ROTTLER, MICHA SCHLÜTER, 27.01.2023, clubCANN, Stuttgart
Die beste Nachricht des Abends sickert durch, als das Konzert von Rottler in vollem Gange ist: Die Stuttgarter Zeitungen berichten offiziell, dass das Goldmark’s tatsächlich gerettet ist. Was für eine Erleichterung! Dort hätte das heutige Konzert durchaus gut hingepasst, doch der Backstage Club im clubCANN ist definitiv eine ebenbürtige Alternative. Erstaunlicherweise haben wir noch nie von hier berichtet, dabei hat das Jugendhaus hier mit viel Liebe und einer absolut amtlichen Technik eine tolle Location für kleine Gigs mit bis zu hundert Zuschauer:innen geschaffen. Quasi „Wohnzimmerkonzerte plus“.
Das Album-Debut der (nicht wirklich ganz) neuen Band Rottler zieht jedenfalls genug Publikum, um den Laden im ersten Geschoss fast bis an die Grenze zu füllen. Jugendliche befinden sich allerdings kaum im Publikum, sondern eher Best-Ager, Altrocker, Altpunks und Bohemiens, die altersmäßig exakt zur Band passen.
Der Abend startet mit einem kompakten Auftritt des Stuttgarter Songwriters Micha Schlüter. Mit Gitarre, Minischlagzeug und Reibeisenstimme gibt er bittersüße Großstadtsongs mit Lokalkolorit zum Besten, die auch beim Rockpublikum sehr gut anzukommen scheinen. In den besten Momenten erinnert er mich mit seinem rhythmischen Gitarrenspiel und ausdrucksvollem Gesang an die russische Chanson-Legende Wladimir Wyssozki.
Rottler, die Band um den nicht ganz unbekannten und hier schon mehrmals vorgestellten Christian Rottler, hatte früher den wirklich bemerkenswerten Namen „Lenin Riefenstahl“. Mit der Umbenennung glauben wir eine Neuausrichtung hin zu mehr Rock zu registrieren. Die Band geht jedenfalls ebenso vehement wie routiniert zu Werke und die geradlinigen Arrangements kontrastieren gut mit der hohen lyrischen Qualität von Rottlers Texten. (Dank des exzellenten Sounds übrigens durchgängig bestens verständlich.) Die im Vorfeld vom Kollegen bemängelte „latente Rioreiserhaftigkeit“ mag ich nicht feststellen, die Ankündigung von „Noiserock“ hat mich allerdings auch auf die falsche Fährte geführt. Keine Frage, das ist Rock härterer Gangart, auf monströse Noise-Eruptionen warte ich allerdings meist vergeblich.
Die Zwischenansagen sind charmant-schnoddrig und knapp, die Musik steht im Mittelpunkt. Klassische Rockposen haben Bassist Marc Eggert und Michael „End of Green“ Setzer zuhauf im Repertoire. Besonders raffiniert, wenn sich die Setzer’schen Dreadlocks dabei um den Gitarrenhals wickeln. Wegen des dreieckigen Raum-Zuschnitts agiert Drummer Alex Dannecker etwas abgelegen in der Tiefe des Raums, sodass ich erst ganz zum Schluss erkenne, dass er neben engagiertem Schlagzeugeinsatz auch die Backing Vocals beisteuert.
Das Set ist mit elf Titeln eher kompakt, darunter einige, die man bereits von Lenin Riefenstahl kennt. Die Dramaturgie ist geschickt, der Spannungsbogen steigt bis zum fulminanten Krach-Finale „Abstraktion“ kontinuierlich an. Dass ich dabei zwei Vertreter meines musikalischen Endgegner-Genres „Powerballade“ überstehen muss, sei verziehen. Insgesamt ist dies ein rundum gelungener, kraftvoller Auftritt, bei dem sich ein paar Rottler-Ultras sogar zum Mitsingen verleiten lassen. Nur einen einzigen kleinen Schönheitsfehler hat er: Nach einem solch spektakulären Schlusspunkt sollte man aufhören, wenn es am schönsten ist. Und sich auf keinen Fall vom Publikum zu einer Zugabe rumkriegen lassen. ;)
Das war eine überraschend tolle Location mit mehr als überzeugendem Sound. Schöner Auftakt für mein Konzertjahr.
Bilder sind großartig geworden