TRÄNEN, SLOE NOON, 10.02.2024, Merlin, Stuttgart
Keine Frage: Die Neue Neue Deutsche Welle ist ein Trend, der auch 2024 neue Höhepunkte erreichen wird. Vor wenigen Tagen noch haben wir bei Edwin Rosen über die generationenübergreifende Anziehungskraft dieses Genres gestaunt, und jetzt stehen wir im Merlin schon wieder in einem seit Wochen ausverkauften Haus. TRÄNEN hätten sicher auch größere Locations gefüllt und bringen sogar Festivalerfahrung mit. So ist es kein Wunder, dass sich der ganze Gig wie eine Nummer zu groß anfühlen wird.
Zum Warmup stehen zuerst mal Sloe Noon aus Dortmund auf der Bühne und haben nur wenig Mühe, das im Durchschnitt eher junge, mehrheitlich weibliche und vor allem hoch motivierte Publikum auf Betriebstemperatur zu bringen. Uns – die wir mal wieder am entgegengesetzten Ende des demografischen Spektrums angesiedelt sind – mag der geschmeidige, authentisch britisch klingende Indiepop aber auch sehr gut gefallen. Das Quartett um die Sängerin und Gitarristin Anna Olivia Böke führt uns souverän durch sein musikalisches Spektrum, das von verträumten Jangle Pop bis hin zu noisigem Alternative Rock reicht.
Allein für die Idee und Stilsicherheit, den eher unbekannten Chaos-Z-Punksong „Duell der Letzten“ in Form eines schmissigen NNDW-Kloppers zu exhumieren, gebührt den TRÄNEN Respekt und Dank. Was sich danach aus dem einmaligen Projekt der Sängerin Gwen Dolyn und des Kraftklub-Gitarristen Steffen Israel entwickelt hat, ist allerdings in Qualität und Eingängigkeit dem Erstling locker ebenbürtig und macht das Debüt-Album „Haare eines Hundes“ zu einem rundum erfreulichen Werk. Und so ist es nicht verwunderlich, dass der Gig bei bester Stimmung startet und im Laufe von gut 80 Minuten immer mehr an Fahrt aufnimmt.
Der eher zurückhaltende Gitarrist hat nur kurze, kauzig-witzige Wortbeiträge, vollbringt dabei aber das Kunststück, mich gleichzeitig an Groucho Marx und Linus Volkmann zu erinnern. Gwen Dolyn hingegen gesteht freimütig ein, dass sie zum Plappern neigt und verzettelt sich auf charmante Art in ihren Ansagen. Gleichzeitig ist sie eine bewundernswerte Performerin. Raumgreifend und elegant bei maximaler Präsenz und im permanenten Publikumskontakt. Alles so, dass es auch locker auf weit größeren Bühnen seine Wirkung entfalten würde.
Die Tränen-Songs sind allesamt äußerst eingängig und werden begeistert mitgesungen. Überhaupt ist Publikumsbeteiligung heute Abend Trumpf. Das passend zum Plattentitel mitgebrachte Hunde-Maskottchen „Elfriede“ „Irmgard“, das eher einem Zombie-Monster ähnelt, wird im Publikum herumgereicht. Eine Zuschauerin wird zum Polaroid-Fotografieren auf die Bühne gebeten, und zum Höhepunkt des Konzerts teilt Gwen Dolyn das Publikum für eine „Wall of Death Love“. Kurzum: Das volle Programm eines veritablen Festival-Gigs, nur halt im knuffigen Merlin.
Auch bei der Auswahl ihrer Coverversionen beweisen die Tränen Geschmack. Von Mias hungrigem Herz, über das „Denkmal“ von Wir sind Helden und „Teenage Dirtbag“ bis zum bereits erwähnten „Duell der Letzten“ werden sie geschickt in das Programm eingebettet. Und dass sie die Chaos-Z-Zeilen nicht nur der AfD, sondern auch gleich der CDU widmen, macht sie endgültig sympathisch.
Ist dies das schon das Duell der Letzten?
Ich will euch nicht verstehen
Denn ihr geht gewiss den falschen Weg
Eure Ordnung ist verkehrt.