JIMMY KELLY, 27.05.2023, Theaterhaus, Stuttgart

JIMMY KELLY, 27.05.2023, Theaterhaus, Stuttgart

Foto: Madita Nair

Und wieder haben wir es geschafft, einen von der Family ausgebüxten Kelly vor unsere Linse zu bekommen. Waren wir vor knapp zwei Wochen höchst amüsiert beim Stand-up/Mixtape-Konzert von Angelo, verschlägt es uns heute zum in das Theaterhaus “verlegte” Straßen- und Pubkonzert seines älteren und etwas ruppigeren, aber mindestens genauso herzlichen Bruders Jimmy. Als ruppig bezeichne ich ihn, weil er mich damals eben ruppig auf meine Tattoos angesprochen hat und als herzlich, weil er danach ein warmes Lächeln hinterher geschoben hat.

So. Und wenn man schon nicht auf der Straße spielt, so baut man diese eben auf der Bühne nach und versieht sie mit alten Straßenlaternen und Lichterketten.

Bevor 2016 das Comeback der Kelly Family verkündet wurde, ging jedes der neun Geschwister seinen eigenen Interessen nach und tourte hier und da durch mal kleinere und mal riesige Hallen Deutschlands. Jimmy Kelly suchte seinen Weg zurück in die “Normalität” auf der Straße. Bestückt mit seiner Gitarre und einer Mundharmonika kehrte er zurück zu den Wurzeln, wo alles begann. Auf diesem Weg lernte er immer neue Gefährten verschiedensten Backgrounds kennen, die seine Liebe und Hingabe für die Musik teilen und führt sie nun gemeinsam, unter anderem zu uns, in das Theaterhaus. Um alles zeitlich richtig einordnen zu können, muss dazu erwähnt werden, dass sie hier mit drei Jahren Verspätung angekommen sind. Corona hatte natürlich auch hier seine Finger im Spiel und Steine in den Weg geworfen. Doch heute klappt es und es soll ein verdammt unterhaltsamer und mit knapp drei Stunden auch ziemlich langer Abend werden.

JIMMY KELLY, 27.05.2023, Theaterhaus, Stuttgart

Foto: Madita Nair

Im Vergleich zu den letzten Solo-Touren von Jimmy hat er ordentlich an Bandmitgliedern aufgerüstet. Als er um kurz nach 20:00 Uhr die Bühne stilvoll in Weste und Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln betritt, folgen ihm noch 12 weitere Musiker, inklusive seiner Frau Meike. Doch anstatt passend zum Outfit und Atmosphäre nun eiskaltes Guinness auszuschenken, legt der unter Strom stehende Ire, der eigentlich Spanier ist und auch französische Wurzeln hat, sofort den Party-Schalter um und das ganze Theaterhaus steht und tanzt. Denn auch wenn das Repertoire von Jimmy endlos viele Ohrwürmer beinhaltet, beginnt er das Konzert mit dem Kelly Klassiker “I Can’t Stop The Love”.

Wie immer bei einem Konzert eines oder der Kellys poppt in meinem Kopf die Frage auf, warum die Konzerte immer bestuhlt sind, wenn doch eh die meiste Zeit gestanden wird. Das ältere Paar vor uns hat sich diese Frage sicherlich auch erst genervt selbst und später säuerlich der Security gestellt. Auch “Ol‘ Dan Tucker” animiert nicht so wirklich zum Sitzen, sondern entfaltet noch deutlicher als „I Can’t Stop The Love“ das eigentliche Können des mitgebrachten Street Orchestra. Blickt man einmal quer über die Bühne, lässt sich bei der Band zumindest stilistisch kein wirkliches Konzept erkennen. Der eine könnte in einer verrauchten Jazz-Bar an der Theke arbeiten, während der andere als Direktor im Zirkus tätig sein könnte. Doch eint diese individuelle und gefühlt wild zusammengewürfelte Gruppe etwas viel Wichtigeres. Jeder ist hier ein Profi an seinem Instrument. Denn nur so klappen die Sprünge zwischen Folklore, Blues, Rock ’n‘ Roll und Kelly-Songs in den meisten Fällen mühelos. Geht dann doch mal etwas daneben, wird der Song einfach von vorne gestartet und wir bekommen gleich zweimal „Cotton Eye Joe“ zu hören. Das könnte dem ein oder anderen vielleicht an manchen Stellen zu chaotisch und improvisiert wirken, doch passt es perfekt zum Konzept von Jimmy Kelly & The Street Orchestra. Und wenn sich auch Jimmy mal verspielt, so hat er eine große Auswahl an Mitmusikern, auf die er den Fehler charmant schieben kann oder legt es als Teil des Auftritts aus. Zum herausragenden Können, das die einzelnen Musiker vereint, kommt ein weiterer, bedeutsamer Punkt für dieses tolle Konzert hinzu:

Spaß.

JIMMY KELLY, 27.05.2023, Theaterhaus, Stuttgart

Foto: Madita Nair

Alle scheinen den größten Spaß ihres Lebens auf der Bühne zu haben und es lösen sich unter Dauergrinsen und Flachsen imposante Bläser-Soli mit Violine, Banjo und Zieharmonika ab, als wäre es das Normalste der Welt. Auch Jimmy variiert zwischen fünf verschiedenen Sprachen hin und her. Mal auf Deutsch („Heute hier, morgen dort“), Französisch („Mon Amant De Saint Jean“) und sogar Jiddisch („Balalaika“) lassen die Bühne vergessen und man findet sich in einer kleinen Kneipe wieder und lauscht einem authentischen, einfachen und talentierten Musiker.

Und wenn wir gerade über Authentizität sprechen. Auch Jimmy, genau wie Angelo, widmet seiner verstorbenen Schwester Barby einen Song, „Hold My Hand“. Und Jimmy widmet ihn ihr mit den Worten, dass sie die authentischste der Kellys war, die Einzige, die sich nicht hat kaufen lassen. Eine wahre Künstlerin. Das ist brutal ehrlich und der Applaus dafür will nicht verebben.

Nach gefühlt 90 Minuten beschleicht Jimmy aber das Gefühl, dass sich ein wenig Ermüdung einschleicht. Der, beziehungsweise, die Schuldigen nach drei Jahren Pandemie-Faulheit sind auch schnell gefunden. Netflix und TikTok werden mit viel Ironie dafür verantwortlich gemacht, dass Kraft und Ausdauer schneller nachlassen und so fordert er für den Traditional Song “Wearing Of The Green” vollen Einsatz. Wer da nicht mitsingt und tanzt ist entweder taub oder, wie das ältere Paar, schon gegangen. Auch Jimmy möchte seine Tanzkünste präsentieren, wird aber schnell in den Schatten gestellt, als sein 60-jähriger Pianist an ihm vorbeidrängt und mit seiner perfekten Stepp-Einlage für eines von vielen Highlights an diesem Abend sorgt. So etwas kannte ich bisher nur aus Filmen und wenn das schon nicht einen besonderen Platz im Erinnerungsschränkchen meines Hirns findet, dann spätestens als er noch ein wunderschönes Gesangs-Solo hinterher schiebt. Ich habe mittlerweile das Gefühl, dass ich auf mindestens drei verschiedenen Konzerten bin, so vielfältig und abwechslungsreich ist die Songauswahl. Was könnte da noch fehlen? Gospel? “Hold My Beer”, denkt sich die aus den USA stammende Background-Sängerin und in bester Sister-Act-Manier bekommen wir auch noch einen, in den Kelly-Song „Lord Can You Hear My Prayer“ eingebauten, Gospel zu hören.

JIMMY KELLY, 27.05.2023, Theaterhaus, Stuttgart

Foto: Madita Nair

Ich bin wirklich vollends bedient. Auch der Rest des Publikums scheint überwältigt von diesem langen und exzessiven Abend, der so viele Facetten und Farben der Musik präsentiert hat. Von absolut talentierten und euphorischen Musikern, unterlegt mit Jimmys unverkennbarer Stimme, die vor Kraft und Hingabe nur so strotzt und jeder Menge Spaß.

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