BRTHR, KARWENDEL, 30.04.2022, Merlin, Stuttgart

Sie ist wieder in Fahrt gekommen, die Live-Kultur, und natürlich hat man schon während der diversen Wellen gemerkt, was da wirklich fehlt und warum man jahrelang sich in wahlweise leere oder überfüllte Clubs und Hallen begeben hat. Noch mehr merke ich nun, da es wieder viele Möglichkeiten gibt, wie sehr ich es genieße, ein Teil eines Konzertabends zu sein – die Vorfreude und die Dynamik der Musik und der Reaktionen zu spüren. Über die ersten beiden Konzerte nach dem Frühjahrsbeginn hätte ich unter keinen Umständen schreiben wollen. Da wollte ich alles aufsaugen und genießen, was auch sehr gute geklappt hat bei Bilderbuch und The War On Drugs (beide in Wiesbaden).

Nun also endlich wieder ins Merlin: Ohne große Vorbereitung, ein paar Tage vorher verabreden, Freunde treffen, vertraute Gesichter sehen, schöne Musik hören. Und schöne Musik war auch angesagt, da BRTHR mit ihrer aktuelle EP „Be Alright“ in heimischen Gefilden gastierten. Das Duo Philipp Eissler und Joscha Brettschneider ist für mich seit ihrem Album „A Different Kind Of Light“ mit Levin Goes Lightly zusammen die Band aus Stuttgart, bei der der Grad der Bekanntheit um ein Vielfaches höher liegen müsste, als er es momentan ist.

Als Vorband spielen Karwendel aus Hamburg. Zuerst vermute ich, Karwendel könnte irgendeine Figur aus Ottfried Preußlers Gesamtwerk sein, es ist aber „eine Gebirgsgruppe der Nördlichen Kalkalpen. Es liegt zum größeren Teil in Tirol, zum kleineren in Bayern“, wie mir Wikipedia verrät. Zu fünft (Gesang/Akustikgitarre, Bass, Drums, Keyboard/Geige/Gesang, Saxofon) werden eher introvertierte Songs gespielt, welche die großen Fragen und Antworten des Lebens thematisieren. Das erinnert, auch wegen der Instrumentierung und Sebastian Króls Gesang etwas an Gisbert zu Knyphausen und man merkt, was Knyphausen auf seinen ersten beiden Alben ausmacht: Geschichten zu erzählen. Das gelingt in diesem Fall nicht so ganz, was aber auch daran liegen kann, dass ich einen Teil der Texte nicht verstehe – was besonders im Fall der angesprochenen Introvertiertheit der Musik dann sehr schade ist.

Ansonsten fällt schon jetzt eines auf: Das Merlin war in den letzten beiden Jahren nicht untätig. Der Sound wirkt druckvoll und klar und auch das Bühnenlicht hat einen wirklich hervorragenden neuen Anstrich bekommen. Ein Klarer, voller Sound ist natürlich immer von Vorteil, aber für Bands wie BRTHR oder Krawendel mit ihren ruhigen, filigranen Songs vielleicht noch etwas mehr. Denn so ist trotz aller leisen Töne immer noch genügend Druck da. Und BRTHR wissen das in ihrem Set zu nutzen. Das Merlin ist inzwischen gut gefüllt, die Stimmung bestens und das Publikum lässt sich in den folgenden 1 ¼ Stunden auf die Musik ein – und diese fließt wunderbar dahin. Es fühlt sich so an, wie in ein frisch bezogenes Bett zu liegen, zuzudecken und zu wissen, dass man am kommenden Tag nicht früh aufstehen muss.

BRTHR gelingen es immer wieder ihre Songs in deren Verlauf zu verwandeln. Oft eröffnen fast schon zarte Klänge die Songs, zu denen man sich ein paar Takte später unbedingt bewegen muss und was das begeisterte Publikum auch macht. Und auch eine weitere Richtung gibt es zu bestaunen, die ich als Hörer der Alben freudig aufnehme: Immer wieder werden die Songs genutzt, um deutlichen musikalischen Druck aufzubauen, indem Bass und Schlagzeug sehr überzeugend das präzise schaukelnde Fundament legen, auf dem vor allem Joscha Brettschneider aus dem leisen musikalischen Filigran ein lauteres und druckvolleres zu gestalten. Aber immer so, dass die Verbindung zum bedachten Fundament nie abreißt. Somit gelingt ein Konzert, das dazu führen wird, dass zusätzlich zu den heimischen Alben auch die Live-Auftritte von BRTHR immer wieder auf meiner Konzert-Liste stehen werden.

BRTHR

Karwendel