GISBERT ZU KNYPHAUSEN, 10.11.2010, Wagenhallen, Stuttgart

Foto: Carsten Weirich

Gisbert… der Name klingt nicht gerade nach jemandem, dem ich gern zwei Stunden zuhören will. Eher nach SMV, guten Noten und vorbildlichem Benehmen. Umso öfter man den Namen hört, desto seltsamer klingt er. Gisbert zu Knyphausen klingt noch merkwürdiger. Als mich neulich ein Bekannter fragte, auf welches Konzert ich am Mittwoch gehe, und ich ihm wahrheitsgemäß antwortete, bekam ich zur Antwort: „Nee, jetzt mal im Ernst. Wie heißt die Band wirklich?“. Was ich ihm besser nicht gesagt habe: Gisbert Wilhelm Enno Freiherr zu Innhausen und Knyphausen soll sein voller Name sein. Nur gut, dass ich schon weiß, dass der 31-jährige wirklich was zu sagen hat. Und das will ich mir bei aller Namensintoleranz dann doch nicht entgehen lassen.

Vor den Wagenhallen steht dann am Mittwochabend erwartungsgemäß Publikum im eher nicht mehr ganz so jugendlichen Alter. Gesittet geht’s zu: Keine Betrunkenen und keine Gröhlerei. Würde auch nicht wirklich passen zur doch eher erwachsenen Musik. In den gut gefüllten, aber nicht ausverkauften Wagenhallen macht dann Daantje and the Golden Handwerk, alias Joachim Zimmermann, den Anfang. Gisbert zu Knyphausen lässt es sich nicht nehmen, seinen Freund selbst anzukündigen. Der zottelige Stuttgarter schafft es dann auch recht schnell dem Publikum zu gefallen. In bester Singer-Songwriter-Manier huldigt er nur mit seiner Gitarre bewaffnet der Liebe, dem Leben und dem Schmerz und erinnert mich und meine Begleiterin dabei ein wenig an Element of Crime. Würde auch gut in eine verrauchte Kneipe passen. Bei zwei seiner Songs erhält er tatkräftige Unterstützung von Gisberts Band und wird dann mit viel Applaus verabschiedet.

Nach einer kleinen Pause betreten Gisbert zu Knyphausen und seine Musiker die Bühne. Sieht lustig aus, weil die Altersdifferenz doch recht groß ist und auch vom Typ her sehr unterschiedliche Leute mit dabei sind. Sympathischer Haufen.

Vom ersten Stück an, hat der 31-jährige Hesse (ja genau, er kommt ausnahmsweise nicht aus Hamburg!) dann das ganze Publikum, mich und meine Begleitung eingeschlossen, überzeugt. Meistens leise und manchmal auch richtig rockig singt er mit viel Wortwitz von den positiven und negativen Seiten des Lebens. Die Texte sind meist traurig und melancholisch, ohne aber den kleinen positiven Arschtritt zu vergessen, der einem zeigt, dass das Leben doch nicht immer nur weh tut. Beispielsweise im eher flotten „Sommertag“.

Und alles, was mir dann noch übrig bleibt:
Ein bisschen Zweisamkeit als Zeitvertreib.
Das bisschen Herzschmerz, das bisschen Herzschmerz
tut doch gar nicht so weh.
Den ganzen Unsinn werd‘ ich nie verstehen.
Da hilft nur einatmen und vorwärtsgehen.
Es ist ganz einfach, es ist ganz einfach:
Das Leben lebt, es ist ein wunderschöner Sommertag.

Das Publikum lauscht bedächtig und wippt hier und da ein wenig mit. Oft wird mitgesungen, dann aber fast schon vorsichtig leise, als wolle man die melancholische Grundstimmung nicht versauen. Gisbert redet auch gern zu seinem Publikum. Und er lacht gern. Wenn ihm mal kurz die Stimme wegbleibt beispielsweise. Einfach saunett der Kerl. Und ich mag seine Art sich auszudrücken. Mit „Gute Nachrichten“ covert er dann eine seiner Lieblingsbands, Modest Mouse. Gisbert klingt einfach nur ehrlich, wenn er inbrünstig von der Liebe und vom Hafen und vom Einsamsein singt. Nur die für meinen Geschmack manchmal zu langen Instrumentalzwischenstücke müssten wegen mir nicht sein. Das sei ihm aber bei solch einem klasse Konzert verziehen.

Als die Band dann nach rund eineinhalb Stunden von der Bühne geht, ist der Applaus stattlich. Doof nur, dass sie nichts hat, wo man sich hinverziehen kann, um auf die üblichen Zugaberufe zu warten. „Ist ja albern hier“ sagt Gisbert, als er neben der Bühne stehen bleibt und nicht weiß wohin. Also schnell wieder rauf auf die Bühne und „Melancholie“ angestimmt. Brilliant: „Du weißt ja, eigentlich mag ich Dich sehr gerne, wenn Du nur ab und zu die Fresse halten würdest. Melancholie, fick Dich ins Knie.“ Ja, die Melancholie mag er wirklich gern der Gisbert. Kommt in fast jedem seiner Songs rüber. Und kam auch live rüber. Und trotzdem, oder vielleicht auch gerade deswegen, gehen wir nach einigen Zugaben mehr und einer Oldschool-Verbeugung der Band mit einem warmen Gefühl im Bauch nach Hause. Und auch aus dem Autoradio wird es noch auf dem Heimweg schallen:

Und meine Lebensziele sind sehr einfach,
ich würd gern geben was ich zu geben vermag,
ich will lachen an den richtigen Stellen
und drauf scheißen wenn das hier jemand nicht mag.
Und ich gebe zu ich bin ziemlich kriegsgeil,
ich will dabei sein wenn das alles explodiert
und dann tot sein oder aufstehen aus Asche und Trümmern
und zusehen dass der Laden wieder funktioniert.

Foto: Carsten Weirich

4 Gedanken zu „GISBERT ZU KNYPHAUSEN, 10.11.2010, Wagenhallen, Stuttgart

  • 12. November 2010 um 11:12 Uhr
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    Also ich fand die Instrumentalstücke ziemlich gut, weil er sonst nämlich fast genau wie auf den Alben klingen würde und dann hätte es gereicht seine Platten einzulegen… Einige hatten dann schon was richtig Psychedelisches…

    Aber sonst stimme ich zu ;)

  • 12. November 2010 um 12:54 Uhr
    Permalink

    Ich fand das Konzert klasse, aber mir haben die wenigen Nummern die er allein gesungen hat am besten gefallen. Er hatte zwar ne gute Band, aber die Arrangements waren mir zu lasch, es hätte ruhig etwas
    knackiger und/oder rauer sein können, und ich meine nicht „hart“, sondern etwas weniger Betonung auf Atmosphere & Stimmung. Ein gefühlter Rick Rubin/ Johnny Cash Sound hätte mir besser gefallen.
    Mein Traum Gisbert Konzert:
    – mindestens 50 % Solo
    – Rest mit Band bestehend aus Schlagzeug, Kontrabass, Kalvier/Orgel, dazu er an der Gitarre

  • 13. November 2010 um 16:56 Uhr
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    Für mich war es genau die richtige Mischung, die Band war klasse, die Instrumentaleinschübe sorgten für Abwechslung. Und wie Gisbert sagte: „Schön, dass es auch in einer so großen Halle richtig kuschelig sein kein.“
    Danke für die Zusammenfassung, mir fällt sowas immer schwer. Darf ich dich vielleicht auf meinem Blog zitieren? (mit Verlinkung und allem drum und dran natürlich!)

  • 14. November 2010 um 12:01 Uhr
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    Gern geschehen Herr oder Frau Geschma. Und klar kannst Du auf Deinem Blog zitieren.

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