RIKI, NUOVO TESTAMENTO, 05.11.2022, Komma, Esslingen

RIKI, 05.11.2022, Komma, Esslingen

Foto: Holger Vogt

Den zunächst skeptischen Gigblog-Fotografen muss man zur Anreise überzeugen, doch es gibt durchaus Argumente. Das Debütalbum der Kalifornierin Riki fand 2020 genreübergreifend offene Ohren, auf ihrem aktuellen Zweitling covert sie gar das wunderbare „Porque Te Vas“ von Jeanette (1974), ein ewiges Lieblingslied alternder Hipster.

Auch die Supportband Nuovo Testamento, ein amerikanisch-italienisches Duo, verspricht eine Zeitreise in die selig-synthetischen 80er Jahre. Weshalb wir Gigblogger dann auch gar nicht mal die ältesten im überzeugend renovierten Saal des Esslinger Komma waren. Die rund 80 Anwesenden decken ein breites Altersspektrum ab, dominierende Textilfarbe ist schwarz – obwohl die Musik im Verlauf des interessanten Abends auch einige bonbon- und neonfarbene Tupfer zu bieten hat.

So viel vorweg: Beide Acts stecken knietief in den 80ern fest und spielen Synthie-Pop, der aus Seniorensicht nicht zwingend coolsten Sorte. Also weder Cold- noch Minimal Wave, ganz ohne Postpunk, Dark- und New Wave. Sondern schlicht und einfach Pop. Betont einfach gestrickt, hart an noch zu nennenden Vorbildern orientiert und dadurch zumindest für ältere Semester kurios und irgendwie auch total niedlich.

NUOVO TESTAMENTO, 05.11.2022, Komma, Esslingen

Foto: Holger Vogt

Nuovo Testamento eröffnen den Abend leider ohne ihren Mann an den Elektrodrums, bieten aber dennoch eine mächtige Wall Of Sound, erzeugt mit allerlei digitalen und analogen Geräten. US-Sängerin Chelsey Crowley ist zwar nicht gerade eine Soulröhre, passt aber gerade deshalb hervorragend zum dick aufgetragenen Sud aus Synthie-Pop, Italo-Disco und HiNRG.

Man erinnert sich an gerne aus Italien stammende Bands, die in den 80ern bei Formel 1 im TV zu sehen waren – exakt diese Ästhetik wird hier konsequent bedient. Die Beats klauen sie großzügig bei Depeche Mode und ein ums andere mal denkt man, dass es gleich mit „You Spin Me Round“ von Dead Or Alive weitergeht. Oder gar Kanos „Another Life“?

NUOVO TESTAMENTO, 05.11.2022, Komma, Esslingen

Foto: Holger Vogt

Der Tastenzauberer scheut sich nicht, ein buntes Potpourri der verbotensten 80er-Sounds zu präsentieren: synthetische Handclaps, elektronische Tuschs, historische Cosmic-Sounds aus der prädigitalen Ära – alle Soundklischees werden hier mit voller Wucht bedient. Ob das von allen Anwesenden als Trash-Referenz verstanden wird, wage ich zu bezweifeln. Dieses Guilty Pleasure macht tatsächlich richtig Spaß, es wird munter getanzt und in den vorderen Reihen auch beherzt mitgesungen. Keine Ahnung, welche Retro-Subkulturen hier erblühen, der Großteil des Publikums war auch den Komma-Betreibern unbekannt.

RIKI, 05.11.2022, Komma, Esslingen

Foto: Holger Vogt

Rikis Headliner-Auftritt ist dann ebenfalls nicht zwingend ein unschuldiges Vergnügen. Im heimischen Los Angeles ist sie auch als Künstlerin Niff Nawor aktiv, auch von Artschool- und Anarcho-Punk-Hintergrund ist zu lesen. Ihr Soloauftritt zum Maschinenbeat erweist sich jedoch als lupenreiner 80er-Tribut. Das Genre ist Synthie- und Elektro-Pop, dargeboten auf erstaunlich authentische, vielleicht auch naive Weise. Also im historischen Analog-Sound der frühen bis mittleren 80er, dunkel und betont romantisch bis hart kitschig. Die Peinlichkeitsgrenze ist greifbar, wird aber meistens knapp umschifft.

RIKI, 05.11.2022, Komma, Esslingen

Foto: Holger Vogt

Ihr Gesang ist kraftvoller als auf Platte, ihre Performance mutig bis exhibitionistisch. Ihre betont exaltierten Posen wirken zumindest anfangs etwas befremdlich, passen aber zur synthetischen Musik. Die Soundästhetik liegt irgendwo bei auffallend deutschen Bands wie Camouflage, Alphaville und sogar Sandra, teils singt Riki sogar radebrechend deutsche Texte, was kurios und lustig zugleich ist. Dazu hat sie auch noch Nenas Frisur geklaut.

RIKI, 05.11.2022, Komma, Esslingen

Foto: Holger Vogt

Im Vergleich zu Nuovo Testamento ist Rikis Sound eher minimalistisch, dafür hat sie aber mit „Napoleon“ und „Böse Lügen“ zwei Hitnummern zu bieten, die sich auch in cooleren 80er DJ-Sets gut machen. Beachtlich auch das Melodika-Solo (!) und natürlich ihre „Porque Te Vas“-Version mit Mambo-Beat

Rikis offensichtliche Besessenheit für einen eher schwierigen Bereich der Popgeschichte mündet in (gewollt trashigen?) Synthiepop-Nummern alter Schule – dargeboten mit viel Körpereinsatz und wenig Textilien. Ob das mutige Kunst-Performance oder vordergründige Show ist? Authentisch oder kalkuliert – man weiß es nicht genau. Vielleicht ist es gerade deshalb so ein unterhaltsamer Abend geworden.

Riki

Nuovo Testamento

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