TOM LIWA, 16.05.2015, Wohnzimmerkonzert, Stuttgart
Manchmal verliert man Menschen aus den Augen, manchmal auch Lieder, die einen für eine gewisse Zeit begleitet haben. Jüngst beim Aussortieren älterer Seminarunterlagen ist mir eines wiederbegegnet. „Es ist einsam hier oben“ stand in den Unterlagen. Die Zeile aus dem Song „Titelstory gegen ganzseitige Anzeige“ der Band Flowerpornoes hatte mir ein Freund des Öfteren in die Unterlagen geschrieben. Ein gern gehörtes Lied von uns aus dem Album „Mamas Pfirsiche“. „Fünf Jahre nach mir, und drei Jahre nach Blumfeld kaufen sie alles ein, was deutsch singt und laut genug lügen kann.“ sang damals in den Neunzigern der Leadsänger der Band Tom Liwa.
Mit dem wundervollen „Tim Isfort Orchester“ hatte ich ihn bereits Ende der Neunziger im Sendesaal des Westdeutschen Rundfunks live gesehen. Dunkel meine ich mich zu erinnern, dass Tom Liwa damals einen feinen dunklen Anzug anhatte. Heute beim Stuttgarter Wohnzimmerkonzert ist das Outfit in einem legeren Trekkingstyle gehalten. Ein Grund seines Stuttgart Besuches ist, dass sein Sohn bei den Pokémon-Meisterschaften teilgenommen hat. Dem Umstand der Pokémon-Meisterschaften sei es gedankt, dass dieses Wohnzimmerkonzert heute Abend stattfindet. Ein fantastisches Buffet ist aufgefahren, die Besucher verteilen sich im Wohnzimmer und auf der Terrasse. Es sind Freunde der Gastgeber, Freundesfreunde, Bekannte, Konzertgänger, auf die auch sonst Verlass ist. Tom Liwa nimmt Platz auf einem Hocker, stimmt die ersten Akkorde an, und aus allen Ecken kommen die Gäste und verteilen sich im Raum. Er bedankt sich, dass er selten an Plätzen mit solch schöner Aussicht spielt.
Mit „Stunde des Zweifels“ gibt es zu Beginn einen Song aus Flowerpornoes Zeiten vom Album „Paradies der Ungeliebten“. Ob mit Band oder ohne, hier entfaltet sich auch in der ruhigen Version mit Akustikgitarre die Kraft des Songs. Protestsongs gegen Musik gibt es auch in seinem Repertoire, für „Falsch bei Neil Young“ wird die Akustikgitarre gegen das Banjo ausgetauscht. Im Visier des vorgetragenen Protestsongs steht ein Konzertbesuch von Neil Young auf der Waldbühne in Berlin, der sehr ernüchternd war „kein Hallo und kein Dankeschön/ ein hey are you doing nach sieben Songs“ heißt es. Falls Neil Young-Fans anwesend sind, ist für diese auch gesorgt, lässt Tom Liwa wissen, diese können den Text einfach ausblenden und nur der Melodie lauschen. Mal wird zwischen Westerngitarre und Banjo durchgewechselt, den größten Teil des Sets dominiert die akustische Gitarre, an der Tom Liwa sich begleitet. Durch die instrumentale Reduktion bildet sich eine ganz eigene anmutende Konzentration. Er wiegt sich zu den Melodien, immer wieder wird der Blickkontakt zum Publikum aufgebaut und dankt er dem Publikum für seine Konzentration. Viele viele Songs gibt es in den mehr als anderthalb Stunden, versehen mit poetischen Texturen, die stark sein können, aber auch verletzlich und zerbrechlich, dass trotz vieler Worte und Gedanken das Gefühl der Sprachlosigkeit bleibt. „Ich habe geträumt ich bin aufgewacht / Da war ein tiefer Krater in meinem Herz & versteckt / unter all dem Schmerz die Chance auf ein neues Leben“, heißt es in dem Song „Gelogen“.
Ihr habt jetzt aber auch eine Menge abbekommen!
bemerkt Tom Liwa. Eine Pause lässt er aus, „einigen wir uns darauf, dass ich nicht beleidigt bin, wenn ihr zwischendurch aufsteht“. Anekdoten und neue Erkenntnisse werden erzählt, die er während Konzerten macht, statt einer Flasche Wasser, ein Glas vorzuziehen, da ein Schraubverschluss in der ersten Aufregung störend wirken kann.
Ich hab Euch lieb!
verabschiedet sich Tom Liwa beim applaudierenden Publikum. Letztes Angebot von seiner Seite ist der CD-Verkauf oder ein therapeutisches Einzelgespräch. Ich entscheide mich für ersteres und ein kaltes Augustiner für den abendlichen Ausklang.
Super Text und schöne Bilder! Sind immer toll die Konzertabende im Hause R.