BIG BIG TRAIN, DIM GRAY, 08.09.2023, Liederhalle, Stuttgart

Big Big Train
Foto: Martin Schniz

Da habe ich doch vor lauter Beschäftigung mit Aiwangerarschlochigkeiten und Urlaubsvorbereitung komplett vergessen, dass ein Konzert ansteht. Vorbereitung auf einen Konzertbericht ist eh überbewertet, aber zu Big Big Train bin ich tatsächlich komplett blank. Also mit voller Ignoranzpower ab in den Konzertabend.

Der kleine Mozartsaal darf es sein, der dann ok gefüllt sein wird, aber zum sold out fehlt dann leider doch noch etwas. Seltener Moment mittlerweile: trotz eigener galoppierender Vergreisung scheine ich zur Jugendfraktion des Publikums zu gehören. Kurz etwas maths: Das Publikumsalter passt eigentlich eher zu einer Seventies Band. Big Big Train existieren aber erst seit 1990. Prog scheint also in den Neunzigern keine Teenies interessiert zu haben.

Dim Gray
Foto: Martin Schniz

Punkt 19:30 darf der Support ran: Dim Gray aus Norwegen. Norwegen bringt ja nicht nur mit True Norvegian Black Metal nihilistische Bürgerschreckmusik auf die Bühnen. Die jungen Herrschaften spielen tendenziell ruhigere, melancholische Musik mit starkem Harmoniebedürfnis des Gesangs. Nicht selten gibt es irgendwie keltisch klingende, folkige Passagen, die für mich bisschen seicht und zu gefällig klingen. Ein wenig auch das Ergebnis von Oskar Holldorfs starker Stimme, die für meinen Geschmack aber bisschen zu viel flehende Inbrunst hat. Und immer wieder, wenn ich denke „ok, absolut nicht mein Fall“ gehen diese ruhigen Passagen in wohlgesetzte Akkordwechsel über, die in sehr starke, dramatisch klingende Parts übergehen.

So richtig klassisch Prog ist es also nicht. Für folkigen Pop-Rock ist es dann wiederum zu komplex und classy. Mir fehlen dann doch ein wenig Widerborstigkeit für diese Art von Musik, aber andererseits ist es wiederum sehr eigenständig und von hochkompetenten Musikern dargeboten. Der einzige Vergleich, der mir einfällt, ist Steve-Hogarth-Marillion. Sollte man reinhören, um zu sehen, wie man sich damit anfreunden kann. Das Publikum ist begeistert und verabschiedet die Band mit ehrlichen Standing Ovations.

Big Big Train
Foto: Martin Schniz

Die Umbaupause ist erfreulich kurz und von einer sagenhaften Effizienz. Da sitzt jeder Handgriff. Überrascht bin ich, dass Foxygens „Follower The Leader“ als Beschallung ertönt, mega Song. Noch überraschter, als „Crazy Train“ von Ozzy Osbourne in doppelter Lautstärke lospoltert. Als das „Train“ geloopt wird und das Licht ausgeht, wird selbst mir das Warum ausgerechnet dieses Songs klar.

Big Big Train treten in großer Besetzung auf. Eine vierköpfige Brass-Section gehört auch dazu, was mich schon mal gleich abholt. Die ersten zwei Songs finde ich dann auch gleich mal super. Toll arrangierte, dramatisch opulente Musik, deren Proggigkeit weniger von virtuosem Solieren der einzelnen Musiker*innen kommt, sondern von der Konstruktion und den Arrangements der Songs.

Big Big Train
Foto: Martin Schniz

Ein wenig Blickfang ist der neue Sänger Alberto Bravin aus Italien. Blickfang deswegen, weil er sich etwas freier bewegen kann als seine Kolleg*innen. Hörfang, weil seine Stimme außerordentlich gut ist, ohne irgendetwas an sich zu haben, das stören könnte. Der Mann verdiente sich seine Sporen bei der italienischen Prog-Institution PFM. Jede gut sortierte Progsammlung sollte deren „Storia di un minuto“, „Per un amico“ und „L‘isola di niente“ haben. Bei „Impressioni di settembre“ wird vielen älteren Italiener*innen immer noch ganz warm ums Herz.

Der optische Anblick des Gemischtwarenladens auf der Bühne ist grundsympathisch. Alte und junge Menschen, Frauen und Männer, Hippiekleidung und Metallica-T-Shirt. Das spiegelt sich auch in der Musik wider. Mal folkig, mal beatle-esk, mal Genesis- oder Pink-Floyd-Drama. Aber es gibt mit Apollo auch ein fusionartiges Instrumental mit Brubeckscher Takefiveigkeit. Am besten gefallen mir die Parts, wenn sich die Songs durch den Einsatz der Bläser bombastisch aufblasen. Am wenigsten tatsächlich die Lieder des letzten Albums.

Big Big Train
Foto: Martin Schniz

Die stoisch, ruhig vor sich hinmusizierende Gitarristin Maria Barbieri, die zweite Italienerin der Band, sorgt bei ihren Gitarrensoli für spontane Beifallsbekundungen. Große Könnerin. Ein weiteres Highlight ist Nick D‘Virgilios Schlagzeugsolo, das mit den vier Bläsern zusammen arrangiert wird. Großer Könner. Aber solchen Personen reicht es ja nicht, ein Überflieger am Schlagzeuger zu sein. Bei „Telling The Bees“ singt und spielt er Gitarre auf sehr kompetente Art und Weise.

Insgesamt für mich als kompletter Big Big Train Novize ein sehr erfreulicher Abend. Die Begeisterung des Publikums hingegen zeigt, dass es viele Leute gibt, die diese Band wirklich lieben. Anlass genug, mich demnächst mit der wechselhaften Story der Band zu beschäftigten. Und beim nächsten Konzert wieder dabei zu sein.

Big Big Train
Foto: Martin Schniz

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