MARILLION, 03.11.2022, Liederhalle, Stuttgart

MARILLION, 03.11.2022, Liederhalle, Stuttgart

Foto: Patrick Grossien

Geil is something good, right?

So reagiert Steve Hogarth auf einen Fan, der zu Beginn des Konzerts seine Begeisterung herausruft. Der Sänger und definitive Frontmann der Rockgruppe (Prog-Rock, Art-Rock, …) Marillion ist ein exzentrischer Schelm und erzählt gern Geschichten. So auch an diesem Abend im Hegel-Saal der Liederhalle. Geschichten über die neue ruling class neoliberaler Zeiten (wovon die Band als Briten vermutlich – Vorsicht Wortwitz – ein Lied singen können, in We are the new Kings), das Verlassen der eigenen Komfortzone (in Be hard on yourself) oder die Frage, ob die Menschheit noch zu retten ist (in Reprogram the Genes) – Songs, die Hogarth mit einer wirklich beeindruckenden Stimmgewalt intoniert und von schauspielerisch anmutenden Posen oder auch Possen begleitet werden.

Zwischendurch erzählt er kurze Anekdoten aus dem Band-Universum oder gibt Kommentare zur chaotischen Lage britischer Politik und zum Brexit ab. Er tänzelt über die Bühne, flirtet gleichzeitig mit dem Publikum, um es direkt danach soft zu beleidigen

MARILLION, 03.11.2022, Liederhalle, Stuttgart

Foto: Patrick Grossien

we want to create something perfect here, night after night. Perfection. We don’t give a fuck about you.

Das Publikum im beinahe ausverkauften Saal nimmt es ihm nicht übel, auch wenn er mehrmals mehr Applaus einfordert

that’s not enough!

um anschließend sichtlich zufrieden darin zu baden. Marillion wurden in den 80ern berühmt mit Songs von teils epischer Breite und Länge – und bleiben sich darin treu. Erstes Stück der neuen Platte, erschienen im Mai 2022, laut Hogarth der größte kommerzielle Erfolg der Band seit 30 Jahren: bestehend aus drei Teilen, über neun Minuten lang. In dieser Hinsicht ist dann auch das Setting, also das Sitzende, absolut angemessen und mitnichten nur der mitgealterten Fangemeinde geschuldet. Das hier hat den Pathos einer Rockoper und wird zwischen den Songs mit stehenden Ovationen beklatscht.

MARILLION, 03.11.2022, Liederhalle, Stuttgart

Foto: Patrick Grossien

Steve Rothery ist seines Zeichens seit schlappen 40 Jahren virtuoser Gitarrist und verblüfft mit einer ungeheuren Klangbandbreite und nicht zuletzt mit dem perfektionierten Understatement eines Mannes, der rein gar nichts mehr beweisen muss. LeadguitarristInnen dieser Welt, bitte eine Scheibe abschneiden! Die Band wird live durch den Percussionisten Luís Jardim unterstützt, der den klangbildlichen Aspekt der Musik durch allerhand Rascheln, Scheppern, Rauschen, Zischen, Klirren und Läuten betont und dessen musikalische Biografie sich wie ein Who is Who des Pop seit den frühen 80er Jahren liest.

Das Publikum lässt sich berühren von den Geschichten dieser Band. Darum ist es wichtig, dass sie erzählt werden, dass sie live gespielt und erlebt werden.

Davon sollte man sich keinesfalls entwöhnen.

Nachtrag: Vorband waren das hörenswerte Indie-Folk Duo June Road. Und mit Geigerin Maia Frankowski betrat hier auch wenigstens noch eine Frau die Bühne.

Marillion

June Road

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