JOHN WATTS, 09.08.2020, Kastellsommer, Römerkastell, Stuttgart

JOHN WATTS, FISCHER-Z, 09.08.2020, Römerkastell, Stuttgart

Foto: Martin Schniz

Warum ich eigentlich bei dieser Mörderhitze lange Hose trage, fragen mich die Freunde mitleidig. Es ist kurz vor 19:00 Uhr, der riesige Hof des Römerkastells brät in der Abendsonne, die Temperatur dürfte über 35 Grad liegen. Das sei ja wohl klar, entgegne ich. Auf dem gesellschaftlichen Parkett trage ein Mann niemals kurze Hosen, zumal nicht in meinem Alter. Da könne man sich ein Beispiel an der britischen Etikette nehmen. Never ever trüge dort ein Gentleman Shorts. Neunzig Minuten später betritt John Watts die Bühne des Kastellsommers. 65 Jahre alt, in Ehren ergrautes New-Wave-Urgestein, in Turnschuhen, bunten Socken, Stachelbeer-Beinen und Schlabber-Shorts. Shocking, my dear! Selbst auf die Briten ist stilmäßig kein Verlass mehr!

JOHN WATTS, FISCHER-Z, 09.08.2020, Römerkastell, Stuttgart

Foto: Martin Schniz

Mit der kurzfristigen Verpflichtung des Frontmanns von Fischer-Z ist den Veranstaltern jedenfalls ein sehr schöner Überraschungs-Coup gelungen. Im sich zart entwickelnden Konzertgeschäft des Corona-Sommers ein wenig internationaler Glanz im sonst eher regional geprägten Programm. Die locker bestuhlte und liebevoll gestaltete Fläche vor der Phoenixhalle ist gut besetzt, wenn auch leider nicht ganz ausverkauft. Das Publikum dürfte John Watts ausnahmslos aus den frühen 1980ern kennen und einige ganz hartgesottene Fans haben sich auch eingefunden.

JOHN WATTS, FISCHER-Z, 09.08.2020, Römerkastell, Stuttgart

Foto: Martin Schniz

Kombiniert wird der Solo-Gig mit einem Set des Projekts hörprobe, das aus den beiden DJs Zeljko und Ingo (OZ etc.) besteht. Gegen Ende ihres 90-minütigen Sets bereiten sie mit Wave-Klassikern den Boden für den Fischer-Z-Frontmann. Sehr schön. Nostalgisches Grinsen auf vielen Gesichtern.

JOHN WATTS, FISCHER-Z, 09.08.2020, Römerkastell, Stuttgart

Foto: Martin Schniz

John Watts ist vor lauter Spielfreude kaum zu bremsen. Punkt halb neun entert er die Bühne und legt nach einer kurzen Begrüßung umgehend los. „The Worker“, einer seiner vielen Hits, ist der perfekte Opener und er hat das Publikum sofort. Die Rede, die die Veranstalterin eigentlich noch halten wollte, wird unter allgemeinem Gelächter nach dem ersten Song nachgeholt. Und dann packt Watts ein Programm aus, dass dem echten Fan das Herz aufgeht. Anders als bei seinem Club-Gig im Wizemann verzichtet er weitgehend auf aktuelle Songs (die den alten in Qualität übrigens kaum nachstehen), dafür hat er sich heute vorgenommen, selten Gespieltes auszuprobieren. Und so kommen die begeisterten Fans in den Genuss solcher Preziosen wie „Remember Russia“, „From Luton to Lisbon“ oder den Highspeed-Kracher „Limbo“.

JOHN WATTS, FISCHER-Z, 09.08.2020, Römerkastell, Stuttgart

Foto: Martin Schniz

Natürlich fehlt auch keiner der Hits. „Room Service“, „Berlin“, „In England“, „Going Deaf For A Living“, „Battalions of Strangers“, „So Long“ – die Dichte an erinnerungsträchtigen Songs aus meiner musikalischen Prägungsphase ist enorm. Und es beeindruckt, wie wenig die Band bei diesem Solo-Auftritt fehlt. Im Gegenteil: die Reduziertheit bekommt den Songs sehr gut. Fischer-Z, das ist nun mal John Watts‘ unverwechselbare (und kaum in die Jahre gekommene) Stimme, seine direkte Art und seine sehr rhythmisch gespielte Gitarre. Wären wir nicht unter freiem Himmel, könnte man sich fast wie bei einem Pub-Konzert fühlen. Gut neunzig Minuten geht das Programm, natürlich abgeschlossen mit „Marliese“, dem Kracher, der damals auf keiner Party fehlen durfte. Und, wenn ich beim nächsten Mal wählen dürfte zwischen einem großen Band-Gig oder John Watts solo, ich würde mich wieder für zweiteres entscheiden.

JOHN WATTS, FISCHER-Z, 09.08.2020, Römerkastell, Stuttgart

Foto: Martin Schniz

Ein Fazit nach dem ersten richtigen Konzertwochenende mit zwei Gigs. Wenn die Veranstalter die Hygiene- und Abstandregeln so gewissenhaft einhalten wie hier (oder auch am Samstag im Alten Schloss), kann man sich als Besucher durchaus wohlfühlen. Natürlich sind die Konzerte anders, die Stimmung eher etwas zurückhaltend. Weniger Exzess und Bierdusche. Dafür aber auch keine Konzertschwätzer, Drängler und furzende Vorderleute. Dem Liebhaber maximalen Musikgenusses kann ich Corona-Konzerte dieser Art auf jeden Fall empfehlen. Besseren Sound und bessere Sicht gibt es selten. Und auch in einem locker besetzten und gut belüfteten Club kann ich mir Konzerte vorstellen. Nur der Gedanke an die Kasse der Veranstalter trübt diesen Genuss. Denn dass sich dies auf die Dauer niemals tragen kann, ist leider nur allzu offensichtlich.

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