BULGARIAN CARTRADER, 14.03.2024, clubCANN, Stuttgart
Keine Frage, ich habe sehr großen Respekt vor Musiker:innen, die einen Plan haben. Die es schaffen, im übersättigten Musikmarkt mit Qualität und einer guten Portion Cleverness eine Nische zu finden und eine eigene Marke zu schaffen. Und Daniel Stoyanov aka Bulgarian Cartrader, den der eine oder die andere vielleicht von seiner anderen Band Malky kennt, ist definitiv einer davon. Irgendein seltsamer Algorithmus hatte mir seinen Song „LAB“ in die Timeline gespült, den ich nicht mehr aus dem Ohr bekam. Mit dem dazugehörigen Video, das mich sofort in sein gesamtes, krudes Video-Œuvre hereinzog, hatte mich Bulgarian Cartrader dann gepackt. Sein ironisches Spiel mit Stereotypen, die sich allesamt auf seine (bäuerliche?) bulgarische Herkunft beziehen, lassen jedenfalls einen soliden Humor erkennen. Und so bin ich sehr neugierig, ob der heute in Berlin lebende Musiker seine konsequent gestylte Internet-Präsenz auch live auf die Bühne bringen kann. Außer mir wollen das vielleicht noch etwa 80 bis 100 weitere wissen, sodass der Saal des clubCANN leider nur etwa zu einem Drittel gefüllt ist. (Eine Erhebung im späteren Verlauf des Gigs ergibt, dass davon circa ein Viertel Bulgar:innen sind).
Zu dritt entert die Band die Bühne und Stoyanov ist – ganz der leicht anrüchige Autohändler – in grellrotem Satinblouson und Raschel-Traingshose gewandet. Auch seine „Lieblings-Mechaniker“, wie er seine Bandkollegen nennt, sind in ostigem Streetware-Style gekleidet. Großen Respekt für den Multiinstrumentalisten an Bass, Gitarre und Keyboards, der seinen flauschigen Teddy-Mantel den ganzen Abend an behält. Natürlich kann es ohne eine Referenz an die Motorcity Stuttgart nicht abgehen, er freue sich jedenfalls sehr hier zu spielen. In einer Gegend, wo die Menschen ihre Autos noch wirklich lieben. (Er muss es wissen, schließlich hat er seine ersten Jahre in Deutschland in Rottweil verbracht.)
Schon die ersten Songs breiten den eigentümlichen musikalischen Kosmos des bulgarischen Autohändlers aus. In „Calidona“ treffen balkanmäßig klingende Melodien auf Elektronik und straighte Beats. Noch ausgeprägter in „Mavrud“, ein Song über einen bulgarischen Wein, dessen Genuss einen angeblich dazu befähige, durch Wände zu gehen, der mit leicht schmalzigen Melodien Balkan-Pop-Atmosphäre verbreitet. Sein sprechgesungener Hit „Golden Rope“ groovt mächtig und spätestens hier hat Stoyanov, der mit einer beeindruckenden Präsenz und Charme zu glänzen weiß, den Laden im Griff.
Es ist schon bemerkenswert, dass neben dem erwähnten „LAB“ wirklich jeder Song mit einer griffigen Hookline ausgestattet ist, sodass der Spannungsbogen nie nachlässt. Die Ballade „Camden Free Public Library“, die er als Ode an die nicht unendliche Verfügbarkeit von Literatur verstanden haben möchte, kündigt er ganz unbescheiden und augenzwinkernd als das bulgarische „Stairway to Heaven“ an. Dabei hat der Song mit seinem synkopischen E-Piano-Passagen durchaus etwas jazziges. Stoyanovs hohe Soul-Stimme passt jedenfalls perfekt zu dieser eleganten Nummer. Eigentlich fällt einiges hier überhaupt nicht in mein musikalisches Beuteschema, da aber immer überraschenden Wendung passieren, ist das alles durchgängig spannend. Zumal der Bulgare ein sympathischer Dampfplauderer ist und das Publikum bestens unterhält. Dazu gehört genauso ein „Soft Moshpit“ unter Beteiligung des Künstlers, wie das Verteilen von „Martenizi“, rot-weißen Bändeln, die sich jede:r im Publikum als – zwinker-zwinker – Fruchtbarkeits-Glückbringer ans Handgelenk binden darf.
Mein spontaner Lieblings-Song wird der Achtminüter „Embrace“, in dem Stoyanov auf einem durchgängigen Beat seine komplette Lebensgeschichte erzählt – in der ihm, welch schöne lyrische Figur, eine „langsame Pistolenkugel“ durch vielfältige Episoden folgt. Großartig! Und gleichzeitig ein Einblick in seine musikalischen Referenzen: Chemical Brothers, LCD Soundsystem und Cody Chesnutt werden explizit genannt. Ganz sicher muss aber auch Prince dazugezählt werden, vor dem sich Stoyanov in der Zugabe mit dem hitverdächtigen „Soul is the Price“ sehr deutlich verbeugt.
Ein rundum gelungener Abend mit hohem Unterhaltungswert, einer bravourös aufspielenden Band und einem beeindruckenden, überaus charmanten Frontmann. Vielleicht liegt es an der extremen musikalischen Vielfalt, die wirklich aufgeschlossene und manchmal auch experimentierfreudige Zuhörer:innen braucht, dass Bulgarian Cartrader nicht schon ein weit größeres Publikum erschlossen hat.
Setlist
Calidona
Mavrud
Golden Rope
A Different Kind of Jump
LAB
Camden Free Public Library
Guestlist
20 Thousand Miles
Missthamoon
Aunty
Embrace
No Other Drug
94 Euphoria
Stabat Mater
Gang
Soul is the Price
Narrow Band of Happiness