PATTI SMITH, 13.06.2022, Freilichtbühne Killesberg, Stuttgart
Das Konzert von Patti Smith auf der immer wieder wunderschönen Freilichtbühne Killesberg musste covidbedingt leider zweimal verschoben werden. Für manchen Rockstar im reiferen Alter mag das ein Problem sein, nicht aber für die mittlerweile 75-jährige New Yorkerin. Es lässt sich auch nicht leugnen: Ich bin durchaus skeptisch, ob sie es nach ihrem rundum famosen Auftritt vor acht Jahren an selber Stelle noch drauf hat.
Im Nachhinein ist mir das schon arg peinlich, denn schon mit den ersten Tönen des gewohnt reggaelastigen Openers „Redondo Beach“ ist klar, dass Patti Smith das Alter nichts anhaben kann. Ihrer Stimme schon gleich gar nicht – die leicht herbe Brüchigkeit ist faszinierend und sehr einnehmend. Was auch am kristallklaren Killesberg-Sound liegt: Man versteht jedes einzelne Wort der Künstlerin. Ob bei den gutgelaunten Ansagen, in krachigen Songs oder Spoken Word-Momenten.
Sie wirkt frisch und motiviert, kokettiert gekonnt mit ihrer künstlerischen Reife. Mal hält sie uns Schwaben für Frankfurter, mal erklärt sie eine kleine Pause mit vehementem Blasendruck und verpatzt auch mal einen Einsatz – so ist das nun mal beim Punkrock! Und die gelegentlich zittrigen Knie hatten ja schließlich schon aus Elvis einen markanten Performer gemacht. Dafür tänzelt sie über die Bühne, spuckt und rotzt in schönster Punk-Tradition auch mal auf den Boden.
Ihre Band spielt entspannt, aber auch mal richtig laut. An den Gitarren ihr Sohn Jackson sowie ihr Altersgenosse und langjähriger Wegbegleiter Lenny Kaye, der einst auch dafür berühmt wurde, dass er die erste „Nuggets“-Compilation mit psychedelischem Garagenpunk veröffentlichte. Die Musiker um den Punkpionier lassen Patti auch mal mit dem Hendrix-Cover „Stone Free“ pausieren, bei „I Wanna Be Your Dog“ von Iggy & The Stooges lässt sie sich die letzten Songzeilen aber nicht nehmen. Lenny Kaye wurde übrigens vor dem Konzert in einem der cooleren Plattenläden in Stuttgart (in der Olgastraße) gesehen, wo er jedes Mal vorbeischaut, wenn er im Ländle ist.
Auch die Songauswahl stimmt: Gecovert wird Bob Dylan, Klassiker und nicht ganz so bekannte Nummern halten sich die Waage. „Dancing Barefoot“ und „Because The Night“ werden gespielt, „Frederick“ und „Rock’n’Roll Nigger“ leider nicht. Überraschender Höhepunkt ist ein rezitiertes Gedicht des Beatpoeten Allen Ginsberg: Auch wer es wie ich nicht so sehr mit der Lyrik hat, das war ein magischer Moment mit 3.500 gefesselten Zuschauer*innen, man konnte sogar die Vögel im Park zwitschern hören.
Am Schluss dann endlich ihre sicher bekannteste Songzeile: „Jesus died for somebody’s sins but not mine“, die sie vor 47 Jahren ihrer Version von Van Morrisons „Gloria“ vorausschickte – Gänsehaut pur und danach kein Halten mehr. Patti Smith ist auch heute noch das verbindende Element von Beat Generation und (Proto-)Punk, auch wenn ihre Musik dabei oft genug Radiorock im besten Sinn war und ist.
Ihr Auftritt ist nicht nur mich eine beglückende und versöhnliche Veranstaltung mit fast ausnahmslos reiferem Ü-40er*innen-Publikum. Direkt vor mir steht ein etwas jüngerer Punk mit seiner Mama. Hoffentlich kommt Patti Smith bald wieder, ich habe keinerlei Zweifel, dass sie es auch nächstes Mal noch drauf hat.