SOPHIE HUNGER, 14.09.2016, Scala, Ludwigsburg
Sophie Hungers Lieder gehören zu denen, die nicht als Putzhintergrundmusik taugen. Man muss sich ihnen ganz hingeben, denn sie sind voll Poesie und musikalischer Raffinesse. Es ist schwer, über die Schweizerin mit der einzigartigen Stimme zu schreiben, ohne Superlative zu verwenden. Sie ist so unglaublich talentiert, spielt ausgezeichnet Piano, Bluesharp und Gitarre, spricht vier Sprachen fließend und man hat das Gefühl, sie wurde so geboren und musste nichts dafür tun.
Das Konzert in der Ludwigsburger Scala beginnt in fast vollkommener Dunkelheit mit dem titelgebenden Stück der aktuellen Scheibe „Supermoon“. Ein sehr intensiver und vielversprechender Start. Beim zweiten Song wird es ein wenig heller, im Anschluss begrüßt uns Sophie Hunger und erzählt von 2009, als sie das erste Mal hier aufgetreten ist. Damals habe sie noch niemand gewollt und für sie war es ein universelles Gefühl, außerhalb der Schweiz aufzutreten. Sie wirkt bei der Sache ein bisschen flapsig und leicht beleidigt, aber das ist irgendwie charmant.
Der Blick ins Publikum erstaunt mich ein bisschen, wenige sind um die 25, die meisten sind jenseits der 45 und es geht hoch bis so etwa 70. Vom Mittzwangziger über den Althippie bis zum Opernfan ist scheinbar alles vertreten. So eine Vielfalt hat man bei Konzerten doch eher selten. Und heute erlebe ich das erste Mal seit langer Zeit, dass keine bis kaum Smartphones zum Filmen oder Fotografieren in die Höhe gehalten werden, zumindest sehe ich nur zwei. Das Publikum ist im Moment und wird wohl im Kopf behalten, was sonst auf Speicherkarten untergeht.
Die meisten Lieder sind von der aktuellen Scheibe, ein paar ältere wie „1983“, „Sophie Hunger Blues“, das sie alleine mit Akustikgitarre darbietet, oder „Das Neue“ stehen natürlich ebenfalls auf der Setliste. Bei ihrer Version von „Le vent nous portera“ scheint es mir, als ob sie dieses Lied noch viel besser versteht als „Noir Desir“, von denen das ebenfalls großartige Original stammt. Sie singt es mit einer Stimme, die dem Wind gleicht.
Sophie Hunger wechselt fast bei jedem Stück das Instrument, von Akustik- zu Elektrogitarre – auf der sie manchmal seltsam und doch klangvoll rumrupft – dann sitzt sie wieder am Piano und hält anschließend wieder eine Akustikgitarre in der Hand und hat ein Bluesharpgestell um. Letzteres scheint sie ein wenig zu nerven, sie beschwert sich, dass es so viele Dinge gibt, die sich verändert haben, wie z.B. Kopfhörer. Nur dieses Gestell ist noch immer nicht „kabellos“.
Klar, dass man – wenn man so gut ist – ebenso gute Musiker um sich schart. Und auch klar, dass der Mann an den Rhodes auch mal zum Flügelhorn greift und der Bassist noch Klarinette spielt. Und singen können sie auch alle, was sie immer wieder mehrstimmig unter Beweis stellen. Der Drummer und der Gitarrist bleiben konsequent bei einem Instrument, dafür hat der Gitarrist eine bemerkenswert schöne Hose an, eigentlich das einzige auffällige Kleidungsstück auf der Bühne, aber das nur so nebenbei.
Am berührendsten finde ich Sophie Hungers Lieder in Schweizerdeutsch und Deutsch, „Die ganze Welt“ ist hinreißend, sie ist bei diesem Lied so intensiv, dass ich fast zittere. Leider vermisse ich das von mir heißgeliebte „Z´Lied vor Freiheitsstatue“, dafür gibt es das abwechselnd gesprochen und gesungene „Heicho“, in dem sie sich ihrer Mutter erklärt und das vom Publikum erwartungsgemäß als Zugabe verlangte todtraurige „Walzer für niemand“.
Alles, wirklich alles, ist sensationell gut arrangiert und gespielt, Sophie Hunger ist für mich eine der – jetzt kommt er, der Superlativ – größten Sängerinnen, Liedererfinderinnen und sie ist live einfach der Knaller. Und dennoch würde ich mir von ihr und ihren Musikern manchmal, nur manchmal, ein bisschen weniger Perfektion wünschen.
Sophie Hunger