AMELI IN THE WOODS, 08.08.2020, Altes Schloss, Stuttgart

AMELI IN THE WOODS, 08.08.2020, Altes Schloss, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

„Das letzte Konzert vor der Virenpause?“ Als ich dies am 11. März über den Gig von Sokoninaru im Climax schrieb, hätte ich kaum erwartet, dass es fast fünf Monate dauern würde, bis wir endlich wieder von einem Konzert berichten können. Und wir hatten damals wirklich keine Ahnung, wie Konzerte in Zeiten der Pandemie aussehen würden. Um das Fazit vorwegzunehmen: Vieles ist anders, aber längst nicht alles schlechter.

Was für ein wunderbarer, warmer Sommerabend! Draußen startet das Samstagabend-Freiluftparty-Programm, wir sitzen mit knapp hundert weiteren Gästen im ruhigen Innenhof des Alten Schlosses, auf Liegestühlen unter Sonnenschirmen, schlürfen unser gut gekühltes Rosé-Schorle und warten entspannt auf Ameli in the Woods. Gerade mal die Hälfte des wunderschönen Neo-Renaissance-Hofs wird für das Mini-Open-Air-Konzert benötigt. Er ist sehr luftig bestuhlt und eine stattliche Bühne wurde neben dem Standbild Graf Eberhards installiert. Ganz schön luxuriös und ein Versprechen auf gehobenen Musik-Genuss.

AMELI IN THE WOODS, 08.08.2020, Altes Schloss, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Die Mannheimerin Milana Fink aka sekundengefuehl eröffnet den Abend. Ihre minimalistischen Songs baut sie mit Keyboard und Loopmaschine auf, mit sparsamen Effekten und sehr viel Raum für ihre wirklich tolle Stimme. Den Klassiker „Scarborough Fair“ untermalt sie mit einem leisen Windhauch, darüber lässt sie ihre Stimme mäandern, und was wir bisher nur in der Simon & Garfunkel-Version kannten, lässt ganz deutlich den Ursprung als englische Volksweise aus dem 16. Jahrhundert erkennen. Ein sehr stimmungsvoller Auftakt und ein geschmeidiger Einstieg für das konzertentwöhnte Publikum.

AMELI IN THE WOODS, 08.08.2020, Altes Schloss, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Als Ameli in the Woods die Bühne betreten, ist die Sonne untergegangen und die Temperaturen im Schlosshof, in dem sich sonst kein Lüftchen bewegt, sinken langsam. Franziska Ameli Schuster, „Frontfrau“, Trägerin des Landesjazzpreises und musikalisches Multitalent, platziert sich ganz bescheiden am linken Bühnenrand. Die Mitte überlässt sie Marvin Holley an der Gitarre, der den Abend mit den sphärisch-verhallten Riffs von „Moon“ eröffnet. Ein Titel, der sich über knapp zehn Minuten entwickelt und die ganze Klasse dieser Band präsentiert. Franziska Schuster ist stimmlich ohnehin eine eigene Liga, aber auch die Rhythmussektion gehört zum Allerfeinsten. Daniel Mudrack spielt sehr variantenreich ein knochentrocken abgemischtes, meist gedämpftes Schlagzeug. Vom straighten Beat bis zu Breakbeats, Triphop oder gar Dub-Anklängen spannt er den Bogen. Und mit Sebastian Schuster am Kontrabass hat er eine kongenialen Partner. (Übrigens Franziskas Bruder und ebenfalls mit dem Landesjazzpreis ausgezeichnet. Geradezu unheimlich, soviel Musikalität in einer Familie.) Nach knapp fünf Minuten groovt der Sound mächtig und zum ersten Mal erwische ich mich bei dem Gedanken, dass dies als Stehkonzert in einem schwitzigen Club sicher ein bewegungsreicher Gig wäre.

Die unbändige Spielfreude ist unübersehbar. Gleichzeitig verblüfft mich, mit welcher Mühelosigkeit die Band ohne jegliche Live-Routine diese doch ziemlich komplexe Musik über die Rampe bringt. Bei „Suitcase“ schiebt der MoPho-Bass-Synthesizer mächtig und spontan träume ich von einem Doppelkonzert mit Netzer. Ob man es nun „Nujazz“ oder „Indie Jazz“ nennt, beiden gemeinsam ist das Überschreiten musikalischer Grenzen, die virtuose Verschmelzung von „klassischen“ Instrumenten und Elektronik und das Zielen auf Hirn, Bauch und Beine.

AMELI IN THE WOODS, 08.08.2020, Altes Schloss, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Höhepunkt des Konzerts wird dann eine genial dekonstruierte Version von „Sound of Silence“. Bass-Synth, allerlei Percussion-Geklapper und Gitarren-Riffs schleichen sich rein in einen finsteren Sound, über den die Sängerin die berühmten Zeilen des Simon & Garfunkel-Klassikers singt, bis sich das Ganze in einen kathartischen Beat auflöst. Das ist ganz große Kunst und man kann nur hoffen, dass auch dieser Titel den Weg auf das gerade in Produktion befindliche Album findet.

Nach zwei Zugaben und gut Eineinviertel Stunden endet ein Konzert, das einfach glücklich macht. Hervorragende Musiker, ein tolles Ambiente und – nicht zu vergessen – Techniker, die in der langen Konzertpause nicht verlernt haben, einen exquisiten Livesound zu produzieren. Die Veranstaltungsreihe Sommer im Schloss des Landesmuseums Württemberg hat mit diesem, vom Popbüro veranstalteten, Konzert jedenfalls einen echten Höhepunkt bekommen. Und wer es verpasst hat, kann sich den Livestream dazu auch nachträglich noch anschauen.

Ameli in the Woods

sekundengefuehl / Milana Fink

Ein Gedanke zu „AMELI IN THE WOODS, 08.08.2020, Altes Schloss, Stuttgart

  • 10. August 2020 um 20:48 Uhr
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    Milana , sehr schön, Du hast super gemacht, ich wünsche Dir , dass Du , meine Tochter, bleibst immer so, wie die Sonne, hell und warm, ehrlich , interessant, ganz Besonders …Ich habe viele tolle Komentare von meinem Bekanntschaft erhalten, danke Dir für so einen sommerlichen Abend in nicht einfache Zeit …

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