DAGOBERT, 13.03.2024, Merlin, Stuttgart

DAGOBERT, 13.03.2024, Merlin, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
Foto: X-tof Hoyer

Hinweis: Wer direkt zum Konzertbericht von Dagobert möchte, bitte ab ca. Zeile 30 weiterlesen.

Vorspann: Elternschaft gibt einem ja so vieles. Das meine ich ganz ohne Ironie. Zum Beispiel Geduld. Warten, bis es endlich schläft. Warten, bis es fertig gesandelt hat. Warten, bis endlich das Promotionszeugnis in der sprichwörtlichen Tasche ist. Was das Elterndasein aber eben auch mit sich bringt: Es kaum noch auf die Reihe kriegen, popkulturell up-to-date zu sein. Um das zu schaffen, bräuchte es einen Hausmann, der den Laden schmeißt.

Und weil dieser auf sich warten lässt, ist das Phänomen Dagobert beinahe komplett spurlos an mir vorbeigegangen, obwohl der Schweizer mittlerweile seit über zehn Jahren mehr oder weniger regelmäßig durch die deutschsprachigen Feuilletons und Clubs geistert. Klar, den Smash-Hit „Ich bin zu jung“ hat man schon mal gehört, und mir ist bekannt, dass die Presse sich teilweise schwertut, die „richtige“ Schublade für Dagobert zu finden. Kollege Lino hat ja bereits in gewohnter Eloquenz ausgeführt, dass das Verhältnis der deutschen Popkultur zum schlicht Schönen und Harmonischen manchmal komplizierter ist als nötig und wir uns da noch einiges bei manchem europäischen Nachbarn abschauen können (nachzulesen hier).

Muss es also immer Diskurspop sein? I wo, sage ich und setze (!) mich ins ausverkaufte Merlin.

Rainer Meifert, 13.03.2024, Merlin, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
Foto: X-tof Hoyer

Wegen Elternabend (here we go again) erscheine ich etwas verspätet und verpasse dadurch (Verzeihung, ich muss es so sagen) glücklicherweise den Großteil des Vorprogramms. Ex-GZSZ Schauspieler und Lebemann Rainer Meifert liest, wenn ich das richtig verstanden habe, aus seinen Memoiren. Thematisch bewegen wir uns zwischen der Gründung einer Band in den Jugendjahren (Heinz Strunk lässt grüßen) und einer Art von Bekenntnisliteratur (Knausgård ebenso). Ich beschließe, zu Hause auf der Stelle meine alten Tagebücher zu verbrennen, man weiß ja nie.

Dann also sozusagen Heimspiel für den ehemaligen (?) Wahlberliner Dagobert. Nach eigener Aussage hat er schon mindestens zehnmal (oder auch schon 28 mal, wer weiß das schon genau?) hier gespielt, seine Fans kann man durchaus als Gemeinde bezeichnen und sind entsprechend eingeschworen, wie man so sagt. Zum Thema passt auch, dass Dagobert hinter einer Art Kanzel steht, die sein Keyboard verdeckt. Er predigt an diesem Mitwochabend über die ewigen Themen Lieben und Sterben. Und ums gleich direkt zu sagen: Ein schöner Mann im bodenlangen Pailettenmantel, der Lieder über Empfindsamkeiten singt – das kommt meiner Vorstellung von gelungener Abendunterhaltung schon recht nahe.

DAGOBERT, 13.03.2024, Merlin, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
Foto: X-tof Hoyer

Der erste Song – Todessehnsucht – ist auch der erste auf dem neuen Album „Schwarz“ und legt den Grundton des Abends fest. „Nicht mal mehr Gedanken an den Tod, lindern jetzt noch meine Not“. Dagobert goes Darkobert (Wortspiel von der Facebook-Seite des Künstlers). Cool auch, wie Gitarrist Max per Wasserglas und Strohhalm live akustisch tropfende Akzente setzt. Robin Völkert (hat die Platte auch produziert) begleitet sehr schön mit der Altblockflöte.

„Du warst nicht zuhaus, schade um den Strauß“/ „die Hoffnung führt uns ins Verderben, alle Träume müssen sterben“/ „Ich lieb dich so sehr, und noch immer mehr, (…) ich komme dich jetzt holen, mit Gewehren und Pistolen“ – die Texte sind bezwingend einfach, aber durchaus nicht nur banal. In relativ simpler, aber nie profaner Musik findet hier der Inhalt seine passende Form. Das Publikum ist textsicher und kommt den Aufforderungen zum Singalong („Los, Stuttgart!“) bei einigen Liedern nur zu gern nach.

DAGOBERT, 13.03.2024, Merlin, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
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Zu dieser Musik kann man doch nicht tanzen!

sagt der Zeremonienmeister, fast entschuldigend, angesichts des bestuhlten Saals. Muss man ja auch nicht. Ich vermute, dass Dagobert mit der Beschaffenheit des neuen Albums der ewigen Diskussion über das böse S-Genre-Wort und was jetzt wie ernst gemeint ist oder nicht, ein wenigstens zeitweiliges Ende setzt. Das klingt jetzt wirklich nicht nach Flippers, sondern eher nach den New Romantics. Optisch erinnert’s teilweise an die „old ones“ – in Form von Gemälden von Caspar David Friedrich beispielsweise.

Zwischen den Liedern werden Handküsschen verteilt, die Reihe vor uns schmachtet, wer will’s ihnen verdenken. Nach einer Akustikversion von „Ich bin zu jung“ mit lautstarker Publikumsunterstützung endet dieser Abend voller Pathos, Theatralik und Schönheit. Ab und zu musste ich dann doch ein bisschen schmunzeln. Lachen entlastet ja bekanntlich auch. Vielleicht das wichtigste Lehrstück des Dagoberts: Schönes einfach schön sein lassen, ohne wenn und aber.

DAGOBERT, 13.03.2024, Merlin, Stuttgart | Foto: X-tof Hoyer
Foto: X-tof Hoyer

Dagobert

Rainer Meifert

2 Gedanken zu „DAGOBERT, 13.03.2024, Merlin, Stuttgart

  • 19. März 2024 um 18:13 Uhr
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    Hier spricht eine der Personen, die geschmachtet haben. Ich glaub ihr saßt hinter uns und habt uns ausgelacht. Das war uns aber egal, weil wir einfach sehr verliebt in Dagobert sind. Ihr habt eine schöne Rezension geschrieben, danke!

  • 23. März 2024 um 21:33 Uhr
    Permalink

    Ich würde schmachtende Menschen niemals auslachen wollen! Insgesamt war da einfach viel Freude da, an dem Abend. Das war glaub der schönste Mensch, den ich je gesehen habe. Bin also ganz bei euch. Bis zum nächsten Mal, Sabine

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