30 Jahre SUMPFPÄPSTE, 15.10.2016, Bastille, Reutlingen
30 Jahre Sumpfpäpste! Supersause! Freier Eintritt. Punk bis zum Abwinken & billiges Dosenbier! Im Traditionsjugendhaus. In Reutlingen. Mit alten Säcken und jungen Punks, die’s wissen wollen. Mehr als genug Gründe, sich ins Auto zu schwingen und eine Reise an die Echaz zu machen. Kein geringerer als Veranstalter-Legende und – wir erinnern uns gerne – MARS-Kulturpreis-Träger ;) Micha Schmidt ist nämlich Frontmann der Reutlinger Punk-Kapelle. Und Live-Auftritte in der Urbesetzung von anno 1986 sind wahrlich selten.
Schon die Ankunft im Jugendhaus Bastille – einer alten Fabrikantenvilla in einem kleinen Park – ist vielversprechend: authentische Konzert-Mitschnitte aus dem letzten Jahrtausend flimmern über eine Leinwand, ein Original-Konzertbanner von 1991 ziert die Tanzfläche. Liebevoll gestalteter Merch – besonders apart das „30-Jahre-Sumpfpäpste-Rotztuch“ – wird zu äußerst freundlichen Preisen dargeboten. Das Publikum hat seine aktive Jugendhaus-Zeit vermutlich ebenfalls vor etwa 30 Jahren hinter sich gelassen. Die Stimmung ist trotzdem glänzend. Punks in feinsten Nietenklamotten sind ebenso dabei wie Skins und Altrocker.
Auch das Programm verspricht viel Spaß: vier regionale Support-Band spielen Coverversionen der Sumpfpäpste, bevor dann eben diese zuerst in der Originalbesetzung und im Anschluss daran in der aktuellen Besetzung auftreten. Den Reigen eröffnen Stragula mit schrägen Keyboard-Billigsounds und Taschentrompete. Der Klassiker „Driving Fast“ wird auch prompt mit trashigen Latin-Rhythmen veralbert. Können sie sich aber erlauben, schließlich ist Stragula-Frontmann Rod Schneller auch Gründer der Sumpfpäpste.
Space Heinkel sind auch nicht mehr die Jüngsten und scheinen eine feste Größe in der Reutlinger Musik-Szene zu sein. Mit ihrem druckvollen Indierock bringen sie jedenfalls ordentlich Stimmung in die Bude und Sänger Armin nimmt sich die Sumpfpäpste-Hits „Berlin Wall“ und „Punching Ball“ zur Brust.
Rampage Kids teilen sich den Proberaum im Keller der Bastille mit den Sumpfpäpsten und sind die erste „echte“ Punkband an diesem Abend. Sänger Felix erinnert stimmlich ein wenig an Jello Biafra und schon nach wenigen Minuten entwickelt sich die erste Pogo-Runde, die allerdings extrem lustig, schon fast ein bisschen kuschelig ausfällt.
Krasser Stilwechsel dann bei Casket: Death Metal mit mächtig viel Growling. Nicht unbedingt mein Ding, wird aber vom Publikum freundlich aufgenommen. Zeit für ein weiteres Dosenbier.
Dann endlich die Stars des Abends: die Sumpfpäpste in Originalbesetzung. Ich bin nicht sicher, ob ich sie schon mal gesehen habe, eventuell 1989 auf dem Rohrer Seefest; der seltsame Bandname war mir aber durch die allgegenwärtigen Bäpper und Plakate, z.B. im Klo der Kultkneipe Casino, bekannt. Inzwischen ist das Jugendhaus jedenfalls rappelvoll, mächtig warm ist es, Bierpfützen auf dem Boden, Bierdunst in der Luft. Nur das Rauchverbot macht den Unterschied zu einem Punk-Konzert in den Achtzigern.
Die größte Überraschung: was für eine Rampensau Micha Schmidt ist. Der ruhige, zurückhaltende Veranstalter, wie wir ihn von unzähligen Konzerten zu kennen glauben, entpuppt sich als veritabler Frontmann, der seine Texte mit Macht dem Publikum ins Gesicht schreit. Auch wenn einige Schlagworte wie „Nato-Doppelbeschluss“, „Pershing“ oder „Berliner Mauer“ bei den jüngeren Besuchern eher Ratlosigkeit verursachen dürften, für uns alten Zausel ist es geradezu beklemmend, wie aktuell die Inhalte und Stimmung der alten Punk-Titel auch nach dreißig Jahren leider noch sind. Eines wird mir allerdings auch schlagartig klar: warum Micha immer noch mit schöner Regelmäßigkeit Bands bringt, die ihm garantiert nicht die Taschen füllen, aber eindeutig politisch Stellung beziehen. Wie zum Beispiel die Modrocker The Movement, deren T-Shirt er heute Abend trägt. Nach acht Titeln – die komplette Musiccassette von 1988 – geht mit „Raise Your Fist“ ein denkwürdiger Jubiläumsauftritt zu Ende.
Gitarrist Rod Schneller ist der einzige, der die gesamten dreißig Jahre dabei war und er steht nun mit der aktuellen Besetzung zum dritten Mal auf der nicht vorhandenen Bühne. Im Wesentlichen machen sie da weiter, wo der Urbesetzungs-Gig geendet hat, nur noch härter und schneller. Und vor allem mit der Sängerin Katha – die mit ihren beeindruckenden Spikes den alten Frontmann nicht nur optisch aussticht – sondern auch stimmlich beeindruckender ist.
Und irgendwie geht mir an diesem Abend Eddie Argos nicht aus dem Sinn: „Punk Rock ist nicht tot!“
Sehr schöner Bericht und Bilder, das waren früher schon schöne Zeiten in der Bastille oder der alten Zelle.
danke für den schönen bericht! noch ne impression:
https://youtu.be/qSzPo8nsfmM
Unbedingt sehenswert. Die gerade erschienene Doku „30 Jahre Sumpfpäpste“: https://www.youtube.com/watch?v=k8OnqooSsSw