IVA NOVA, 16.05.2015, Laboratorium, Stuttgart
Ich erinnere mich an Konzerte im Lab, da wurde man von der Tanzfreude des Publikums völlig überrascht und musste erstmal in der Halbzeitpause einen Teil des Mobiliars heraustragen. Inzwischen hat man dazugelernt: wie schon kürzlich bei der Fanfare Cocarlia wurden auch heute sämtliche Möbel vor der Bühne entfernt. Und das aus gutem Grund: Iva Nova, die All-Girl-Band aus St. Petersburg ist im Haus. Und ihr eilt der Ruf voraus, wahrhaft ekstatische Gigs zu spielen. Das letzte Mal habe ich sie 2007 im Schocken gesehen. Damals war die Band noch fünfköpfig, die Gitarre fehlt inzwischen und auch der Bass ist neu besetzt. Aber mir war klar: Wenn die jemals wieder den Weg nach Stuttgart finden sollten, bin ich dabei. Auch wenn ich heute dafür schweren Herzens das Wohnzimmerkonzert mit Tom Liwa sausen lassen muss.
Wer bisher glaubte, Katzenjammer sei die Krönung aller Frauen-Folk-Kombos, muss sich bei Iva Nova eines besseren belehren lassen. Genau wie die erfolgreichen Norwegerinnen sind die Russinnen vier derart unterschiedliche Typen, dass man schon fast glauben könnte, sie seien so gecastet worden. Nächste Parallele: jede ist formidable Musikerin. Anders als bei Katzenjammer wechseln die Russinnen allerdings nicht die Instrumente. Was aber Energie, Tempo und Intensität des Auftritts betrifft, da lassen Iva Nova die auch nicht gerade zurückhaltenden Norwegerinnen wie eine lahme Schulmädchen-Kapelle wirken. Das Quartett – allen voran die charismatische Frontfrau Anastasia Postnikova – brennt ein zweistündiges Feuerwerk ab, dass einem ganz schwindlig werden kann.
Dass Iva Nova auch ein kleines Grüpplein ganz besonders treuer Fans um sich versammelt hat, das ihnen auf der Tour nachreist (sowas kannte ich bisher nur von New Model Army), gibt dem Gig natürlich auch einen Schnellstart. Bereits beim zweiten Titel füllt sich die Tanzfläche. Das ehrwürdige Laboratorium – das übrigens schon wieder im Wettbewerb für den besten Bluesclub der Republik nominiert wurde – wird sich heute wieder in eine Dancehall verwandeln. Kein Zweifel.
Musikalische Grenzen sind Iva Nova fremd. Natürlich sind sie fest in der russischen Folklore verankert – das Akkordeon spielt hier eine tragende Rolle – darüber hinaus reicht das Spektrum aber von Rock und Punk über Tango und Jazz, Polka und Schlager bis hin zu Techno. Und zwar gerne auch mal mehrere Stile in einem Titel. Gesungen wird meist russisch, aber auch in anderen slawischen Sprachen. Auch die Instrumentierung ist bemerkenswert: mit Schlagzeug, Akkordeon, Bass und einem Micro-KORG-Synthesizer kommt man gar nicht in Gefahr, allzu folkloristisch zu klingen.
Ekaterina Fedorova am Schlagzeug hat ein bemerkenswertes Instrumentarium vor sich: neben den üblichen Trommeln finden wir vier großformatige Messing-Glocken und eine zwei Meter lange Stahlfeder, die als ultratiefes Bass-Instrument herhält. Fedorova ist Gründungsmitglied von Iva Nova, also seit 2002 dabei und der diskret im Hintergrund agierende Bandleader. Rhythmisch ist es alles andere als simpel, was sie produziert. Fast jeder Song enthält raffinierte Breaks und vertrackte Patterns. Stellenweise glaube ich Math-Rock-mäßige Muster zu hören, ohne dass die Musik auch nur ansatzweise kopflastig würde.
Im Gegenteil: ob bulgarischer Hochzeitssong oder kaukasischer Tango, fast jeder Song ist zwingend tanzbar. Die Stimmung ist schon in der ersten Hälfte des Sets mehr als nur ausgelassen. Aber nach der Pause legen die vier noch mal eine ordentliche Schippe drauf und spätestens in der Runde „Techno-Folk“ mit dem geradezu brachialen „Fabrika 76“ gibt es kein Halten mehr. Die zuerst etwas zurückhaltend wirkende Bassistin Galina Kiseleva macht mächtig Druck, Drum und Bass treiben Band und Publikum zu Höchstleistungen an.
Die Zugabe eröffnen Postnikova und Natalia Potapenko am Akkordeon auf der Bühnenkante im Publikum sitzend, bevor sie nochmal zu einem furiosen Finale ausholen.