SPIEL MIR DAS LIED VON MORRICONE FEATURING PEPE LIENHARD MIT GROSSEM ORCHESTER, 28.03.2024, Theaterhaus, Stuttgart

SPIEL MIR DAS LIED VON MORRICONE FEATURING PEPE LIENHARD MIT GROSSEM ORCHESTER, 28.03.2024, Theaterhaus, Stuttgart | Foto: Andreas Meinhardt
Foto: Andreas Meinhardt

Spiel mir das Lied vom Kitsch. Zwei übergroße Namen locken die Halle 1 im Theaterhaus Stuttgart im Rahmen der Jazztage fast voll: Ennio Morricone, Komponist und berühmt für seine Filmmusiken, und Pepe Lienhard, Musiker, Arrangeur und Bandleader, u.a. 37 Jahre für Udo Jürgens. Beide werden im Laufe des Abends leider zu Nebenfiguren.

Der Reihe nach. Morricone, der über 500 Filmmusiken und vieles mehr komponiert hat und 2020 mit 91 Jahren verstorben ist, fasziniert bis heute. So auch die Schweizer Kulturschaffende vom Züricher Theater Rigiblick, auf deren Website Pepe Lienhard zitiert wird:

Wenn ihr je etwas über Ennio Morricone macht, möchte ich gerne mit ganzer Seele dabei sein. Morricone verehre ich sehr.

SPIEL MIR DAS LIED VON MORRICONE FEATURING PEPE LIENHARD MIT GROSSEM ORCHESTER, 28.03.2024, Theaterhaus, Stuttgart | Foto: Andreas Meinhardt
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Doch wie bringt man eine Hommage an Morricone auf die Bühne? Theatermacher Daniel Rohr und seine Frau, die Schauspielerin Hanna Scheuring, haben dazu folgendes Konzept erarbeitet: Rechts vom 30-köpfigen Orchester, in dem der großväterliche Lienhard als Blasinstrumentalist mitmusiziert, sind auf einem Podest drei Kinositze installiert. Scheuring spielt eine im Kino eingeschlafene Besucherin, die im Traum einen Vortrag über Morricones (film-)musikalisches Leben hält, während Rohr einen fiktiven Filmvorführer gibt, der Trivia zu den jeweiligen Filmen von sich gibt. Nach jeder Szene wird ein Musikstück zur jeweiligen Anekdote angestimmt.

Da ist durchaus Komisches und Skurriles dabei, wie zum Beispiel, dass der junge Ennio mit 16 seine Trompeten-Abschlussprüfung beim Konservatorium mit geplatzter Lippe spielte, weil er zu viel geübt hatte. Es folgt ein Stück mit Trompete. Ein Ausflug in den Bossa Nova (immer wieder wundervoll: Metti una sera a cena) und ein von Daniela Rohr gesungener italienischer Schlager fehlen nicht.

Dann wird erzählt, dass Morricone 1958 die Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik besuchte und eine prägende Begegnung mit John Cage hatte, dessen Postulat, auch Geräusche können Musik sein, Morricone übernahm. Berühmt seien ja das Peitschenknallen und die Pistolenschüsse in den Western-Soundtracks. So weit, so weit richtig, aber ein Stück, in dem man das hätte hören können, wird nicht gespielt. Noch deutlicher wird der Kontrast zwischen Erzähltem und Nichtausgeführtem, als mehrfach auf Morricones innere Kämpfe mit dem Umgang zwischen der schnöden Auftragsmusik (Filmmusik, Schlager und so weiter) und den zeitgenössisch klassischen Kompositionen beschrieben und auf den daraus resultierenden Konflikt mit seinem Lehrmeister Goffredo Petrassi abgehoben wird. Warum wird uns keines dieser Musikstücke zu Ohren geführt? Ich hätte es gerne gehört. An anderer Stelle wird wortreich-pathetisch die Musik und ihre Wirkung zum Film „The Untouchables“ beschrieben. Und danach wird sie gespielt. Warum? Das kann ich doch hören.

Bis zur Pause hat das clowneske Performance und die mit Begeisterung spielenden Musiker etwas Gutlauniges.

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Meine Hoffnung, dass in der zweiten Hälfte mehr Musik gespielt wird, erfüllt sich nicht. Es beginnt nicht mit einem schwungvollen Musikstück, es startet mit einer langen Spielszene, in dem wieder ausagiertes Wikipedia-Wissen gezeigt wird. Nach jedem, wirklich nach jedem Stück, wird unterbrochen. Zwischen den beiden Charakteren Scheuring und Rohr wird nun noch eine Liebesgeschichte untergebracht. Bei „Mein Name ist Nobody“ übernimmt Scheuring in klamaukiger Manier das Dirigieren. Volkstheater mit angeschlossenem Orchester. Die gewollte Kurzweiligkeit scrollt durch wie träges Tiktok, irrelevantes Instagram, es hat etwas Egalhaftes.

Am Schluss wird aus Morricones Abschiedsbrief vorgelesen, den er kurz vor seinem Tode verfasste – Überleitung zum Medley „Spiel mir das Lied vom Tod“. Das soll wohl eine pfiffig-anrührende Überleitung sein. Immerhin wird dann über sieben Minuten Musik am Stück gespielt. Lienhard spielt die Mundharmonika traurig sägend präzise, wie man sie tausendfach gehört hat. Das ist beeindruckend. Im Laufe des Abends spielt er von der Piccolo-, über die Block- und Querflöte auch eine Harmonia, ein Saxophon und eine Okarina. Manchmal verspielt er sich. Aber das tut der Aura, die er verbreitet, keinen Abbruch. Er sitzt links am Orchester, stets lächelnd, verströmt Charisma. In der Pause lassen sich die Leute mit ihm fotografieren.

Die letzte Szene nehmen sich die beiden Protagonisten, sie küssen sich im Spot – Blackout. Die Rahmenhandlung der eingeschlafenen Kinobesucherin wird nicht aufgelöst. Oder ich habe es nicht mitbekommen.

Dem Publikum hat es so gut gefallen, dass sie zum Schlussapplaus und nach der Zugabe aufstehen. Das ist anzuerkennen. Morricones Musik überlebt alles. Ich konnte nicht mit aufstehen. Aufgestanden bin ich beim von Morricone persönlich dirigierten Konzert 2015 (siehe hier). Zugegeben, das ist ein unfairer Vergleich.

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