DAF, PSYCHE, DEINE JUGEND, 12.03.2011, Club Paradox, Ludwigsburg

DAF

Foto: Patrick Grossien

Deutschland Deutschland – alles ist vorbei!

… singt mit Hochgenuss Gabi Delgado von der Deutsch-Amerikanischen Freundschaft (DAF) in einer improvisierten Off-Location in Ludwigsburg. Die Anti-Atom-Menschenkette von Neckarwestheim nach Stuttgart ist das heutige innenpolitische Topthema, das überstrahlende internationale Thema ist aber die beginnende Kernschmelze.

In Fukushima, nicht Tschernobyl. Nein, der Gig-Blog ist nicht auf eine Falltüre im Raum-Zeitkontinuum getreten, und wir befinden uns nicht in den Protest-80ern, es ist tatsächlich 2011, 12. März, die Lkw-Werkstatt überm Club Paradox wurde freigeräumt, um eines der drei Deutschlandkonzerte von DAF abfeiern zu können.

Die äußere Rahmenhandlung ist aber nicht paradoxer als die – gelinde gesagt – überraschende Ankündigung eines DAF-Konzertes an sich: DAF, vor 33 Jahren gegründet, hat unzählige Auflösungen bzw. Pausen hinter sich, hatte 2003 ihr letztes reguläres Album herausgebracht, spielte 2008 zum 30-jährigen Bandjubiläum auf dem M´Era Luna Festival. Dann erschien im Herbst 2010 eine neue Single (Du Bist DAF) und heute treten sie hier in Ludwigsburg auf. Ja und? denkt vielleicht mit einer gewissen Berechtigung der gemeine Menschenkettler.

Nun, die Deutsch-Amerikanische Freundschaft veröffentlichten in ihrer produktivsten Zeit von 1980 bis 1982 gleich vier Alben, deren trackorientierte Songs ohne Refrain und Strophe und dem harten Elektrosound gleich für mehrere Musikstile stilbildend wurden: Electronic Body Music, Neue Deutsche Welle, Electropunk, Techno, Neue Deutsche Härte und was weiß ich. Das 1981er Album „Alles Ist Gut“ ist textlich wie musikalisch in seiner monotonen Radikalität bis heute sehr beeindruckend. Auf ihrem Höhepunkt hörten dann DAF erst einmal auf, sich nicht vom Druck des Erfolges versklaven lassen. Freiheit bewahren, so in etwa ließ sich diese Entscheidung lesen. Wenn nun also DAF ein Konzert gibt, dann ist das kein Nobody-Revival, dann ist das die Erneuerung der Deutsch–Amerikanischen Freundschaft.

Der Konzertort, wie eingangs erwähnt, präsentiert sich als Werkstatthalle, rechts von der Bühne sind Anzeigen für den Bremsprüfstand zu erkennen, es duftet nach Altöl und Pajuli.

Die erste Band Deine Jugend verpassen wir, die Recherche ergibt, dass es sich um eine Mannheimer Band handelt, die sich offensichtlich vom DAF-Song „Verschwende Deine Jugend“ hat inspirieren lassen. Kommt mir ein wenig vor wie deutscher Electro-Pop-Punk auf Casting Show.

Psyche

Foto: Patrick Grossien

Die kanadische Wave-Elektro-Pop-Formation Psyche präsentieren sich an diesem Abend als Duo daher, Sänger und 1982er-Gründungsmitglied Darrin Huss interpretiert neben seinen eigenen Songs auch die anderer wie z.B. Joy Divisions´ „Disorder“, wie Superknipser Schmoudi erkennt. Zusammen mit dem deutlich jüngeren Synthiebediener wirken Psyche ein bisschen wie Hurts, stimmgewaltig, elektronisch, aber deutlich unpoppiger, wie Madame Psychosis feststellt, und leider auch ist der Sound recht breiig. Das ist wohl der Unterdimensionierung der PA und der nicht wirklich auf Akustik ausgelegten Betonhalle geschuldet.

DAF

Foto: Patrick Grossien

Danach füllt sich die Halle zusehends, aus den Kellerräumlichkeiten des Clubs und von draußen strömen geschätzte 400 erwartungsvolle Zuschauer vor die Bühne. EBMer, Punks, Elektronerds, Emos, Donnerstags-im-Roxy-Alt-Waver und Normalos – DAF holt sie alle.

Robert Görl (Synthie und Drums) und Gabi Delgado in sichtlich hervorragender Laune werfen die Maschine und das Schlagzeug an und los geht´s mit „Verschwende Deine Jugend“. Pogo nach 10 Sekunden. „Ich Und Die Wirklichkeit“ zum Verschnaufen, dann „Der Moussolini„, „Muskel“ usw. Basslauf, Beat, Buzzwords, simpel, auf den Punkt. Mit DAF haben das nur noch Nitzer Ebb so gut hinbekommen auf ihrem Album „That Total Age“.

Es geht mir wie immer mit DAF: die ersten 20 Sekunden denke ich: Wow, wie kraftvoll, wie energiegeladen. Nach 40 Sekunden: Oh, jetzt wird es doch etwas eintönig. Nach zehn Minuten Konzert beginnt bei mir der tribale Effekt: Lang genug haben der monotone Rhythmus und Sound mit Delgados Wortwiederholungen gewirkt. Die elektronische Körpermusik (Delgado findet diesen Begriff sehr treffend) arbeitet, nimmt mich mit.

DAF

Foto: Patrick Grossien

Delgado wirft seine schlagwortartigen Text-Steine in die Menge. Die Provokation mit faschistisch anmutenden Material wie im Track „Muskeln“ („Staub zu Staub – Kraft zu Kraft – Sieg zu Sieg – Muskeln“) wird konterkariert mit dem homoerotischen „Der Räuber Und Der Prinz“ oder dem Text von „Kebab Träume“ („Deutschland, Deutschland, alles ist vorbei – Wir sind die Türken von Morgen“), den Delgado mit breitestem Grinsen den kahlrasierten EBMern genauso wie den Irokesen-Punks entgegengeschleudert.

Mit dem 2010er Track „Du Bist DAF“ verorten sich DAF dann allerdings eindeutig: „Wir sind DAF – Wir sind Punks – Du bist Punk – Du bist DAF“. Es scheint, dass es dem schwulen Sohn eines Franco-Verfolgten heute wichtig ist, das so deutlich zu bekennen. Bei Delgado meint Punk die Freiheit, sich an keine Regeln halten zu müssen, in der Kunst und im Leben alles zu dürfen.

Alles Ist Gut“ heisst die dritte und letzte Zugabe. Recht haben sie, die Deutsch-Amerikanische Freundschaft wurde erneuert, die Fans begeistert, alles ist gut – zumindest hier in Ludwigsburg, woanders schmilzt der zweite Reaktor.

PS: Noch eine Quizfrage aus der Tox Musiklexikon-Redaktion: Mit wem war Robert Görl, der übrigens auch ein herrliches Synthiepopsoloalbum namens „Night Full Of Tension„(1984) veröffentlichte, kurzzeitig zusammen? Die Antwort hier als Anagramm: Noien Xennla.

DAF

Foto: Patrick Grossien

11 Gedanken zu „DAF, PSYCHE, DEINE JUGEND, 12.03.2011, Club Paradox, Ludwigsburg

  • 15. März 2011 um 17:56 Uhr
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    War das nicht immer donnerstags im Roxy?
    Leider war ich verreist, sonst hätte ich mir das nicht entgehen lassen.
    Sie haben es mich ja wenigstens ein bisschen miterleben lassen…

  • 15. März 2011 um 19:13 Uhr
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    Heideblitzka, richtig, Donnerstag! Habe es im Text korrigiert, das kann ich so nicht stehen lassen.

  • 15. März 2011 um 20:01 Uhr
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    -> Annie Lennox

    Schöner Bericht & wie immer großartige Bilder!

  • 15. März 2011 um 20:53 Uhr
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    Hallo lieber Fotograf der Bilder,
    Hier spricht die gelangweilte Garderoben-Tussi :D
    Magst du mir vllt die Bilder die du von mir gemacht hast per Mail schicken?
    Wär super!!

    Liebe Grüße
    Bianca

  • 15. März 2011 um 20:58 Uhr
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    @ Steelrose: Gewonnen!

    Du gewinnst ein Anagramm aus Deinem Namen:

    Steelrose -> Eros Else T

  • 15. März 2011 um 22:05 Uhr
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    Time Curves…
    Heute wurde Neckarwestheim beerdigt. Sag noch jemand, Protest lohne sich nicht. Braucht halt manchmal. Es lebe die Freiheit!

  • 16. März 2011 um 00:24 Uhr
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    Natürlich gewinnt meine kleine Schwester das Quiz – bei dem Lehrmeister, kein Wunder, gell Eros Else.

    Schön, dass es Marge Simpson auch auf 2 Bilder geschafft hat, das hatte ich wirklich gehofft.

  • 17. März 2011 um 21:05 Uhr
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    Herr Fotograf,

    sehr schicke Fotos! ;D

    Grüße, von der rothaarigen ;D

  • 18. März 2011 um 11:27 Uhr
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    vielen dank für die positiven kommentare! freut mich sehr zu hören, wenns gefällt! … und schön dass ihr den weg hierher auf den blog gefunden habt! :)

    liebe grüße zurück
    vom knipser

    (klingt nach nem edgar wallace titel …. muhahaaa)

  • 18. März 2011 um 20:55 Uhr
    Permalink

    Obwohl ich gegenseitiges Gig-Blogger-Geschleime hasse: Erste Sahne, der Bericht. Spritzig, originell, äußerst informativ, leider bissle zu kurz.
    Bitte mehr davon!

    Gruß …

    Jo

  • 19. März 2011 um 13:56 Uhr
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    War einer der alten Säcke auf diesem Konzert um die Helden meiner Jugend zu sehen – Gänsehaut! Absolut tolle Bilder und der gig war historisch

    Greetz an alle die dabei waren

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