COLOGNE POPFEST, 19. + 20.04.2024, Gebäude 9, Köln

COLOGNE POPFEST, 19. + 20.04.2024, Gebäude 9, Köln | Foto: Rosita Spinassa
My Life Story – Foto: Rosita Spinassa

Unsere staatlich geprüften Britpop-Korrespondentinnen Madame Psychosis und Ms. Janglemaier berichten vom Cologne Popfest, das am 19. und 20. April 2024 zum dritten Mal in Köln stattfand. Wir beginnen mit dem Rückblick auf Tag 1, verfasst von Madame Psychosis.

Mon dieu, soll es dieses Wochenende wirklich null Grad geben? Immerhin gestaltet sich die Outfitauswahl fürs Cologne Popfest dadurch etwas unkomplizierter. Parka und Stiefel it is. Ungefähr sieben Mal macht das Wetter auf der Hinfahrt gen Köln alle Jahreszeiten durch (Sonne, Eisregen, Sturm, Regenbogen). Auf unserer ersten Station in Köln-Deutz treffen wir auf tiefenentspannte Locals. Man darf einfach so die Hofeinfahrt blockieren und umständlich Zeugs ausladen, ohne böse Blicke zu ernten? Diese Rheinländer*innen sind uns zivilisatorisch einfach meilenweit überlegen.

COLOGNE POPFEST, 19. + 20.04.2024, Gebäude 9, Köln | Foto: Madame Psychosis
Foto: Madame Psychosis

Nach einer kurzen Verschnaufpause im Hotel machen wir uns auf zum nur wenige Gehminuten entfernten Gebäude 9. Wir biegen ab in einen Hinterhof und balancieren geschickt über eine Planke, die eine riesige Eiswasserpfütze überbrückt. Am mit Wimpeln geschmückten Raucher*innenzelt vorbei geht’s hinein in den verheißungsvollen Indie-Tempel. Die wundervolle Popfest-Mitveranstalterin S. (im tollen Glitzerkleid) lässt es sich nicht nehmen, uns aufs Allerherzlichste zu begrüßen, um dann geschäftig weiterzuwuseln.

Uns erscheint hier alles bis ins kleinste Detail perfekt organisiert. Einlass, Türsteher, Garderobe, Bar, die handgemachte Deko und natürlich der liebevoll bestückte Merchstand zeugen von viel Vorarbeit und Professionalität. Es ist einfach an alles gedacht und auch die örtliche Indiecrowd glänzt durch vollzählige Anwesenheit. Der etwa 450 Personen fassende Veranstaltungsort ist an beiden Tagen ausverkauft und man kann sich schön durchs Gedränge im schlauchförmigen Saal schieben lassen. Witzig, obwohl alle Anwesenden ein bisschen aussehen wie Klone von einem selbst, kenne ich (fast) niemanden.

Was mir auch sehr gut gefällt ist, dass der Zeitplan ziemlich akkurat eingehalten wird. Ein Nachteil dessen ist allerdings, dass wir die erste Band Die Zärtlichkeit (Kleine Untergrund Schallplatten/Tapete) aus Köln leider komplett verpassen. Die Hörprobe in der Popfest-Playlist ergibt, auf den Spuren der Smiths unterwegs, aber mit deutschen Texten. Klingt nach einer sehr passenden Festival-Einstimmung.

COLOGNE POPFEST, 19. + 20.04.2024, Gebäude 9, Köln | Foto: Madame Psychosis
Foto: Madame Psychosis

Die Bühne schmückt ein Popfest-Wimpel-Backdrop und allerliebste Unterwasser-Doodles. Als wir eintreffen, haben Ta Toy Boy aus Thessaloniki, Griechenland gerade angefangen zu spielen. Deren Sänger George Begas erinnert mich optisch an einen (mittel-)jungen Terry Hall. Beeinflusst von Sarah und Creation Records sei die Band, entnehme ich dem Internet. Offenlegung: Ich bin Expertin für keines der beiden Labels, mir gefällt aber auf jeden Fall, was ich höre. Auch hier sind die Smiths eindeutig ein überragender Einfluss, aber mit zeitgemäßem Sound und viel Hitpotenzial. „If You Know How“ finde ich besonders schön. Der Sound kommt mir leider etwas dumpf vor, vielleicht ist es aber auch nur mein übermüdetes Freitagabend-Hirn. Das Stück „Dark Fantasy“ klingt verdächtig nach „Please Please Please“ der Shout Out Louds, foreshadowed damit also den Headliner des Abends. Nicht falsch verstehen, fand ich trotzdem ein sehr gutes Lied. Die Gruppe würde ich mir auf jeden Fall nochmal anschauen, gerne auch irgendwo draußen bei zwanzig Grad plus und mit Strandbar-Ambiente.

Nach einer kurzen Umbaupause betreten schließlich die Shout Out Louds als mit Spannung erwarteter Hauptact die Bühne. Die Band aus Schweden hatte ihre große Zeit Mitte der Nullerjahre im Zuge des Albums „Howl Howl Gaff Gaff“ (2005). Ich muss gestehen, dass das Album damals weitgehend an mir vorbeigegangen ist. Abgesehen von obengenanntem Hit sind mir keine weiteren Songs der Gruppe bekannt. Heute spielt die Band mit Ansage chronologisch das gesamte Album. Perfekt, dann kann ich das endlich nacharbeiten. Das erklärt allerdings auch, wieso das mir bekannte Stück relativ früh im Set kommt, nämlich im ersten Drittel. Mich irritiert das ein bisschen, da es dramaturgisch irgendwie nicht so ganz passt und aus meiner Sicht an dieser Stelle seltsam unter Wert verkauft wirkt. Der Begeisterung des Publikums tut das keinen Abbruch, die Shout Out Louds werden herzlich und begeistert abgefeiert. „Are there any smokers here? Do you have lighters?“ heißt es an anderer Stelle vor einem ziemlich ruhigen Stück, das von einem entsprechend andächtigen Lichtermeer begleitet werden soll. Rührend, das weiß der schon, dass man das heute mit Handy-Taschenlampen macht?

Sowieso wirkt manches an diesem Auftritt seltsam aus der Zeit gefallen. Party like it’s 2005. Oder 1995? Ich freue mich, wie gut der Popfest-Auftakt bei den Leuten ankommt, bleibe aber von den Shout Out Louds seltsam unberührt.

Nach dem Konzert treffen wir dann noch zwei bekannte Stuttgarter Gesichter, Wohnzimmerkonzert-Queen C. und ihre liebe Begleitung V., die morgen allerdings zu The Jesus and Mary Chain nach Heidelberg weiterreisen.

Fazit Tag 1: Ta Toy Boy sind für mich eine persönliche Neuentdeckung, von der ich auf jeden Fall mehr hören möchte. Vielen Dank dafür! Ich freue mich sehr auf morgen mit einem Line-Up das (fast) nur aus Lieblingsbands besteht. Ms. Janglemaier, übernehmen Sie!

Tag 2

Blueboy

COLOGNE POPFEST, 19. + 20.04.2024, Gebäude 9, Köln | Foto: Madame Psychosis
Foto: Madame Psychosis

Als ich zu den Klängen von The Joy of Living die Halle betrete, bereue ich dann doch etwas, den bisherigen Tag in Köln für eine gediegene Panoramafahrt mit Freundinnen auf dem Rhein samt Sekt und Torte genutzt zu haben und es dann durch widrige Umstände nicht rechtzeitig zum Festivalort geschafft zu haben. Auf der Bühne sitzt Gitarrist Paul Stewart, neben ihm steht Gemma Townley – gespielt wird ein Akustikset von Blueboy, also zumindest zweier Originalmitglieder der legendären Sarah Records/Shinkansen Band, die Mitte/Ende der 90er Jahre ihr – natürlich immer noch verhältnismäßig undergroundiges High – hatte. Obgleich sich manche nicht vorstellen können, wie dieser Gig ohne die extrem charakteristische Stimme des leider bereits 2007 an einem Krebsleiden verstorbenen Sängers Keith Girdler funktionieren soll, tut er das (wie ich mir von pünktlichen Musikfreundinnen und -freunden schildern lasse) wohl supergut und auf sehr berührende Weise. Wie ich wenigstens beim allerletzten Song noch hören kann, klingt Townleys Stimme ganz zart und zerbrechlich, dabei aber trotzdem für mich ausdrucksstärker als jede Sängerin, deren Stimmumfang sprichwörtliche fünf oder meinetwegen auch dreizehn Oktaven umfasst.

Es scheint die Zeit der Jubiläen und Jahrestage zu sein – vor 30 Jahren ist die zweite Blueboy Platte „Unisex“ auf Sarah Records erschienen. Anlässlich dessen wird es in London am Pfingstsonntag ein Konzert mit mehreren ehemaligen Mitgliedern der Band geben, hach, da wäre ich nun wirklich gerne mit dabei!

Hadda Be

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Hadda Be – Foto: Rosita Spinassa

(Anmerkung der Redaktion: Hier schreibt nochmal Madame Psychosis.)

Ganz große Popfest-Kontroverse zwischen der sonst geschmacklich sehr nah bei mir liegenden  Ms. J. und mir: Hadda Be. „Gefällt uns gar nicht“, sind sich M.J. und unsere Konzertbegleitung A. einig. Urteil allerdings gefällt „von draußen“. Die Stimme sei komisch gewesen, da hätte man sich das Hineingehen gespart. Auch ich hatte nach den lang erwarten Blueboy (war sehr schön!) eigentlich eine kurze Pause an der frischen Luft gebraucht, bin aber dann doch wieder reingestolpert. Um direkt begeistert zu sein von der Bühnenpräsenz von Sängerin Amber Price, die optisch ein bisschen an Amy Winehouse oder Justine Frischmann erinnert und – sorry, liebe restliche Reisegruppe Popfest! – wie ich finde eine ganz tolle Stimme hat. Um sie herum eine Band, die mir überdurchschnittlich groß vorkommt. Ah ok, Jetstream-Pony-Sängerin Beth Arzy ist als Gastsängerin dabei. Das dargebotene Lied gefällt mir sehr und kommt mir seltsam bekannt vor. Die spätere Recherche ergibt: Es handelt sich um „Right down the line“ (1978) von Gerry Rafferty – den könnte man wiederum kennen vom weitaus langweiligeren Radiohit „Baker Street“. Ich mag den lässigen, kraftvollen, minimal schrägen Frauengesang und Amber Price‘ coolen Style mit weißem Cottagecore-Kleid und lockerem Pferdeschwanz. Auch sehr süß, dass die Band geschlossen und mit großer Begeisterung bei der spätabendlichen Abschlussparty abtanzt. Post Punk in der Genrebeschreibung schreckt mich sonst immer eher ab, hier trifft es aber meinen Geschmack, da dann doch die melodischen Pop-Anteile überwiegen. Für mich ein tolles, überraschendes Highlight und einer der Lieblingsacts (von vielen!) des Festivals. Und damit zurück zu the lovely Ms. Janglemaier.

Pale Lights

COLOGNE POPFEST, 19. + 20.04.2024, Gebäude 9, Köln | Foto: Rosita Spinassa
Pale Lights – Foto: Rosita Spinassa

Die nächste Band Pale Lights kommen aus New York und setzen sich zusammen aus Sänger Phil Sutton, Keyboarderin und Sängerin Suzanne Nienaber, Schlagzeugerin Lisa Goldstein, Leadgitarrist Andy Adler und Bassistin Maria Pace. Wer auf eingängige Janglemelodien mit zweitstimmigem Gesang steht, getragen durch Phil Suttons irgendwie coole und sehr markante Stimme, dem sei die neu erschienene Compilation Waverly Place (Kleine Untergrund Schallplatten) wärmstens ans Herz gelegt. Apropos Herz: Die Band spielt sich mit ihrem Sound und den sympathischen Ansagen zwischendurch („Are any librarians here tonight?“) direkt in meines. Einer meiner Favoriten ist „The Soft City“, das ich in Dauerschleife hören könnte (was ich zum Leidwesen des Mitbewohners auch tue). „Hold me tight“ reimt sich hier immer noch auf „make it alright“ – endlich was fürs Herz, aber nicht ohne Finesse. Und auch auf die Gefahr hin, kitschig zu klingen – hier fühle ich mich wirklich verbunden mit der Indiepop-Community und bin einfach nur froh und dankbar, dass es ein solches Festival gibt. Mit mehreren hundert Menschen im Publikum zu stehen und sich über diese Band zu freuen – das ist bei einem herkömmlichen Gig in einer mittelgroßen oder auch großen deutschen Stadt (leider) kaum vorstellbar. Trotzdem würde ich mir Pale Lights – sollten sie doch mal auf Tour nach Deutschland kommen – jederzeit sehr gerne anschauen.

Jetstream Pony

COLOGNE POPFEST, 19. + 20.04.2024, Gebäude 9, Köln | Foto: Rosita Spinassa
Jetstream Pony – Foto: Rosita Spinassa

„Did you have a nice dinner?“, fragt uns Beth Arzy, Sängerin von Jetstream Pony nach der Vesperpause. Jetstream Pony benannten sich einst, wie ich aus sicherer Quelle erfahre, nach der Rasse des Windhunds von Gitarrist Sean. Dieser war wohl ein sehr erfolgreicher Teilnehmer bei den in England allseits beliebten Hunderennen und durfte dann seine wohlverdiente Rente bei Sean verbringen. Neben seinem Engagement als Tierfreund gibt es über Sean noch zu berichten, dass dieser als erster Schlagzeuger von The Wedding Present (bis zum ersten Album) wohl maßgeblich den schnellen, getriebenen Gitarrensound der Band prägte – einfach aufgrund der Tatsache, dass er das Tempo nicht halten konnte. Solche Geschichten über musikalischen Dilettantismus, der letztlich zum Markenzeichen wurde hört man natürlich gern, das macht Mut!

Aber nun endlich zum hier und jetzt: Die Band spielt nach eigener Beschreibung schrammeligen Indie und Postpunk und operiert vom Großraum London aus. Beth hat das Zepter in Form eines Tambourines und manchmal auch zweier Rasseln in der Hand und bildet den natürlichen Mittelpunkt der Band. Dabei ist der Gesang sehr soft, die Musik aber durchaus energetisch, geladen und auf den Punkt. Gemeinsam bildet das einen spannenden Kontrast. Ich finde das musikalisch wirklich toll, den anderen gefällt’s auch, es kommt Bewegung ins Publikum. Beth nimmt ab und an mit uns zugewandtem Rücken einen Schluck aus der Rotweinflasche und spätestens dann beschließe ich, sie in meine Liste an weiblichen role models aufzunehmen. Toller Auftritt von Jetstream Pony!

Andreas Dorau

COLOGNE POPFEST, 19. + 20.04.2024, Gebäude 9, Köln | Foto: Madame Psychosis
Andreas Dorau – Foto: Madame Psychosis

Gespannt bin ich auf den nächsten Act, Andreas Dorau, der ja auch einiges an Bewegung verspricht. Nach den ersten ca. zwei Songs passiert dem Musiker leider wohl eine derselben falschen – er knickt ein und fragt nach einem Arzt. Schnell wird per Ferndiagnose festgestellt, dass sich wohl um nichts handelt, was keinen Aufschub duldet, ein Barhocker („rentnergemäß“) wird herbeigeschafft und weiter geht’s – „Andreas Dorau verletzt sich und spielt weiter“ (Kölner Rundschau).

Auch im Sitzen kann Dorau ordentlich Stimmung machen, rudert mit den Armen, stellt fest, dass er so sogar besser Luft bekommt, es allerdings für ihn so ein wenig langweiliger sei. Dem Vergnügen des Publikums tut das keinen Abbruch, es darf getanzt werden! Mir gefällt der Auftritt von Dorau, auf der Bühne mit Computerspezialist und Schlagzeuger, extrem gut. Die absurden Texte, die tanzbare Musik, das klamaukhafte in seiner Stimme finde ich als Kontrastprogramm total wohltuend und erfrischend abwechslungsreich. Großes Lob an die Programmzusammenstellenden!

My Life Story

COLOGNE POPFEST, 19. + 20.04.2024, Gebäude 9, Köln | Foto: Rosita Spinassa
My Life Story – Foto: Rosita Spinassa

Letzte Band des Abends sind My Life Story, über die ich nicht wirklich viel sagen kann, da ich nach dem durchtanzten Auftritt zuvor erstmal im Raucher*innen- Zelt Luft schnappen und mich austauschen muss. Auch spricht mich der Sound nicht ganz so an und der bei einem Festival ja ab einem gewissen Punkt einsetzende Sättigungsgrad an musikalischem Input setzt ein… Ich sehe aber viele glückliche Gesichter nach dem Auftritt der Band rund um den extrovertierten Performer Jake Shillingford. Anders als ich haben diese Zuhörer wohl die Britpop Charterfolge der Band aus den 90ern bewusst erlebt und freuen sich über die Reunion. Auch gibt es ein neues Album mit dem etwas melodramatisch anmutenden Titel Loving you is killing me, welches im Februar dieses Jahres erschienen ist. Auf jeden Fall große Posen, große Themen und große Freude bei den Umstehenden.

Die abschließende Indie-Party lässt Erinnerungen an vergangene, verrauchte, verschwendete Jugendtage in der Indiedisco aufleben – und zwar auf die beste aller Weisen. Camera Obscura, natürlich The Smiths, New Order, The Pains of Being Pure at Heart und noch viele andere tolle Bands werden aufgelegt und ich freue mich sehr, endlich mal wieder zu dieser Art von Musik außerhalb der eigenen Küche tanzen zu können! Danke an Susanne Klapper und Christoph Konzerttagebuch für die Organisation dieses tollen Festivals! Wir freuen uns schon auf nächstes Jahr!

Pro-Tipp: Auf Instagram unter @cologne_popfest lässt sich in den Highlights in Erinnerungen schwelgen. Und, save the date, das nächste Cologne Popfest findet am 04. und 05. April 2025 statt.

2 Gedanken zu „COLOGNE POPFEST, 19. + 20.04.2024, Gebäude 9, Köln

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