LEWSBERG, 16.06.2022, Manufaktur, Schorndorf
Die Corona-Misere bringt manchmal auch erfreuliches hervor: So entschloss sich die motivierte Schorndorfer Manufaktur-Crew letztes Jahr pragmatisch dazu, statt infektionsgefährdeter Hallen-Konzerte einfach eine Bühne auf dem geräumigen Parkplatz vor dem Kulturzentrum aufzubauen und covidkonforme Sitzkonzerte zu veranstalten. Was waren wir damals dankbar, endlich wieder Livemusik erleben zu dürfen.
Da die Nachbarn offensichtlich mitspielen, wird das Konzept jetzt einfach fortgesetzt, wobei das Indoor-Setting einfach auf den Parkplatz übertragen wird – also mit kleinen Stehtischchen, ansonsten aber viel Platz für Bewegung. Honoriert wird das an einem herrlichen Sommerabend von fast hundert Besucher*innen, die die Band bei prinzipiell freiem Eintritt dann auch großzügig mit Spenden bedenken.
Die vom gig-blog-Pressesprecher angekündigten Stuttgarter Lewsberg-Ultras fanden sich tatsächlich zahlreich und rechtzeitig in Schorndorf ein. Wo sonst kann man vor dem Konzert im lauschigen Garten im Gras sitzen, entspannt essen und trinken, während im Hintergrund Musiker*innen in Liegestühlen rumhängen und, äh, Bücher lesen.
Die niederländische Band Lewsberg fällt auch sonst aus dem konventionellen Rockrahmen. Analog zum konsequent reduzierten Bandsound gerät auch die Bühnenperformance. Die beiden Herren an den Gitarren (oder auch mal Violine) sind fast bewegungslose Stoiker, während die Damen an Bass und Drums für (kontrollierte) Bewegung sorgen.
Die Truppe aus Rotterdam musiziert – das lässt sich kaum leugnen – sehr hart auf den Spuren von Velvet Underground. Während deren französische Epigonen The Limiñanas (vor gut drei Jahren ebenfalls in der Manufaktur zu Gast) daraus einen epischen Breitwand-Wall Of Sound machen, lassen Lewsberg alles Überflüssige weg – selbst die Melodien. Denn die Songs sind letztlich break- und bridgefreie Stilübungen in Geradlinigkeit. Dazu passen die Vocals von Frontmann Arie van Vliet, der in schönster Lou Reed-Tradition seine Texte deklamiert.
Nach dem ersten Song bittet er den Soundmann, doch bitte auch die verbliebenen Delay- und Reverb-Effekt zu tilgen: „We want it as dry as possible!“. So spielen die beiden Gitarren oft unisono klassische Velvet Underground-Riffs. Bassistin Shalita Dietrich nutzt die vorhandenen Räume für zumindest ansatzweise funky Akzente, was den Gig-Blog-Kollegen bei einem früheren Konzert an Talking Heads erinnerte.
Stoneface Michiel Klein an der zweiten Gitarre ist ein extremer Minimalist – bis er dann beim fünften oder sechsten Song unvermittelt ein exzessives Noisesolo vom Zaun bricht, das wiederum in schönster Tradition von John Cales Viola-Exzessen eben bei Velvet Underground steht. Eine Woche zuvor war Michiel übrigens mit Geo, einer seiner weiteren Bands, in der Neuen Schachtel am Nordbahnhof zu erleben.
Der Stuttgarter Lewsberg-Fanclub war sich einig, dass das eigentliche Ereignis des Konzerts aber die neue Drummerin Marrit Meinema war. Wie einst Velvet Underground-Legende Moe Tucker spielte sie – natürlich stehend – das denkbar minimalistischste Drumset, bestehend aus Snare, einer Tom und einem Schellenkranz mit Fußmaschine. Und obwohl sie in jedem Song den Beat absolut schnörkellos und schnurgerade durchspielt, entwickelt die Musik einen enormen Drive, der dank des auch im Freien gewohnt perfekten Manufaktur-Sounds einfach großartig klang. Mit diesem ebenso einfachen wie fantastischen Beat im Rücken bekommt die ohnehin sehr formstrenge Musik den letzten Kick.
Fazit: Lewsberg waren die perfekte Band für einen sommerlichen Ausflug nach Schorndorf. Hoffentlich bald wieder.