HELLDORADO-FESTIVAL, 17.11.2018, Klokgebouw, Eindhoven

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Foto: Carsten Weirich

„Helldorado – The Incredible Rock & Roll Freakshow“ steht dieses Wochenende auf dem Programm. Weil das Line-Up mit ein paar echten Punkrock-Schwergewichten aufwartet und weil wir die Location beim wundervollen Speedfest (R.I.P.) lieben gelernt haben. Also die etwas zu kleine Mietkarre vollgepackt mit fünf bestens gelaunten älteren Herrschaften, bissle Bier und flotter Musik und ab geht’s Richtung Niederlande. Zum guten Ton gehört sich die komplette Fahrt wüst zu beschimpfen und durch sinnfreie Halbwahrheiten zu glänzen. Den anderen die Vorliebe für Arthauskino erklären zu wollen, sollte man besser unterlassen. Geht nach hinten los. Genauso wie seriöse Gespräche am Handy, wenn die anderen mithören können. Geht auch nach hinten los. Ja große Klappe haben, das kriegen wir noch ganz gut hin. Der Punkrockkürbis ist immer noch saftig. Bissle. Denn der Körper hält schon nur noch so halbgut mit. Der Eine kann bei Nacht nicht fahren, der Andere nicht wenn ihm die Sonne ins Gesicht scheint, der Dritte wegen einem Augenmalheur gleich überhaupt nicht. Allen tut der Rücken weh, die Knie sowieso, aufs Klo muss auch immer einer. Egal, wir lachen viel und sind in wilder Vorfreude.

In Eindhoven angekommen fluchen wir erstmal wild und unchristlich auf das versch….. Glow-Lichtkack-Festival. Weil wir wegen den Menschenmengen und gesperrter Straßen nicht zu unserem Hotel durchkommen. Mit üppiger Verspätung schaffen wir es dann irgendwann aber doch. Noch ein bisschen raus, was essen, paar Bierchen trinken, einen Absacker an der Hotelbar nehmen und wir liegen wohlig schlummernd in unseren Betten. Der Samstag beginnt dann erstmal mit einem deftigen Frühstück (klare Nr.1 bei uns: Eier in sämtlichen Aggregatszuständen) und der leicht zermürbenden Suche nach einem Supermarkt im Stadtzentrum. Einer der beiden Papas in unserer Runde (übrigens der, auf dessen Shirt in großen Lettern „Teach your children to worship Satan“ geschrieben steht) ist auf der Suche nach den Lieblings-Schokostreuseln seiner Kinder. Muss er mitbringen. Sonst gibt’s schlechte Laune daheim. Und wo man dann schonmal im Supermarkt steht, kann man sich gleich noch Schmerztabletten zu Spottpreisen rauslassen. Gibt es hier rezeptfrei. Und kann man ja immer brauchen. Früher wegen heftiger Zechereien, heute wegen Altmännerwehwehchen. Noch ein kleiner Powernap und dann geht’s endlich los zum Klokgebouw.

Dort werden in den nächsten rund zwölf Stunden Bands, Wrestler, Artisten, Tänzerinnen und Comedians auf den vier Bühnen mit den Rock’n’Roll-affinen Namen Tarantula, Cobra, Lion und Cockroach Comedy Chapel Vollgas geben. Wenn man zwischendrin mal ein wenig runterkommen will oder einen der Hunger übermannt, kann man sich auf einer der Bierbänke in der Food Area niederlassen und was von den gar nicht mal so üblen Fressbuden snacken. Ein zwielichtiges Orakel kann man hier auch befragen. Ich verzichte. Los geht es mit The Devils, einem italienischen Punkrock-Duo, das im Wrestling-Ring aber mal richtig draufknüppelt. Schlagzeugerin Erica Volgare im Latex-Nonnen-Outfit und Gitarrist Gianni Puzzadidio als Lederpriester machen auch optisch was her. Heftiger Start in den Festivaltag, wenn auch nicht ganz meine Tasse Tee. Nicht weniger skurril wird es danach bei Vurro, einer ziemlich durchgeknallten One-Man-Band aus Spanien. Den drahtigen Körper in eine Latzhose gekleidet und das Gesicht hinter einem Kuhschädel versteckt, macht er sehr unkonventionellen Schamanen-Honkytonk-Rock’n’Roll. Vurro spielt auf zwei Orgeln, Drums und Sound-Pedale werden mit den Füßen gekickt, die Becken mit den Kuhhörnern auf seinem Kopf geschlagen und an seinen Ellbogen hängen Glocken. Heraus kommt eine Mischung, die spektakulär schräg ist und von der ich nicht so recht weiß, wie ich sie finden soll. Auf so einem Festival aber auf alle Fälle einen Besuch wert.

Weiter geht es zur The Death Do Us Part Dangershow. Das ziemlich ansehnliche Ehepaar Charlie und Rachel Atlas erfindet mit ihrer Schwertschluck- und Messerwurfnummer das Rad zwar nicht gerade neu, aber dank viel Charme, Humor und nackter Haut ist das dann doch eine ziemlich gelungene Mischung. Kommt jedenfalls an. Und grundlos wurden die ja nach 2017 nicht nochmal eingeladen. Skurril… nicht weit entfernt von der Bühne sitzt der etwas traurig dreinblickender Clown Johnny auf einem Wassertank. Besucher versuchen ihn mit möglichst exakten Würfen in die zwei Zielzonen ins Wasser zu befördern. Schafft keiner auch nur ansatzweise, solange ich zuschaue. Kaum wende ich mich ab, höre ich dann das Klatschen von Clown auf Wasser. Wir ziehen weiter zu The Dahmers, meinem ersten echten Highlight heute. Die vier als Skelette verkleideten hageren Schweden haben sich nach dem Kannibalen aus Milwaukee benannt und machen tatsächlich mörderisch guten Garage Punk, der heftig nach vorne geht, aber auch immer schön eingängig bleibt. Kann man schön mit grölen und geht in die Beine. Tolle Neuentdeckung für mich. Da bleib ich dran.

Beim Rock’n’Roll Wrestling Bash schauen wir nur kurz rein. Catchen war eh noch nie so mein Ding, auch wenn das hier natürlich unterhaltsam gespickt ist mit fetten E-Gitarren und halbnackten Tänzerinnen und so. Irgendein Maskierter hat einen anderen Maskierten auf der Schulter, dreht sich im Kreis, lässt ihn auf den Boden fallen und schmeißt sich hinterher und so. Kennt man ja. Also weiter zu Lucifer aus Schweden. So bissle 70er-Rock’n’Roll mit Nicke Royale am Schlagzeug, dem ein oder anderen vielleicht bekannt von Entombed oder den Hellacopters. Fand ich so bei der Youtube-Recherche gar nicht mal so übel. Live ist mir das aber schnell zu viel. Die Sängerin, die ihr langes blondes Haar posermäßig im Luftstrom des Ventilators wehen lässt, erinnert mich optisch und gesanglich dann doch zu sehr an Doro Pesch. Es folgt der Auftritt der Picturebooks aus Gütersloh. Über die hatte ich recht viel Gutes gelesen und mir vorab auch ein paar Videos angeschaut. Staubtrockener Bluesrock, oder sowas in der Art. Vor allem „Zero Fucks Given“ hat es mir schwer angetan. Live gefällt mir vor allem der ziemlich wahnsinnig reindreschende Schlagzeuger Philipp Mirtschink. Laut Internet hat er keine Becken am Schlagzeug und verwendet Perkussionsinstrumente für die Höhen. Aha, okay. Wenn die das sagen. Ist schon schmissig was die machen und die Fans sind ziemlich begeistert. Aber für meinen Geschmack auf Dauer dann doch ein wenig zu eintönig. Hätten gern mal einen Zahn zulegen dürfen. Und Sänger Fynn Grabke hätte wegen mir auch die ein oder andere große Rock-Geste verzichten können.

Wir ziehen weiter zum Cirque Du Mort, der von einer leicht bekleideten Burlesque-Dame mit Schweinemaske ankündigt wird. Die Show bietet viel nackte Haut, Feuerjonglierereien und komplett sinnloses aber lustig anzuschauendes Kreissägen-Spiel auf der E-Gitarre. Das Publikum applaudiert während auf der Bühne die Funken fliegen. Das hier und da mal eine Fackel nicht brennen will, nimmt jedenfalls keiner krumm. Kacke, vor lauter Ablenkung haben wir den Auftakt der Dwarves verpasst. Und die lassen es richtig stattlich krachen. Bissle in die Jahre gekommen sind sie zwar, aber das bringt die Zeit halt so mit sich (die haben sich immerhin schon in den späten 80ern gegründet, damals noch unter The Suburban Nightmare). Sänger Blag Dahlia (genau der, der mal von Queens Of The Stone Age-Frontmann Josh Homme eine Flasche über den Schädel gezimmert bekam), Bassist Nick Oliveri (Ex-Kyuss und Ex-Queens Of The Stone Age) und ihre Band reißen das Publikum mit ihrem politisch so gar nicht korrekten und ziemlich schnellen Punkrock mit, während sich wahlweise ein Mitglied des El Guapo Stuntteams auf der Bühne anzündet oder gleich scharenweise halbnackte Tänzerinnen mitrocken. Der Moshpit tobt und Fans lassen sich auf Händen über die Köpfe der anderen hinweg tragen. Das Helldorado startet durch.

Da mitzuhalten wird schwer werden für die legendären Supersuckers. Aber ich erwarte eh nicht all zu viel nach dem letzten blutleeren Auftritt im Goldmarks. Cha Cha sag ich da nur. Ja okay, das war ihre Countryshow und ich stehe ja mehr auf die Punkrockstücke der Amerikaner. Also nochmal eine Chance geben dem Trio. Beim Auftritt ihrer Kollegen The Dwarves standen sie neben uns. Und ich habe mich noch gewundert, wer da bei extrem schwachem Licht wie der Babo mit Sonnenbrille rumläuft. Aber gut, was weiss ich schon vom Rockstarleben. Jetzt da auf der Bühne sehen sie ein wenig aus wie die unsäglichen Boss Hoss featuring den nicht minder unsäglichen Thomas Hayo. Quasi: nach der Geburt getrennt. Ja ok, nach Rückfrage bei meinen Freunden wird mir klar, dass ich wohl der einzige bin, dem die verblüffende Ähnlichkeit auffällt. Aber über wen the one and only Mr. Lemmy Kilmister „If you don’t like the Supersuckers, you don’t like Rock’n’Roll“ sagt, der muss schon was können. Und von Danko Jones werden sie schließlich auch extrem verehrt. Also Vorurteile beiseite und Augen geradeaus. Ok, für den misslungenen Start in den Abend können sie nichts. Der Gesang von Eddie Spaghetti ist viele Minuten lang so gut wie gar nicht zu hören. Irgendwann wird das Malheur dann aber gottseidank behoben. Und ja ok, die rocken teilweise schon die Supersuckers. Bei „Pretty Fucked Up“ zum Beispiel. Ich vermisse leider das grandiose „Stuff’n’Nonsense“ und die ein oder andere große Rockgeste hätten sie sich dann auch noch sparen können. Aber gut, konnte man schon anschauen. Und mit besserem Sound wäre das sicher nochmal eine Nummer größer geworden.

Weiter geht es zu den Seattle Speed Kings Zeke. Die knüppeln mit ihrem verdammt schnellen schwer metallbeiinflussten Punkrock ziemlich brutal auf das Publikum ein. Die Songs sind dabei meist kurz, manchmal weniger als eine halbe Minute. Bei dem Tempo reicht das aber auch um ordentlich Arsch zu treten. Wir haben uns jetzt erstmal eine Pause verdient: was zu futtern, das ein oder andere Bierchen, mal bissle die Füße hochlegen und das bunte Treiben beobachten. Der Klokgebouw ist voll mit Metallern, Punks, Skins, weniger auffällig gekleideten Fans und vor allem Unmengen an Mitgliedern der Turbojugend, die den Jacken nach aus halb Europa angereist sind. Nicht mehr lang und sie können ihre Idole Turbonegro ordentlich abfeiern. Die Stimmung im Klokgebouw ist gelöst und äußerst friedlich. Wir fühlen uns pudelwohl. Nur die Gogo-Tänzerin, die mit ihrem gitarrespielenden Muskelboy die Tische durchtanzt und Tequilla-Shots verteilt, verstört uns. Bitte nicht an unseren Tisch kommen, bitte nicht an unseren Tisch kommen.

Schnell noch ein Bierchen geholt und dann geht’s ab zu meinem absoluten Festival-Highlight… Mr. Danko Jones! Unglaublich diese kanadische Rampensau. Vom ersten Ton an hat er das Publikum mit seinem bluesigen Punkrock fest im Griff. Der Moshpit dreht zu satten Gitarrenriffs seine Runden während Danko auf der Bühne gewohnt kraftvoll und unglaublich charmant den Ton angibt. Wir grölen „Do you kiss on the first date?“ und es fällt mir zunehmend schwerer die Füße still zu halten. Als dann die ersten Töne von „Had Enough“ angestimmt werden, drücke ich meine Freunde beiseite und stürme nach vorne. Deckung hoch und rein in die Menge. Eigentlich wollte ich meine Pogoschuhe schon an den Nagel hängen, nachdem mein letzter Tanz bei den südafrikanischen Pop-Punkerinnen The SoapGirls in München mit ein paar gebrochenen Rippen endete. Geht hier und heute aber nicht. Ich erkläre den Rücktritt vom Rücktritt und lass mich treiben. Ich werde rumgestoßen und stoße herum, stecke ein und teile aus, recke ziemlich oft die Fäuste in die Luft und gröle mit so laut ich kann. Es hagelt Bierduschen, Tritte vors Schienbein und Fäuste in die Seite. Ich habe Leute im Arm, die ich gar nicht kenne und mit denen ich mich eben noch gefetzt habe. Was ein Brett!  Leider ist das Spektakel schon viel zu früh vorbei und ich gehe glücklich und leicht angeschlagen zurück zu meinen Freunden. Die Blessuren zähle ich erst am nächsten Tag.

Die letzten Takte unseres Tages werden die norwegischen Death-Punker Turbonegro anstimmen. Die liebte ich früher heiß und innig wegen ihres abgefahrenen, provokanten Stils und natürlich dem Jahrhundertalbum „Apocalypse Dudes“, auf dem eigentlich jedes Stück ein Mitgrölhit ist. Was danach kam, hatte mich aber nicht mehr so wirklich begeistert. Als dann auch noch Sänger Hank von Helvete weg war, habe ich sie komplett aus den Augen verloren. Angesichts der unzähligen Turbojugendanhänger dachte ich eigentlich, dass der Klokgebouw hier und heute komplett abgerissen wird. Hält sich aber in Grenzen – den Moshpit habe ich heute schon stattlicher gesehen. Die Norweger haben das Spielen nicht verlernt und schmeißen sich in ihren lustigen Outfits gewohnt gekonnt und ironisch in große Rock’n’Roll-Posen. Nur: die neuen Songs hauen mich einfach nicht mehr vom Hocker und so gehen mir nur die wenigen alten Hits, die sie heute spielen (z.B. „The Age Of Pamparius“), richtig in die Beine. Egal, netter Abschluss eines rundum gelungenen Festivals. Ich gönne mir noch einen Mitternachtssnack und dann ziehen wir verdammt zufrieden zurück zum Hotel. Und am nächsten Tag wird es heimgehen mit den anderen vier müden, großmäuligen Arschgeigen im viel zu kleinen Auto und stundenlang Ramones in den Ohren. Danke je wel Helldorado! Wir sehen uns in einem Jahr.

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Foto: Carsten Weirich

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