THEES UHLMANN, 22.03.2016, Im Wizemann, Stuttgart

THEES UHLMANN, 22.03.2016, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Sind Lesungen die neuen Rockkonzerte? Ein Trend oder nur ein Zufall, dass drei unserer letzten vier Berichte abseits unserer Kernkompetenz Musik liegen? Sarah Kuttner, Stefanie Sargnagel und jetzt Thees Uhlmann. Die Grenzen zwischen „ernster“ Literatur und Popkultur sind schon seit der Beat Generation eingerissen, die aktuelle Häufung schreibender Musiker ist dennoch bemerkenswert: Rocko Schamoni, Heinz Strunk, Sven Regener, Andreas Dorau und jetzt auch Schorsch Kamerun. Kulturinstitutionen wie das Merlin können inzwischen ihr halbes Jahresprogramm aus diesem Genre bestücken.

THEES UHLMANN, 22.03.2016, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Heute ist es allerdings ein Chimperator-Event und wir befinden uns in deren Veranstaltungs-Hauptquartier, im Wizemann. (Seitdem neulich jemand den Zusammenhang zwischen dem Cro-Erfolg und der Existenz des Wizemann hergestellt hat, sehe ich den rappenden Panda übrigens nochmal mit ganz anderen Augen.) Anders als Sarah Kuttner füllt Uhlmann zwar nur den kleinen Saal, für den intensiveren Genuss einer Lesung ist dies aber ohnehin der bessere Ort. Anders als bei der Lesung im örtlichen Bücherladen werden hier an der Abendkasse knackige 23 Euro aufgerufen. Was aber nichts daran ändert, dass der Saal fast ausverkauft ist. Und wofür man vermutlich vor nicht allzu langer Zeit nicht nur Uhlmann, sondern gleich seine ganze Band Tomte hätte sehen können.

THEES UHLMANN, 22.03.2016, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Komplett in Jeans, mit einem Glas Weißwein, und ganz offensichtlich wild entschlossen, den vorerst letzten Abend seiner Lesetour zu einem besonderen zu machen, betritt Thees Uhlmann kurz nach Acht die Bühne. Mit einem kurzen Statement zu den Anschlägen in Brüssel eröffnet Uhlmann den Abend und ruft die zentralen Werte einer freien Gesellschaft und somit das Motto des Abends in den Saal:

Kultur und Entertainment, ihr Motherfucker!

„Sophia, der Tod und ich“ heißt sein Erstling, ist von Fans und Kritik schon ausgiebig gefeiert worden und man darf annehmen, dass die allermeisten hier im Saal ihn schon gelesen haben. Ich nicht. Und es bleibt das alte Dilemma des lesenden Schriftstellers: wie gestalte ich den Abend, dass er den Kennern etwas bietet und die Neulinge in das Werk einführt, ohne allzu viel zu verraten? Wie Uhlmann diesen Spagat im Laufe des Abends meistert, ist wirklich große Klasse.

THEES UHLMANN, 22.03.2016, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Das ohnehin schon groteske Setting des Romans (der Tod will den Protagonisten zu sich holen, gibt diesem noch drei Minuten, wird dann durch die Ex-Freundin Sophia bei seinem Job gestört und die drei begeben sich gemeinsam auf einen absurd-komischen Roadtrip) wird durch Uhlmanns exaltierten Vortragsstil mit verstellten Stimmen und hanebüchenen Betonungen zu einem echten Event. Zwischen den Kapiteln erzählt er Episoden aus seinem Leben. („Das Buch hat überhaupt nichts mit mir zu tun!“) Diese bilden nicht nur den Rahmen für seinen Romanvortrag sondern verschmelzen immer mehr mit diesem.

THEES UHLMANN, 22.03.2016, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Und als er dann im zweiten Teil – angefeuert durch eine Flasche Weißwein – immer mehr in die freie Improvisation kommt, beträgt die offizielle Romanlesung noch maximal ein Viertel der Zeit, der Rest ist eine wilde Mischung aus Familiengeschichten, Berichten über seine Lektorin und Interviews in seiner neuen Rolle als Autor. Ein besonderes Highlight: sein denkwürdiges Treffen mit Helge Malchow, dem Leiter des Kiepenheuer & Witsch-Verlags, der ihn in einem Atemzug mit Bob Dylan nennt. Zwischenrufe pariert er meisterhaft mit locker aus der Hüfte geschossenen Bonmots wie: „Pädagogik ist, wenn ich lache“ oder „Ich respektiere Tektonik“. Oder auch: „Ewigkeit. Drunter mach ich’s nicht.“

Wenn er dann aber liest, beginnt man – trotz dieser flüchtigen Momentaufnahme – die ausgesprochen plastisch gezeichneten Figuren zu mögen. Dann entsteht sofort ein Film im Kopf. Und es würde mich – auch wenn es bisher wohl noch keine Pläne dafür gibt – sehr wundern, wenn diese Geschichte nicht irgendwann auf der großen Leinwand landen wird. Nur eines stört Uhlmann wohl an seinem Erfolg: „Dein Buch ist soooo toll.“ – „Hee, ich habe 20 Jahre Musik gemacht!“

THEES UHLMANN, 22.03.2016, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Thees Uhlmann

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