VOODOO BEACH, THIER, 28.02.2024, Merlin, Stuttgart

Obwohl die Berliner Band Voodoo Beach nun schon einige Jahre existiert, hat sie, nach Umbesetzungen und der 2019 erschienenen EP „Ozean“, nun im letzten Jahr ihr lang erwartetes Debütalbum „Wonderful Life“ veröffentlicht, welches mit durchweg guten Kritiken rezipiert wurde.
Seit 2020 spielt die Band in der heutigen Besetzung, bestehend aus der Rhythmusfraktion Josephine Olek am Schlagzeug und dem Bassisten John-H. Karsten und der zuletzt dazugekommenen Gitarristin/Sängerin Heike Marie Rädeker. Nach ihrem Einstieg wurden neue Songs geschrieben und altes Material neu arrangiert. Voodoo Beachs Sound ist eindeutig dem Postpunk zuzuordnen, mit Ausflügen in den Noise Rock.

Als Support ist heute Abend die Tübinger Band Thier am Start, die ihren Sound als „Instrumanimal Kraut Hop“ bezeichnet; ich bin Dank dieser Genre-Neuschöpfung mehr als gespannt!
Schon die visuelle Erscheinung der Band ist ungewöhnlich, irgendwo zwischen Avantgarde, Mönch und Kendo-Kämpfer im langen Rock, der sein Bambusschwert „Shinai“ präzise zu führen weiß. Doch was im Dōjō ein konzentrierter, ritueller Kampf ist, ist hier ein Kampf um die Möglichkeiten der Musik und deren Auslotung. Dies alles erfolgt mit großer Präzision, die aber trotzdem Raum für Improvisation lässt.
Thiers Gig beginnt mit einem kakophonen Gewitter, das sich langsam strukturiert, rhythmisiert, um dann von der jazzigen Trompete Thiero Wetzels getragen zu werden. Dies kumuliert in einem Ausbruch purer Energie, die dann aber wieder von der großartigen Rhythmusgruppe, Julian Sautthier am Bass und Robin Thierer am Schlagzeug, aber auch dem sehr tight spielenden Gitarristen Paul Richtthier, wieder in Form gebracht wird. Die Bühnenperformance besticht durch ihre unglaubliche körperliche Präsenz von Wetzel. Er scheint geradezu in Ekstase zu geraten, in Trance und wird Eins mit der Musik. Auch als Zuschauer kann man sich dem nicht entziehen.

Im weiteren Verlauf fließen in den Gesamtsound – der sich nur sehr schwer beschreiben lässt – ihn als eine Mischung aus Jazz, Krautrock und Postpunk zu kategorisieren wird ihm definitiv nicht gerecht – orientalische Klänge ein, die durch mehrere Effektgeräte modifiziert werden, um dann eine akustische Fusion zu bilden. Dies ist herausfordernd, öffnet musikalische Horizonte und bleibt trotzdem treibend.
Gegen Ende des instrumentalen Konzerts kommt dann noch die Stimme von Thiero Wetzel zum Einsatz. Sein gutturaler Gesang wird geloopt und mündet in einen markerschütternden, alles durchdringenden, langgezogenen Schrei; um danach in wilde, exzessive Trompetentöne überzugehen.
Hier wird Musikperformance im wahrsten Sinne zelebriert. Nach 45 Minuten geht eine extrem intensive Musikdarbietung zu Ende. Ich bin schwer beeindruckt!

Nach circa 15 Minuten kommen dann Voodoo Beach auf die Bühne. Deren Set beginnt mit sphärischer Gitarre und entsprechenden, metallischen Klängen, die Josephine Olek den Becken ihres Schlagzeugs, sensibel entlockt, um wenig später von einem tiefen Rhythmus aus John-H. Karstens Bass eingerahmt zu werden. Der lakonisch vorgetragene, narrative Gesang von Heike Marie Rädeker fügt sich perfekt in das klangliche Gesamtbild ein.
Es ist ein Sound, der einen an den Film Noir denken lässt, ja, der perfekte Soundtrack für eine Wiederbelebung dieses Filmgenres wäre. Musik, die schon synästhetisch wahrnehmbar ist, Musik in Schwarz-Weiß.

Es sind Tracks, die von urbaner Kälte erzählen. Bilder nächtlicher, einsamer Straßen der Großstadt werden evoziert. Trotzdem ist es kein hoffnungsloser Sound und wie die Band dann selbst sagt:
Es sind harte Zeiten, aber man muss sich auch fallen lassen, den Moment genießen, wie heute Abend.
Der Titelsong des Debütalbums, „Wonderful Life“, der sehr hypnotisch ist, zeigt mit seiner dunklen Stimmung, welche den Titel konterkariert, ebendiese Widersprüchlichkeit perfekt auf. Dieses Hypnotische, Durchdringende und gleichzeitig Treibende der Musik ist charakteristisch für Voodoo Beachs Sound. Und hier zeigt sich auch die tiefe Verwurzelung im Postpunk. Ein Sound, der trotz der Düsternis, das Publikum im Merlin zum Tanzen bewegt und glücklich blickende Gesichter erzeugt.

Als Zugabe gibt es den Hit „Overload“ der Girl Band Sugababes. Hier wird der leichte, positiv gestimmte Pop ins Dunkle überführt, was in der dadurch entstehenden Ambivalenz, grandios funktioniert. Das ist wirklich sehr geil!
Man erfährt Musik, die unsere Zeit in ihrer Tiefe auslotet, die uns in der (Post-)Moderne begleitet und ungeachtet der dunklen Stimmung, nicht in der Dystopie zurücklässt; Musik, die die Ambiguität unserer Gegenwart aufzeigt.
Thier … beste Band aus dem Stuttgarter (Groß)Raum.