THE WHO, 12.09.2016, Schleyerhalle, Stuttgart

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Foto: Steffen Schmid

Oje, das ist schade. Denn sie klingen altbacken wie vorhersehbar, die Songs nämlich, die dem Publikum in der Schleyer-Halle nach ausführlichen Ankündigungen entgegengeworfen werden. Interessant ist das alles nicht, bestenfalls handelt es sich vielleicht um soliden Power Pop im Hymnengewand. „Oasis sind dagegen Zwölftonmusik“, stänkert der geschätzte Kollege L. und hat damit gar nicht mal Unrecht, auch wenn ich mitunter an Liam Gallaghers bereits beerdigtes Projekt Beady Eye denken muss; die Posen sind großspurig und überladen, das Polka-Dot-Hemd zum klassisch gestreiften Boating-Blazer des Sängers mit der Modfrisur zu viel des Ganzen – erst recht, wenn man den Bassisten im Tank Top als Kontrast sieht. Gleichwohl; die angestaubt klingenden Lieder kommen bei den Zuschauern blendend an. Ich langweile mich währenddessen, was vielleicht aber auch daran liegt, dass ich The Who seit 2007 nicht mehr live gesehen habe… Ich war 15 und das Konzert der legendären Band in Fulda mein erstes überhaupt. Keine Band – außer vielleicht die Beatles (natürlich) –  war für meine musikalische Selbstfindung wichtiger und liegt mir dadurch mehr am Herzen. In der Folge fällt mein Urteil über die Slydigs aus Warrington zwischen Manchester und Liverpool eventuell eine Spur zu hart aus, doch bleibt mir von ihrem gut 45-minütigen Support-Set musikalisch nichts im Gedächtnis – ein Auftritt zum Vergessen.

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Foto: Steffen Schmid

Es ist 21:06 Uhr. Das Saallicht geht aus und Scheinwerfer illuminieren die beiden Protagonisten auf der Bühne. „Hot, hot, hot!“, ruft Pete Townshend. Die ersten Worte, die der legendäre Gitarrist mit dem weißen Bart und den wenigen Haaren spricht, sind Programm: Der Schweiß läuft bei den Besuchern der fast ausverkauften Schleyer-Halle in Strömen. Man könnte es Pete Townshend nicht verdenken, wenn er das rote Einstecktuch aus der Brusttasche des schwarzen Hemds ziehen würde, um sich das Gesicht trocken zu wischen, bevor er auch nur einen Akkord angeschlagen hat. „Wie geht’s? Wie geht’s?“, ruft der 71-Jährige zweimal auf Deutsch. „Fucking hot!“, antwortet er selbst. Entgegen der langjährigen Tradition eröffnet der Evergreen „Who Are You“ vom gleichnamigen 1978er Album die Konzerte der „Back to the Who Tour 51!“ und nicht die Kinks infizierte erste Single, der Mod-Rock-Klassiker „I Can’t Explain“ von 1964, der gestrichen wurde. Dafür spielt man das wunderschöne „The Kids Are Alright“ vom Debüt-Album „My Generation“, das besser gealtert ist als das berühmte Titelstück mit der zum Idiom gewordenen Zeile „I hope I die before I get old“, wie der unmittelbare Vergleich zeigt. Dazwischen spielt man aber erst einmal „I Can See For Miles“, eine Single vom Konzept-Pop-Meisterwerk „The Who Sell Out“ von 1967. Der Song sei überall ein Hit gewesen, außer im Vereinigten Königreich, wie Townshend, jenes humorvolle Pop-Genie im blasierten Tonfall des ehemaligen Art-School-Absolventen und Besitzer einer 40 Meter langen Superyacht berichtet. Kurz nach Erscheinen bezeichnete Townshend den Song in einem Interview als „the loudest, rawest, dirtiest song the Who had ever recorded“, was Paul McCartney anspornte einen lauteren Song mit den Beatles aufzunehmen. Ohne „I Can See For Miles“ gehört zu haben, schrieb er „Helter Skelter“, das heute als Blaupause für den Heavy Metal gilt. Am Ende der Studioaufnahme kann man Ringo Starr ob des wuchtigen Spiels fluchen hören: „I got blisters on my fingers“. Ringos Sohn Zak Starkey wiederum ist in seinem Schlagzeugspiel dem legendäre Who-Drummer Keith Moon ähnlicher als seinem Vater. Moon – mit Starr eng befreundet und Zaks Pate – schenkte dem Achtjährigen kurioserweise einst sein erstes Schlagzeug, sodass es nur konsequent ist, dass dieser seit Mitte der 1990er sein Nachfolger ist.

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Foto: Steffen Schmid

Neben den Beatles und den Rolling Stones ist The Who wohl die wichtigste britische Rockband der ersten Generation und bis heute spannend anzusehen. Dass das keine Selbstverständlichkeit ist, zeigt der Blick auf viele Altersgenossen. Sieht man die Band nun live, so muss man sich die Qualität umso deutlicher vor Augen führen, bedenkt man den viel zu frühen Verlust von Schlagzeuger Keith Moon, der 1979 32-jährig verstarb, und den Tod von Bassist John Entwistle vor 14 Jahren, Musiker, die zu den besten Rockinstrumentalisten auf ihrem Feld gehörten.

Möchte man die Klasse der aktuellen Who-Liveband beschreiben, so kommt man nicht um Lobeshymnen auf Zak Starkey herum. Der 51-Jährige ersetzt den energetischen Keith Moon mit enormer Wucht und großer Spielfreude. Doch auch Weltklasse-Bassist Pino Palladino, der seit John Entwistles Tod Bestandteil der Begleitband ist, begeistert. Pete Townshends 15 Jahre jüngerer Bruder Simon ist ein souveräner Rhytmusgitarrist und guter Backround-Sänger und die zusätzlichen Keyboarder überzeugen auch im Harmonie-Gesang.

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Foto: Steffen Schmid

Seit jeher galt Pete Townshend als ein komplexer Pop-Vordenker. Mit „Tommy“ und „Quadrophenia“ schuf er Meilensteine der Rockoper. Dazwischen war jedoch ein ambitionierteres Werk geplant. Das Projekt nannte er „Lifehouse“ und die Idee dahinter war so verkopft, dass sie den Mitmusikern unverständlich erschien und Townshend selbst beinahe den Verstand verlor. Im Nachhinein habe er sich so etwas wie das Internet vorgestellt, erwähnte Townshend in der Vergangenheit wiederholt. Auch in der Schleyer-Halle führt er dies erläuternd vor einem Song an. Jemand in der ersten Reihe kennt die Geschichte. „Relay“, ruft er dann rein. Townshend kanzelt ihn ab, mit gespielter Hochnäsigkeit und ein wenig Entrüstung. Es folgt ein schöner Song, der Daltrey Raum zur Stimmentfaltung gibt und vor den später auf dem Meisterwerk „Who’s Next“ veröffentlichten „Lifehouse“-Relikten „Bargain“ (Townshends liebstes Stück aus dieser Phase, wie er den Stuttgartern berichtet) und der populären Ballade „Behind Blue Eyes“, die einem nicht mal das furchtbare Limp-Bizkit-Cover madig machen kann, perfekt auf die Setlist passt. „Join Together“ – inklusive Maultrommel-Intro – und der US-Nummer-1-Hit „You Better You Bet“ folgen vor einem „Quadrophenia“-Zwischenspiel. Die aufeinanderfolgenden Stücke „5:15“, „I’m One“, „The Rock“ und „Love Reign O’er Me“ gehören fraglos zu dem Besten, was ich in den letzten Jahren live gehört habe. Vor allem das wunderbare Instrumental „The Rock“ und das bombastische „Love Reign O’er Me“, bei dem Daltrey zu Höchstleistungen aufläuft, begeistern nachhaltig und zeigen einmal mehr, welch‘ großartige Songs auf „Quadrophenia“ enthalten sind. Auf den HD-Großbildschirmen flackern Sequenzen aus der Hochzeit der Mod-Bewegung in den frühen 60ern und der Verfilmung des Albums. Sieht man die Bilder erneut, so wundert man sich nicht, dass der Film ob seines Soundtracks und seiner Geschichte Ende der 1970er ein Mod-Revival auslöste, das auch mich als Teenager 25 Jahre später erfasste.

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Foto: Steffen Schmid

Vor einer Auswahl aus „Tommy“-Stücken, singt Townshend „Eminence Front“, den einen vorzeigbaren Song des von Fans und Kritikern verhassten Albums „It’s Hard“, während Daltrey E-Gitarre spielt. „Amazing Journey“, das instrumentale „Sparks“ sowie das von Townshend gesungene „Acid Queen“ und der Überhit „Pinball Wizard“ lassen die „Tommy“-Geschichte aufleben. Daltrey, der Rocker, der froh war mit „Tommy“ das zugeknöpfte Mod-Korsett abzustreifen, zeigt mit weitaufgeknöpften Hemd, dass er auch mit 72 stolz auf seinen muskulösen Brustkorb ist und verschmilzt wieder mit der Rolle des Protagonisten, die er auch in Ken Russels greller Verfilmung mimte. Mit klarer und starker Stimme besingt er schließlich Tommys Katharsis in „See Me Feel Me / Listening To You“, bevor er in den Synthesizer getragenen „Who’s Next“-Favoriten „Baba O’Riley“ und „Won’t Get Fooled Again“ noch einmal alle Stimmgewalt mobilisiert. Das ist beeindruckend und fantastisch. Townshend lässt die Arme Windmühlen-artig kreisen, wie er es in den Rock eingeführt hat, rutscht auf den Knien über die Bühne, Daltrey sinkt zu Boden, setzt zum legendären Urschrei des letzten Songs an und versetzt das Publikum in Staunen. Es folgen einige brachiale Feedback-Gewitter, die Instrumente bleiben natürlich heil. Zugaben gibt es keine, stattdessen verabschieden Townshend und Daltrey, die überlebenden Zwei die Bühne nach über zwei Stunden und hinterlassen glückselige Gesichter.

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Foto: Steffen Schmid

Neun Jahre Pause zwischen meinen beiden Audienzen bei Daltrey/Townshend waren eigentlich zu lang und The Who in dieser Form zu gut, um aufzuhören. Allerdings wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass es sich bei der aktuellen Tournee um die voraussichtlich letzte handeln würde. Im Frühling stehen noch eine Handvoll Konzerte in England auf dem Programm. Es soll „Tommy“ im akustischen Gewand mit Gästen aufgeführt werden. Den Auftakt machen zwei Termine zugunsten des Teenage Cancer Trust in der Royal Albert Hall. Der Vorverkauf beginnt in Kürze und London ist immer eine Reise wert. Ja, es juckt mir in den Fingern. Oje!

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