JACCO GARDNER, 26.05.2015, Kranhalle, München
Gerne diskutieren wir blogintern das very first world problem, wie denn Stuttgart jetzt eigentlich als Konzertstandort zu bewerten sei. Viele vergeben ein „sehr gut“, man wisse ja gar nicht mehr wohin vor lauter Konzerten, ein Blick in den Konzertkalender genüge, andere Großstädte hätten auch nicht mehr zu bieten. Stimmt ja auch alles, hängt aber auch ein wenig von den musikalischen Vorlieben ab. Bei mir reicht’s nur für eine solide „2,5“, denn wenn ich schaue, welche Musik welcher internationalen Bands gerne und häufig bei mir läuft, und wo diese Bands spielen, dann heißt es eben häufig: in Stuttgart nicht. War letztes Jahr bei Tame Impala und Erlend Øye so, dieses Jahr hätte ich gerne Rumer gesehen, aber zu Jacco Gardner schaffe ich es nach München.
Die Kranhalle ist, München typisch, ein sehr schöner Auftrittsort: gute Größe im quadratischen Format mit einer großen, gut einsehbaren Bühne. Oft sind wir nicht in dieser Stadt, aber bisher waren die Auftrittsorte immer sehr feine, gut geschnittene Plätzchen. Als der Support Manel Rodriguez gegen 20 vor Neun die Bühne betritt, sind vielleicht so ca. 50 Personen anwesend, die einen bemerkenswerten Auftritt zu sehen und zu hören bekommen.
Manel begleitet sich auf einer akustischen Gitarre, und singt mit ihrer außergewöhnlichen Stimme eigene Lieder. Präziser, sie singt mit ihrer wirklich sehr außergewöhnlichen, tollen und ergreifenden Stimme eigene, ungewöhnliche und sehr gelungene Lieder. Mensch, der nur alleine mit Gitarre musiziert, finde ich im Normalfall eher unspannend. Manels Musik aber schafft es interessant zu klingen.
Manches klingt leicht folkig, gerne mal melancholisch ohne aber ins allzu besinnliche abzugleiten. Es gibt im kurzen Set aber auch eine Art verstörenden Blues zu hören. Auf jeden Fall gleicht kein Stück dem anderen. Und letztendlich ist es ihre herausragende Stimme, die Art wie sie die Stellen betont, die das Ganze so herausheben. Die Stimme, irgendwo zwischen der Band Nouvelle Vague und Beth Gibbons angesiedelt, ist wirklich herausragend. Da nimmt man ihr auch die kleinen, nervositätsbedingten Unsicherheiten auf der zu stumpf abgemischten Gitarre genauso wenig übel, wie das noch nicht sehr routinierte Auftreten samt unabsichtlich-unsubtiler Zugabenaufforderung. Das hat sogar auch Charme, weil eben klar ist, dass die Musik einfach gut ist, und jemand weniger Gedanken auf professionelles Auftreten verschwendet. Wäre vielleicht auch was für unsere Wohnzimmerfraktion in Stuttgart.
Vielleicht ist es nur ein Zufall, weil wir die letzten Wochen einiges aus dem Genre hatten, vielleicht ist es aber tatsächlich auch so, dass psychedelische Musik in all ihren Variationen (New Candys, The Vickers, Jamhed, Robyn Hitchcock, Oracles) zur Zeit einen kleinen Aufschwung erlebt. Der Holländer Jacco Gardner erfreut sich dabei bei mir und tatsächlichen Musikfeinschmeckern (Arnd Zeigler, Chris Evans u. Carlos Valderrama) seit seinem Debütalbum „Cabinet Of Curiosities“ großer Beliebtheit. Gibt allerdings auch andere Connaisseure (Eric Pfeil, Madame P.), die damit weniger anfangen können. Ich bin Fan, umso mehr da mich das gerade erschiene „Hypnophobia“ fast noch mehr begeistert als das eh schon tolle Debut.
Halb zehn geht es los, und man braucht nicht mehr als die erste Minute, um zu kapieren, dass das hier absolut brillant ist. Die fünf Manneken benutzen rein analoges Gerät, das schon mal faszinierend gut klingt. Der Sound ist absolut perfekt, nix zu laut oder zu leise, man hört jede Kleinigkeit, und trotzdem hat das Ganze Druck. Spätestens nach dem zweiten Song „Clear The Air“ ist man komplett angefixt von der Schönheit dieser Musik.
Jacco pflegt ja eine sehr melodische Variation der psychedelischen Musik, die dank Verwendung von Clavicembalo-Sounds bei einigen Songs ein wenig Richtung Baroque-Pop schielt. Das ist irgendwo zwischen alten Pink Floyd Singles, psychedelischen Beatles oder The Left Banke angesiedelt, und sprudelt nur so über vor Ideenreichtum.
Objektivität ist ja eh nicht so unser Ding, heute Abend hat sie sich bei mir nach 10 Minuten komplett verabschiedet. Das hier ist Musik, die genauso klingt, wie es besser nicht geht. Der an Soundcarriers oder alte Broadcast erinnernde, mit Pleck gespielte Bass, die schön perlende Jangle-Gitarre, die vielstimmigen Chöre… offene Türen werden hier ohne Unterbrechung eingerannt. Und was wirklich faszinierend ist: Wie schafft es die Band, das alles in dieser Perfektion zu spielen? Und wie kann der Livesound, bei all dem Hall auf Stimme und Gitarre, so überragend klar und dynamisch sein?
Die Song-Güte ist hoch und langweilt nicht eine Sekunde. Langsam, schnell, laut, leise, und überall diese Fantasie in der Musik, die einen förmlich anspringt. Alles so tight und auf den Punkt gespielt, und trotzdem so warm und lebendig. Klingt wie auf Platte, nur mit einem Wahnsinns-Schuss Live-Dynamik hinzu. Das sind alles hochbegabte Musiker, die sich auch um die Details kümmern, wie man bei der rein analogen Instrumentierung sieht. Wahrscheinlich benutzt Jacco in seiner Retroverliebtheit auch ein Smartphone mit Röhren-Display.
Etwaige Befürchtungen das hier könnte so eine Art sterile Retro-Simulation der Sixties werden, kann man getrost in die Tonne treten. Herausragendes Songmaterial trifft auf herausragende Musiker und einen absolut faszinierenden Bandsound. Jacco freut sich derweil sichtlich auf die Begeisterung im Publikum, und ist verwundert, dass so wenig geredet wird. Hey, dutch Wunderkind, das ist deine Schuld, wenn Du die Leute mit deiner Musik so faszinierst!
Zur Zugabe nach knapp einer Stunde tauschen Gitarrist und Keyboarder, sowie Bassist und Drummer die Instrumente untereinander, um die erste Zugabe zu spielen. Davor erfolgt allerdings noch die Bandvorstellung durch Jacco, der aber immer die Originalinstrumente zu den Musikernamen nennt. Eine sehr nette, kleine Absurdität. Guter Humor der Mann. Im Übrigen spielen die Leute an den verkehrten Instrumenten den Song aber perfekt. Natürlich. Für den letzten Song „Find Yourself“, der aktuellen Single, wechselt man zurück zum eigenen Klangerzeuger, und verzaubert mich mit diesem Psychedelic-Pop-Hit noch für die ganze restliche, lange Heimfahrt im ICE zurück nach Stuttgart. Sieht so aus, als würde mein Konzert des Jahres schon wieder aus München stammen, auch 2015.
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