EASTER SKA JAM, 27.03.2016, Wagenhallen, Stuttgart
An die Zeiten, als sich beim mehrtägigen Stuttgart Ska Festival die Stars der internationalen Szene die Klinke in die Hand gaben, können sich nur die Älteren unter uns erinnern. Überhaupt ist es nach dem Abebben der „Third Wave of Ska“ in den 1990ern etwas ruhiger geworden um den jamaikanischen Ur-Offbeat. Und wenn es heute relevante Events in diesem Genre gibt, dann kann man davon ausgehen, dass die eher in Berlin, Hamburg, Leipzig oder Mainz stattfinden. Umso erfreulicher, dass Moskito Promotion & Grover Records ihr traditionelles Easter Ska Jam dieses Jahr auch nach Stuttgart bringen. Kann man nur hoffen, dass das auch durch entsprechenden Publikums-Zuspruch gewürdigt wird.
Als wir gegen halbneun die Halle betreten, scheinen sich aber meine Befürchtungen zu bestätigen: Die Wagenhalle ist eher schwach besucht, und ich gewöhne mich schon mal an den Gedanken, dass der erste Stuttgarter Easter Ska Jam vielleicht auch gleich der letzte war. Glücklicherweise füllt sich die Location aber dann doch noch, so dass wir schließlich eine gut halbvolle Halle mit ausreichend Platz zum Tanzen vorfinden. Den Opener geben die Aschaffenburger T-Killas, die mit einer etwas kantigen Mischung aus Ska, Punk und Mod-Rock und fast ausnahmslos schnellen Titeln ein wenig Zeit brauchen, um das Publikum in Bewegung zu bringen. Anleihen bei den dänischen Mod-Rockern The Movement oder auch bei den Offenders sind zu erkennen und in einigen Titeln klingt Sänger Till tatsächlich ein wenig nach Lukas Sherfey. Letztlich schafft es das Quintett dann aber doch, der nachfolgenden Band ein warmgetanztes Publikum zu übergeben.
Zu meiner Überraschung stehen als nächstes The Upsessions auf der Bühne, die ich eher als Headliner des Abends erwartet hätte. Denn die sieben Holländer in ihren grasgrünen Trainingsanzügen gehören wahrlich zum Feinsten, was die europäische Ska- und Early-Reggae-Szene zu bieten hat. Mit ihrem eher traditionellen Stil (und einem deutlich besser abgemischten Sound) kommen sie nicht nur bei den zahlreichen Skinheads im Publikum sehr gut an, sie bringen auch die gesamte Halle zum Tanzen. Locker aus der Hüfte spielen sie die Hits ihrer Alben „The New Heavyweight Champion“, „Reggae Below The Belt“ und „Beat You Reggae“. Dabei spannen sie das gesamte Stilspektrum von Traditional Ska über Early Reggae und Mento bis zu Third Wave Ska auf. Nach einer knappen Stunde verlassen sie die Bühne um wenig später als The Judge Dread Memorial den dritten Act des Abends zu geben.
Verstärkt haben sie sich dafür um den Prince of Rudeness, der eigentlich Florian Strober heißt und der eigentlich der Drummer der Early-Reggae-Band The Steadytones ist. Hier und heute trommelt er aber nicht, sondern steht als Lookalike (bzw. Soundalike) der Ska-Legende und Skinhead-Kultfigur Judge Dread auf der Bühne. Judge Dread, benannt nach einer Figur der Ska-Legende Prince Buster ist die schillerndste Figur, die die britische Ska-Szene hervorgebracht hat. Alexander Hughes, wie er wirklich hieß, war ein schmieriger Türsteher und Rausschmeißer, der es in den 1970er Jahren mit einfachen Ska-Melodien und schmuddelig-sexistischen Texten zu Berühmtheit gebracht hat. Obwohl alle seine Titel auf der schwarzen Liste der englischen Radiosender standen, schaffte er es mehrfach in die englischen Top 10. Seine Songs gehören auch nach seinem Tod 1998 zum festen Bestandteil der Skinhead-Kultur und funktionieren immer noch als garantierte Dancefloor-Filler.
Der Prince of Rudeness verkörpert den fülligen Judge Dread jedenfalls in Perfektion und eine so gute Begleitband wie die Upsessions hat das Original vermutlich nie gehabt. Fans, die ihn im Original gehört haben, erzählen jedenfalls mit Schaudern von ärmlichen Voll-Playback-Shows. Das Repertoire an Hits ist riesig und mit Knallern wie „The Belle Of Snodland“, „Molly“, „Big Six“, „Big Seven“ und „Jamaika Jerk Off“ steigt die Stimmung genau so schnell, wie das textliche Niveau sinkt. Natürlich gehört es zur Folklore, zu „Up With The Cock“ ein paar „Freiwillige“ zum Schwenken von Gummihühnern auf die Bühne zu bitten und spätestens bei „Y Viva Suspenders“ (mit der Melodie von „Y Viva España“) ist das Niveau auf Volksfest-Höhe angelangt und der gesamte Laden singt mit. (Auf die Gefahr, meine Glaubwürdigkeit als Gig-Blogger mit Anspruch zu riskieren: ja das hat mächtig Spaß gemacht, und ich konnte wirklich jeden Titel mitsingen. Verbuchen wir es unter Guilty Pleasure.)
Als dann gegen halbeins der letzte Act des Abends, die 8°6 Crew aus Frankreich die Bühne betritt, hat sich das Publikum schon sichtlich gelichtet und die Franzosen übernehmen die schwierige Aufgabe, die schon leicht ausgepowerten Tänzer bei der Stange zu halten. In der ersten halben Stunde ihres Sets packen sie die eher auf Party getrimmten 2-tone-mäßigen Titel aus, was nach dem Judge-Dread-Exzess trotzdem nicht mehr richtig zünden mag. Ihre weit interessanteren reggae- und dub-lastigen Titel lassen sie leider stecken. Wir wundern uns über die seltsame Reihenfolge der Bands und machen uns nach viereinhalb Stunden massiver Offbeat-Packung vor Konzertende auf den Heimweg.