NECKARIONS, THE WORM REDUCER, 30.04.2022, Scheune, Sindelfingen
Das Fazit an gleich zu Beginn. Zitieren wir mal wieder Eddie Argos: „Punkrock ist nicht tot!“. Und dafür wird es an diesem denkwürdigen Abend gleich drei eindrucksvolle Beweise geben.
Fangen wir mit der Location an. Als angereiste Stuttgarter staunen wir nicht schlecht, dass es in Sindelfingen außer Daimler und IKEA auch eine Altstadt mit echten Fachwerkhäusern gibt. Noch mehr staunen wir, dass sich in einem dieser Fachwerkhäuser der Club befindet, der sich auf Facebook etwas umständlich „Die Scheune – Traube-Upgrade Sindelfingen“ nennt und der tatsächlich die Nachfolge der legendären „Traube“ beheimatet. Drinnen gibt es Holzfachwerk im Überfluss, ganz viel Patina, eine lange Theke und dahinter den sagenumwobenen Wirt, vor dessen rustikalem Charme wir gewarnt wurden, der uns aber – nicht allzu unfreundlich und vor allem flugs – mit Bier versorgt. Kurzum: die perfekte Location für kernigen Punkrock.
Zweites Lebenszeichen des Punk: The Worm Reducer aus der Punk-Hochburg Reutlingen, die ihren Garage Punk mit einer Minimalbesetzung aus Bass und Drums auf die Minibühne bringen. Wer hier jetzt denkt, „Ah, Reutlingens Antwort auf Royal Blood“, der wird schnell eines Besseren belehrt. Was O-Lee am Schlagzeug und Rod-Jah K am Viersaiter und diverser Elektronik produzieren, ist musikalisch und gesanglich aufs Knappste reduziert, knochentrocken, dauert selten länger als zwei Minuten und geht den anwesenden Tanzenden direkt ins Bein. Nach 15 Songs in 35 Minuten ist der Spaß schon vorbei und der Laden auf Betriebstemperatur. Eine klare Empfehlung als Support für einen Punk-Gig im Goldmarks, würde ich sagen.
Aus dessen Stammpublikum rekrutiert sich hier übrigens ein guter Teil der Anwesenden und so wundert es nicht, dass Stuttgarts Punk-Haudegen Neckarions quasi ein Heimspiel haben und begeistert mit einem kleinen Instant Moshpit empfangen werden. In dessen Mitte befindet sich von Anfang an Ivan, der stimmgewaltige Frontmann. Bereits vor zwei Jahren haben wir im Kap Tormentoso die schon fast beängstigend intensive Präsenz des muskelbepackten Texaners erleben dürfen. Hier aber, wo er beim besten Willen nicht mehr auf der Bühne unterzubringen ist und deshalb mitten im Publikum agiert, fürchte ich kurz um die Unversehrtheit der Anwesenden, als er beginnt, wild mit dem Mikroständer zu fuchteln.
Die Band, bestehend aus Basti am Bass, Helge an den Drums (wir kennen die beiden von Unbite) und Maddi an der Gitarre, hat sich seit besagtem Kap-Gig ziemlich umbesetzt, ist nun auf ein Quartett geschrumpft und hat vor allem mächtig an Präsenz und Druck gewonnen. Das ist klassischer Punkrock amerikanischer Prägung, schnörkellos und voll auf die zwölf. Nichts für musikalische Feingeister, aber ein Fest für die anwesende Punkgemeinde, die jeden Song feiert (und sich teilweise sogar zu Singalongs hinreißen lässt). Dass die neuen Songs von der angekündigten EP in Qualität und Intensität nahtlos dort weitermachen, wo die des Erstlingsalbums „The Rise of…“ aufgehört haben, zeigt, dass der Song-Fundus noch lange nicht ausgeschöpft ist.
Der Gig entwickelt sich prächtig zu einer schweißtreibenden Angelegenheit für alle Beteiligten, der Druck ist durchgängig hoch, die Stimmung ausgelassen-familiär. Mein persönliches Highlight ist „Howling Surf“, das mit seiner Surfgitarre eine zusätzliche Klangfarbe bringt.
Wenn es noch eines weiteren Beweises bedurft hätte, dass Punk nicht tot ist, die Neckarions haben ihn mit Nachdruck erbracht. Ok, ein wenig alt ist er vielleicht geworden. Alle Beteiligten, seien es die Musiker, der Wirt oder auch der größte Teil des Publikums, haben die – sagen wir mal wohlwollend – dreißig mehr oder weniger deutlich überschritten. Wenn aber an der richtigen Location die richtigen Leute aufeinandertreffen, dann ist der Punk lebendiger denn je.
Wonderful! Es war!