DAGOBERT, 14.05.2013, Goldmark’s, Stuttgart
Dagobert – Schnulzensänger aus den Bergen
Jetzt habe ich den Kopf so voll mit Feuilleton-Artikeln, mit der Expertendiskussion vor und nach dem Konzert über die Dagobert-Legende und deren Rezeption, mit der Authentizitätsdebatte, mit dem Hype über das Hipster-Schlager-Phänomen, dass sich mir die Frage stellt: Bitte wie soll ich da unbefangen über das Konzert schreiben? Da hatte es mir Rummelsnuff am vergangenen Freitag schon deutlich leichter gemacht.
Halten wir uns an die Fakten: Etwa 100 Leute im Alter von 30 bis 50 wollen Dagobert im Goldmarks sehen. Er steigt in den Abend ein mit dem SM-Verstörer
Ich lass das mit dem Zarten, ich hol Dich mit Gewalt
Der Schweizer trägt dazu einen mattglänzenden Lederanzug. Die Musik steuert er von einem daumengroßen mp3-Player. Halbplayback. Allein. Was folgt, ist ein wunderlich-schönes, cool-romantisches Kitsch-Kunst-Konzert. Dagobert singt selbstverfasste Schnulzen, die er für verflossene oder nie gewordenen Lieben schreibt. So die Legende. Ich würde es Elektro-Chansons nennen.
Trostlos, alleine,
So dass ich sing wie Klaus Meine
Er liebt die Scorpions und die Flippers. So die Legende. Diese Legende wird in einem unterhaltsam-seltsamen Portrait via Youtube verbreitet. Er habe in einem Probenkeller einer Metal-Band gelebt, einen Musikpreis gewonnen und das Geld in Berlin verprasst, dann lebte er abgeschieden fünf Jahren in den Bergen in Panix, um danach mitohne Geld seine ersten Auftritte in Berlin zu feiern. Diese Story wird derzeit in den Feuilletons der SZ, Jetzt, SPON, DerFreitag, Tagesspiegel usw. rauf und runter nachgeschrieben.
Stuttgart, habt Ihr auch so viel Spaß wie ich?
Dabei lächelt er nicht. Dann der Tremolo-Walzer „Hast Du Auch So Viel Spaß“.
Ich gebe mal den Stefan Niggemeier (Bildblog) für den Feuilleton: Liebe Kulturjournalisten. Dagoberts Geschichte ist hübsch, sie lässt sich trefflich nacherzählen. Dazu noch der ernsthafte Kitsch, angenehm ironiefrei und irgendwie authentisch, das scheint der neue Trend der Zehnerjahre zu werden. Mich irritiert allerdings, dass alle Eure Artikel diese Geschichte [weitestgehend] unreflektiert widergeben. Das muss wohl heißen: Ist die Geschichte gut genug, sind die kulturkritischen Geister eingelullt und hinterfragen nicht mehr die Mechanik der PR? Da gibt sich Dagobert so viel Mühe mit der Chiffrierung seiner Person und seiner Vita und keiner macht sich die Mühe, sie zu entschlüsseln? Vielleicht ist aber auch alles echt und es gibt nichts zu entdecken, kann ja auch sein. Aber wo bleibt denn der journalistische Ehrgeiz?
Das alles tut jedenfalls der Schönheit der vorgetragenen Romantik keinen Abbruch. Man darf sich geistig zurücklehnen und genießen. Die blondierte Perlohrringträgerin vor mir knutscht mit ihrem Freund jedenfalls lauter als die PA, während ich direkt dahinter ober-uncool Notizen mache. Cooler dagegen ist SPEX in Coop mit Dagoberts Label Buback, die unter der Überschrift „Dear Dagobert“ Coverversionen online stellen. Eine wirklich besonders intensive Interpretation des Songs „Hast Du Auch So Viel Spaß“ kommt von Sizarr.
Zwischenzeitlich sing Dagobert seinen flippers-artigen Song mit echten Elektro-TomToms. Der Song hat es nicht aufs Album geschafft. Dabei fällt mir der sagenumwobene Satz der Mutter eines Freundes ein, die einen der drei Flippers besonders toll fand und vor Jahren aufs Konzert ging. Auf die Frage, ob sie eben jenen nach dem Konzert ansprechen wolle, bemerkte sie sehr treffend und sehr schwäbisch: Der hoat a Frau OND a Freindin, do stell i mi doch ned da noa!
Zum Abschluss schmettert Dagobert seinen derzeitigen Hit „Ich Bin Zu Jung“. Der Saal sing gefühlt geschlossen mit. Über die Zugabe wird mit dem Publikum diskutiert, zuerst „Für Immer Blau“, dann zum Ende „Hochzeit“:
Du bist viel zu schön, um auszusterben
Lass deine Kinder deine Schönheit erben
Es muss weitergehn mit Menschen so wie du und so wie wir
Ich will ein Kind von dir
Ein wirklich schönes und angenehm ernstes Kitsch-Konzert!
Ich würde seine Musik gerne mal burt-bacharach-artig orchestriert erleben dürfen. Doch halt: Herzschmerzfrüherkenner Uwe Schenk hatte Dagobert schon lang vorm Hype im Januar 2012 in seiner TV-Povera-Show „Uwe Schenk trifft“. Weise hatte Uwe Streicher geladen, Respekt! Hier anschauen.
Im anschließenden Interview (hier auf der Uwe-Schenk-Facebook-Seite) erzählte Dagobert u.a., dass er bald in einem Klaus-Lemke-Film sich selbst spielen wird. Allerdings mit der Fähigkeit, per Gedankenübertragung Frauen den Orgasmus ihres Lebens verpassen zu können. Immer in der Rolle bleiben, lieber Dagobert!