30 JAHRE KOMMA, 15.07.2017, Komma-Areal, Esslingen
Das Kulturzentrum Komma in Esslingen genießt durch drei Dinge einen sehr guten Ruf: gesellschaftliche Vielfalt, das Eintreten gegen sämtliche Diskriminierung sowie ein visionäres Musikprogramm – und das nun schon seit 30 Jahren. Das sollte am vergangenen Samstag gebührend gefeiert werden, auch wenn der Termin zwischen dem alljährlichen Sommerfest und einer Veranstaltung mit der Zeitschrift „Jungle World“ vielleicht nicht ganz optimal liegt. Aber auch das zeichnet das Komma aus: Aus nicht immer perfekten Umständen das Beste zu machen und manchen Widerständen zu trotzen.
Und so präsentiert sich das Komma auch an diesem Samstag: Offen, bunt, progressiv. Im Hinterhof toben am frühen Abend Kinder fröhlich durch die Gegend, die Mitglieder des Esslinger Standorts der Motorrad-Vereinigung „Kuhle Wampe“ stellen Bilder ihrer bewegten und aktiven Geschichte aus und thematisch passend werden gleich nebenan Antifa-Muffins und -Kuchen verkauft. Dazu erklingen Songs des aus Villingen-Schwenningen stammenden Singer-Songwriters „Marius“, den sich die meisten in den Liegestühlen des Stadtstrands anhören. Kurz danach beginnt auch das Programm vor dem Komma-Areal, genauer gesagt vor der Spinnerei und dem Kommunalen Kino (in dem später noch die Dokumentation „A Bunch of Kunst“ über die Sleaford Mods gezeigt wird), wo eine Reggaeton-Kombo aufspielt, welche die Proberäume des Kommas nutzt. Zunächst noch etwas zurückhaltend, werden die 8 Musiker*innen immer spielfreudiger und schaffen es dadurch, zahlreiche Passanten zum Zuhören und Tanzen zu animieren.
Der etwas durcheinander geratene Zeitplan will es leider so, dass wir von Albert Schnauzer, der auf Betreiben des Feierabend-Kollektivs auftritt, leider nur zwei Songs hören, die allerdings das Verlangen kräftigen, bei Gelegenheit mehr von ihm zu hören. Eine raue, kräftige Stimme und sehr komische, teils groteske Texte. Im Anschluss spielt an selber Stelle noch Bea Bacher einige ihrer Songs, zusammen mit dem sie begleitenden Musiker Leonhard Hell. Seitens Komik bietet ihr neuer Song über ihren Hund ebenfalls einiges und passt damit sehr gut zur Szenerie des Ortes: Aus dem Vereinsheim heraus muss sie mit ihrer klaren, schönen Stimme immer wieder mit Rückkopplungen, Martinshörnern, extrem nachklingenden Gitarrensaiten und Rasern zurechtkommen. Im Hintergrund der „Bühne“ befinden sich sowohl die Bar als auch die Toilette sowie ein Portrait Bertold Brechts. Seitlich vor der Bühne verrichtet ein Schwenkgrill unnachgiebig seinen Dienst. Es gibt Salzstangen und Flips. Eine Lichtorgel orgelt und gibt doch kein Licht. Das alles stört aber gar nicht, denn es ergibt in der Summe einen Ort und eine Stimmung, die aufgrund des Nicht-Perfekten perfekt ist.
Das Programm im großen Saal deckt schließlich den Bereich des Progressiven ab. Marcus von Korb-Modular steht vor einem Aufbau, der so aussieht, als sei es die Abschlussarbeit seiner Ausbildung zum Elektriker. Unzählige Steckverbindungen und blinkende Lämpchen türmen sich vor ihm auf und das Set beginnt mit einem Rauschen und Knacken. Ganz langsam und mit faszinierender Beharrlichkeit entstehen durch zahlreiches Stecken von Kabeln, Drehen von Knöpfen und Kippen von Schaltern Geräusche, schließlich Töne. Es ist faszinierend zu beobachten, wie hier elektronische Musik „handgemacht“ wird, und zu lauschen, wie sich diese Klänge aufbauen, ineinander verschieben und irgendwann abnehmen und verschwinden. Ganz langsam baut sich ein Beat auf, an dem man sich als verwöhnter Konsument sonstiger elektronischer Musik gerne festhält.
Etwas irdischer wird es bei ago, die mich mit ihrem Set wirklich überzeugen. Manuel Minniti und Robin Wörn zaubern, unterstützt von Felix Schäfer an den Drums, eine druckvolle Mischung aus Wave, Post-Punk und Techno-Elementen in den Saal, die sichtbar niemanden ruhig stehen lässt. Mit Synthesizer, teilweise Bass und Gitarre, teilweise mit akustischen und elektronischen Drum-Sounds spielen „ago“ präzis arrangierte Songs. Dass kein Gesang vorhanden ist, stört mich bei den Songs, die ich mitbekomme, in keinster Weise und ein Besuch eines Konzerts der Formation steht ab jetzt weit oben auf dem Zettel.
Als Abschluss des Live-Programms betritt Theresa Stroetges die Bühne, die man im April an selber Stelle als Teil der Band „Soft Grid“ erleben konnte. Mit ihrem Solo-Projekt „Golden Disko Ship“ bewegt sie sich musikalisch irgendwo zwischen den beiden vorigen Acts. Durchaus tanzbare Beats und Sounds sind auf dem Laptop programmiert, wozu Stroetges sowohl experimentelle Gitarrensounds spielt als auch singt. Und auch hier werden die Zuhörer*innen aus ihrer musikalischen Komfortzone gerissen: Texte sind nicht ersichtlich, sondern Gesangselemente, die dazu noch von extremem Hall beinahe unkenntlich gemacht werden. Im Hintergrund sind Videos von Alltagssituationen zusehen, aus einem Aquarium heraus aus der Perspektive der Fische oder von einer Person, die durch einen See schwimmt. Für mich in Summe doch etwas zu experimentell und performance-lastig, muss ich gestehen, aber durchaus sehenswert.
Das Publikum verteilt sich im Anschluss auf die Tanzflächen im großen Saal oder in die Kneipe „fünfbisneun“, an die Bar oder in den Innenhof. Es bleibt der Eindruck eines Abends, an dem man sehen und spüren konnte, welch wichtige Rolle das Komma und das ganze Zentrum in der Kulturlandschaft Esslingens und der Region einnimmt.
Toller Text und super Bilder!
Danke für das tolle Review