PSYCH IN BLOOM FESTIVAL, Warm-up, 25.05.2023, Zentrum Zinsholz, Ostfildern

GNOD, HARRGA, VALTAVA, Psych in Bloom Warm-up, 25.05.2023, Zentrum Zinsholz, Ostfildern

Foto: Claus Kullak

Endlich! Das Psych in Bloom Festival 2023 ist eröffnet. Mit einer Warm-up-Show in der „Außenstelle“ Zinsholz, die wir als absolut sympathische und technisch top ausgestattete Location sehr schätzen.

Valtava

GNOD, HARRGA, VALTAVA, Psych in Bloom Warm-up, 25.05.2023, Zentrum Zinsholz, Ostfildern

Foto: Claus Kullak

Gut drei Dutzend Zuschauer:innen haben sich eingefunden, um den Eröffnungs-Gig der aktuell omnipräsenten, aber auch etwas unberechenbaren Valtava zu sehen. Dieses Mal wieder als Duo und mit nahezu demselben Set, wie wir es erst kürzlich beim Museumstag und im Kulturbunker gehört haben. Erfreulich, dass sich Alex und Jannick vorübergehend vom dauerhaften Experimentieren verabschiedet haben und lieber ein Set durch Live-Routine feinjustieren. Es sind strukturell einfache, eher fröhliche Popsongs, die im Gewand von Fuzz-Garagen-Punk daherkommen und vom Kontrast von Jannicks mächtig verzerrtem Höfner-Bass und Alex‘ Gesang leben. Der changiert von unbeschwertem Happy-Pop über einzelne Kiekser zu eruptivem Geschrei. Das minimale Instrumentarium beschränkt natürlich die musikalischen Möglichkeiten, dennoch bekommen wir ein kompaktes, abwechslung­reiches Set, das durch geschickte Überleitungen und den Wechsel der Gesangsparts den Spannungsbogen halten kann. Tempo und Präzision sind (noch) nicht immer durchgängig sattelfest, aber bei der hohen Auftrittsfrequenz gibt’s ja genug Gelegenheiten zum Feinschliff. Das Warm-up zum Warm-up ist gelungen. Dass uns dieser erste Gig aber nicht im Geringsten auf das vorbereiten konnte, was mit den beiden nächsten Bands über uns hereinbricht, davon berichten jetzt die Kollegen.
– Holger

Harrga

GNOD, HARRGA, VALTAVA, Psych in Bloom Warm-up, 25.05.2023, Zentrum Zinsholz, Ostfildern

Foto: Claus Kullak

Harrga – Verbrennen

Stimmengewirr, babylonisch, untermalt mit Gebrumm, überlagert mit Gezisch, schmerzgrenzhaft laut. Vor der Bühne, im Publikumsraum, ein schwarz abgedeckter Tisch. Darauf ein Sequencer und zwei kleinere Effektgeräte, an die zwei Gesangsmikrofone angeschlossen sind. Dahinter eine drahtige Frau mittleren Alters. Schwaches rotes Licht beleuchtet die Szenerie. Es ist 21:45 Uhr im Zentrum Zinsholz, etwa 50 Zuhörer warten gespannt auf Harrga.

Dali de Saint Paul greift zum Mikro. Hexenhaft klingt ihre elektronisch entstellte Stimme, die sich über den Lärm legt. Französische Sprachfetzen lassen sich verstehen. Spoken Word, Japanoise, Cold Meat, Dark Ambient, um mal ein paar Schubladen aufzureißen. Amanda Gorman („We Climb The Hill“) und Merzbow und Deutsch Nepal treffen sich zu einer Hörspielproduktion.

GNOD, HARRGA, VALTAVA, Psych in Bloom Warm-up, 25.05.2023, Zentrum Zinsholz, Ostfildern

Foto: Claus Kullak

Es sind tatsächlich Tracks, die hier zu Gehör gebracht werden. Dali singt mit tiefer Frauenstimme zu einem Minimal-Music-Orgeltune. Über hartes Beats-Gebollere ruft sie Begrifflichkeiten, das ist fast schon klassische Electronic Body Music mit Shouts der alten Nitzer-Ebb-Schule. Dann gleitet das Klanggewebe ab ins Industrial, in der Manier früher Dive- und Throbbing-Gristle-Produktionen.

Zum Abschluss hat sie zwei Mikros in der Hand, beide an Verzerrgeräten angeschlossen. Ihre Stimme klingt krank. Man spürt die höchste Dringlichkeit, die sie in französischer und englischer Sprache sowie in und Darija, einem marokkanischen Dialekt, zu transportieren versucht. Zu verstehen ist nichts, zu spüren ist alles. Der Krach verdichtet sich infernalisch. Wir sind nah an Malewitschs Schwarzem Quadrat, die tonale Abstraktion könnte kaum größer sein. Ende. Stille.

Die eine Hälfte der Zuhörer ist gegangen, die gebliebene Hälfte hat Tränen in den Augen. Dali greift erneut zum Mikro und hält eine kleine Ansprache: In ihrer Kunst geht es um Migration, um das Leid, welches die Migranten ertragen müssen. Harrga bedeutet in Darija Brennen, Verbrennen. Das Wort wird aber auch von Migranten als Begriff für die Flucht von Afrika nach Europa benutzt, quasi Durchbrennen, an deren Ende das Verbrennen der Reisepapiere steht.

Dem unmenschlichen Lärm wohnt eine zutiefst menschliche Botschaft inne: Seht das Leid. Als Zuhörer konnten wir erahnen, welche Qual tagtäglich um uns herum diese Menschen erdulden müssen.
– bertramprimus

Gnod

GNOD, HARRGA, VALTAVA, Psych in Bloom Warm-up, 25.05.2023, Zentrum Zinsholz, Ostfildern

Foto: Claus Kullak

Da geht man an einem arbeitsreichen Donnerstag kurzentschlossen, aber schon ein wenig erschöpft zum Warm-Up des wunderbaren Psych in Bloom-Festivals, ohne sich ernsthaft ums Programm zu kümmern. Alex, Jojo und ihr Team haben sicher wieder tolle Bands gebucht, die mich sanft und psychedelisch ins Wochenende tragen. Der Sinn steht mir nach Soft Opening.

Es kommt dann aber anders. Ganz anders. Erst spielen Valtava harschen Fuzz-Garagen-Punk, dann exorziert Harrga mit brutalem, sehr lautem Electro-Noise ihre Dämonen. Hart, heftig, intensiv. Bin schwer beeindruckt und schon recht platt – aber motiviert für die letzte Band, die mir komplett unbekannten Gnod aus Manchester. Im Nachhinein lese ich, dass das vielköpfige Kollektiv bereits seit 2006 Unmengen schwer zu kategorisierende Platten veröffentlicht, diffus als Psychedelic Noise gehandelt.

Und obwohl Gnod auf dem Weg nach Ostfildern einen ihrer zwei Drummer verloren hatten, haut mich allein die schiere Klangwucht der diesmal nur vierköpfigen Band um. Was für ein räudiges Brett, das der Soundmann der zumindest optisch recht kleinen PA des Jugendhauses (!) entlockt. Getragen vom Monster-Bass, der auch viel Riff-Arbeit macht, zersplittern zwei erstaunliche Gitarren den buchstäblichen Wall Of Sound. Der Sänger erscheint mir in diesem – im besten Sinn – infernalischen Lärm die kleinste Rolle zu spielen.

GNOD, HARRGA, VALTAVA, Psych in Bloom Warm-up, 25.05.2023, Zentrum Zinsholz, Ostfildern

Foto: Claus Kullak

Stilistisch höre ich so eine Art postmodernen Noise-Blues, geboren aus der Asche der Neubauten, Birthday Party und Swans. Mit rifflastigen Ausbrüchen ins Stonerland, meistens aber konsequent dekonstruiert, zerbröselt, platt gemacht. Hier ist kein Platz für psychedelisches Gedaddel und spaciges Wegdriften. Gnadenlose Härte hat mir selten so viel Spaß gemacht, ich stehe wegen der immensen Lautstärke aber recht weit hinten (Ohrenstöpsel vergessen), anfangs mit heruntergeklapptem Kiefer, später vermutlich mit debilem Grinsen im Gesicht.

Die Musik ist weder Spacerock noch Stonerrock, letztlich eine eigenwillige Variante von Frühneunziger Noiserock, teils im klassischen Amphetamine Reptile-Format, aber auch mit grandiosen Ausbrüchen in unerwartete Richtungen. Einfach nur göttlich sind die Dub-Echos auf der ohnehin gewaltigen Snare, wirklich sagenhaft. Immer wieder wird der Lärm Schritt für Schritt zurückgefahren, zieht sich soghaft zusammen, um dann – angekündigt mit schrillem Feedback – in mächtigen Riffkaskaden ins nächste Break einzusteigen. Wow.

In diesem Lärm könnte ich stundenlang baden, einziges kleines Manko ist die in der zweiten Konzerthälfte leicht abnehmende Spannungskurve. Nach Konzertende bedanke ich mich artig beim Mischer für dieses einzigartige Sounderlebnis sehr hart an der Schmerzgrenze. Katharsis in Rock, wie ich seit dem letzten Swans-Konzert nicht mehr erlebt habe.
– Joe Whirlypop

GNOD, HARRGA, VALTAVA, Psych in Bloom Warm-up, 25.05.2023, Zentrum Zinsholz, Ostfildern

Foto: Claus Kullak

GNOD

Harrga

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