WOVENHAND, CHRISTINE OWMAN, 11.08.2013, Manufaktur, Schorndorf
Sonntagabend und wir sind auf dem Weg nach Schorndorf. Wir umrunden das Daimlerstadion die Mercedes-Benz-Arena, 45.000 Menschen befinden sich gerade darin, bereit für die Bespaßung durch Robbie Williams. Wir aber entsagen diesem weltlichen Vergnügen und begeben uns heute Abend in die Hände von Wovenhand, in persona: David Eugene Edwards. Freude, Lachen, gute Laune – all dies können wir heute getrost zu Hause lassen. Edwards wird uns seine Vorstellung christlicher Musik nahebringen. „Aggressiv und dunkel“ soll sie seiner Meinung nach sein. Und ich gebe zu: das Erlebnis wird weit heftiger als erwartet. Das 16-Horsepower-Konzert vor vielen Jahren und das Warmup mittels aktueller Konzert-Mitschnitte haben mich wohl nicht ausreichend für den Abend vorbereitet. Die beklemmende Intensität des Vortrags muss man erstmal ertragen.
Klar: das aktuelle Album „The Laughing Stalk“ ist schon aus der Konserve ziemlich ruppig, Produzent Alex Hacke von den Einstürzenden Neubauten hat dem Sound von Wovenhand eine brachiale Note verpasst. Was das Trio um Edwards live daraus macht, ist allerdings nochmal ein anderes Kaliber.
Mit dem Begriff „Gesang“ ist Edwards Vortrag nur unzureichend beschrieben. Er deklamiert, er predigt. Untermalt durch teilweise rätselhafte Pantomime und verzerrt durch ein spezielles Mikro liest er uns die Leviten. Wenn er dann singt, klingt es gequält, geradezu manisch. (Dabei könnte er nach meinem Geschmack gerne auf das Verzerrer-Mikro verzichten. Dieser Effekt hat sich langsam abgenutzt und seine unverstellte Stimme ist noch wesentlich eindringlicher.) Neuerdings spielt er übrigens im Stehen, sämtliche folkloristischen Accessoires hat er abgelegt, über seinem schlichten schwarzen Hemd prangt ein großes Kreuz, das er zum Beginn des Gigs küsst.
Nach gut einer Stunde in der dritten Reihe mag ich den bohrenden Blick von David Eugene Edwards aus dem Schatten unter seiner Hutkrempe nicht mehr ertragen. Ich ziehe mich in den hinteren Teil des Saales zurück und frage mich: Warum nur gehe ich eigentlich auf Konzerte? Nur um Spaß zu haben? Um mich an guter Musik zu erfreuen? Um mit Freunden und Gleichgesinnten einen schönen Abend zu verbringen? Zweifel nagen: gibt es denn nichts wichtigeres in meinem Leben als schnöde Unterhaltung?
Dabei fing der Abend noch ganz freundlich an: die Schwedin Christine Owman spielt – in Begleitung einer Gitarristin – elektronisch verzerrte Cello- und Ukulele-Melodien. Dazu gibt es mehr oder weniger stampfende Beats vom Laptop, die mal ein wenig an Massive Attack erinnern, andere eher nach Industrial klingen. Der leicht exaltierte Gesangsvortrag mit zwei verschieden abgestimmten Gesangsmikros und düsteren Videos im Hintergrund kommen beim Publikum gut an. Sicher einer der skurrileren Acts beim Glitterhouse Label, aber durchaus sympathisch und mit vielen freundlichen Worten für die sehr konzentrierten Zuhörer und die tolle Konzertlocation.
In der Umbaupause stelle ich fest: die Manufaktur ist gut gefüllt, ein erstaunlich altes Publikum hat sich hier versammelt. Rauschebärte und Altrocker sind dabei, ein Hippie wie aus dem Musterbuch. Endlich mal ein Konzert, bei dem ich altersmäßig gut im Schnitt liege, vielleicht sogar eher zu den Jüngeren gehöre.
Keine Frage: Es sind die dreiköpfigen Bands, die die besten oder zumindest die intensivsten Konzerte abliefern. The Movement, State Radio, Joy Formidable haben mich in letzter Zeit begeistert. Vielleicht liegt es einfach daran, dass bei dieser Minimalbesetzung jeder im Fokus steht und volle Leistung abliefern muss – und das kann man Edwards‘ Begleitern bescheinigen: Sie sind erste Klasse! Schlagzeuger Ordy Garrison legt eindeutig das beste Set hin seit dem Gig von Two Gallants an gleicher Stelle.
Zweimal wird das Set durch Solo-Auftritte des Frontmannes unterbrochen. Mit einer Kreuzung aus Mandoline und Banjo (Kenner mögen mich bitte aufklären, was das tatsächlich ist) spielt Edwards ruhigere, fast noch unheimlichere Titel. Um ehrlich zu sein: so ganz genau verstehe ich nicht, was der finstere Herr auf der Bühne von sich gibt. Aber es hat meist etwas mit Gott zu tun, uns es ist ernst. Verdammt ernst. Wenn ich in die Runde schaue, sehe ich versteinerte Gesichter, wenige bewegen sich, ein kleines Grüpplein tanzt mit hoch erhobenen Armen zur Musik. Haben sie bereits die Erleuchtung erlangt? Bei all den anderen frage ich mich, ob sie überhaupt Spaß an diesem Gig haben. Oder ist dies die falsche Frage?
Musikalisch sind Wovenhand über jeden Zweifel erhaben: das ist unglaublich intensiv und druckvoll, der aggressiv gespielte Bass treibt ohne Ende. Aber über allem liegt permanent der Verdacht, dass die Musik überhaupt nicht wichtig ist. Es sind Botschaften, die Edwards verbreiten möchte. Die Musik ist bestenfalls ein Transportmittel. Und vielleicht ist das auch der Grund, warum ich mich als alter Agnostiker an diesem Abend nicht so richtig wohlfühlen mag.
Sehr hilfreich für die Beschäftigung mit David Eugene Edwards fand ich übrigens die oben bereits verlinkte Doku „The Preacher“, die man auf Youtube in voller Länge ansehen kann, und die in einer Home Story unter anderem den liebevollen und durchaus humorvollen Familienvater Edwards zeigt. Es wäre schön gewesen, wenn wir an diesem Abend auch etwas von seiner freundlichen Seite gesehen hätten.