scholes Leben und den Abend. Natürlich berichtete er von der Specials-Reunion in den Jahren 2009 bis 2011 (ohne Jerry Dahmers) und wie er unter anderem nach London für ein Konzert reiste, um die Gruppe „als eine Art eigene Coverband zu sehen“.
Zum Treffen mit Hall kam es natürlich wieder nicht. Scholes kollaborierte aber stets mit anderen Musikern, nahm beispielsweise mit Musikern von mehreren Kontinenten den Song „Jam In Amsterdam“ auf. In Stuttgart stieß dann passend zu dem Lied mit Peter Beutel von The Birdbags noch ein lokaler Akteur auf die Bühne und unterstützte hier und bei zwei weiteren Songs gelungen an der Posaune.
Zum Jahreswechsel 2018/19 brachten die Specials nach fast vier Jahrzehnten noch ein Album mit neuem Material raus und für Scholes ergab sich die Gelegenheit, für die Zeitschrift „Riddim“ ein halbstündiges Telefoninterview mit Hall führen zu können. Sehr warmherzig und angenehm sei der Sänger gewesen. Klar, dass den Anwesenden im Merlin auch ein entsprechender Interview- Ausschnitt präsentiert werden musste.
Leider kam es tatsächlich nie zu einem persönlichen Treffen zwischen Scholes und Terry Hall, der im Dezmber 2022 den Folgen einer Krebserkrankung erlag. Umso wichtiger, und das merkte man deutlich, war Scholes das Programm als Tribut an sein Idol und die lebenslange Liebe zur Ska-Musik.
In der Zugabe gab es dann mit „My Girl“ auch noch eine Verbeugung vor den anderen international erfolgreichen britischen Ska-Monstern Madness. Und mit „We Have All The Time In The World“ fand das Programm seinen runden Abschluss. Das reichte dem Stuttgarter Publikum allerdings nicht aus. Trotz Verbeugung wurde frenetisch eine weitere Zugabe eingefordert.
Spontan gab Scholes den Braces-Klassiker „Playing Darts“ zum Besten. Ebenso spontan setzten die vor mir sitzenden Musiker von No Sports mit ein und lieferten lautstark die Backing Vocals. (Was sicher kein Problem war, da sie mit Joe Scholes und anderen Ska-Sängern von Bands wie Skaos oder Mothers Pride letztes Jahr beim legendären „This is Ska“-Festival eine entsprechende Deutsch-Ska-Revue musikalisch als „Skandal Allstars“ umrahmten. Vielleicht kommt da ja auch mal eine ähnliche Show in Stuttgart zustande?)
Nach dem Konzert ging es dann direkt weiter mit der Musik: Gastgeber Holger und DJ Whirlypop legten feinstes Ska-Gold vom legendären Trojan-Label aus Jamaika bis hin zu Madness und natürlich No Sports auf. Und schlussendlich fand sich mit der Genehmigung von Joe Scholes dann auch seine „heilige Reliquie“, die „Rat Race“-Single von dem Ska-Girl aus Krefeld, auf dem Plattenteller wieder. Sicher hatte sie damals nicht daran gedacht, dass die kleine Scheibe, die sie dem zwei Jahre jüngeren „Joe“ zum Trost schenkte, 44 Jahre später auf einem DJ-Pult in Stuttgart landen würde. Aber das sind eben die Geschichten, die das Leben mit den Specials so schreibt..
Lieber Florian, vielen Dank für Deinen tollen Artikel und auch an X-tof Hoyer für die schicken Fotos. Ich bin erstaunt, wie viel von meinem Gerede hängen geblieben ist. Und ich bin beeindruckt davon, mit welchem Elan und Engagement Du den Artikel geschrieben hast (das gilt auch für die anderen Artikel und AutorInnen auf gig-blog.net, ich habe ein wenig quer gelesen). Ein Teil von mir denkt gerade: „Oh, wenn Leute das hier lesen, kennen sie den Inhalt meines Terry Hall-Sets so gut, dass ich sie nicht mehr werde überraschen können.“ Auf der anderen Seite wird mir der Artikel möglicherweise dabei helfen, Veranstaltenden im Vorhinein zu erklären, was die Idee hinter dem Ganzen ist. Und wenn alles super läuft, kriege ich es hoffentlich irgendwann auch vermittelt, dass diese Geschichte zwar persönlich ist, aber auch und vor allem exemplarisch. Ein Beispiel dafür, wie Musk/Kultur Menschen für ihr Leben prägt. Das Programm sollte im besten Fall auch Menschen erreichen, die nicht viel mit 2Tone am Hut haben. Eine Ergänzung habe ich noch: Die (ehrenamtlichen und unfassbar engagierten) Organisatoren des Freedom Sounds Festivals sind Peter Clemm, Sven Trapp und Uli Grobusch. Ich bin lediglich im Helferteam.