HEAVEN SHALL BURN, BLEED FROM WITHIN, 17.08.2023, Sudhaus, Tübingen

Lass uns mal über Mental Health reden. Da gibt es viele gute Tipps. Aus persönlicher Erfahrung möchte ich sagen: Fahr nicht immer nur auf volle Pulle. Ich habe das jahrelang falsch und meine Psyche damit so kaputt gemacht, dass ich es jetzt nicht einmal mehr schaffe, so einen Text wie den hier rechtzeitig fertigzustellen (sorry dafür)! Mach folglich genügend Pausen und nimm dir frei, um dich zu regenerieren.
Ein anderer Tipp wäre: Befasse dich mehr mit Gig Blog bzw. mit dem, womit sich Gig Blog befasst, – nämlich mit Gigs und Mukke.
Es gibt viele Hinweise darauf, dass Metal gut für deine geistige Gesundheit ist. Die Klischees, wie sehr einen die Musik verdirbt, sind alle falsch. Es ist egal, ob du gute Laune hast, wütend oder psychisch völlig verlottert bist (wie ich): Metal wirkt wie ein Katalysator und räumt mit schlechten Gefühlen auf.
Der eine Typ aus Sam Dunns Film „Metal. A Headbanger’s Journey“ sagt: „Metal is always there for me.“ Aristoteles hätte es Katharsis genannt.
Metal ist gut für deine geistige Gesundheit. Im Grunde gilt das für jede Art von Musik, die dir gefällt. Wenn du nicht weißt, welche das ist, hilft dir eben der Gig Blog. Musik wirkt reinigend. Kann man gut mal machen.

Heaven Shall Burn also im Sudhaus in Tübingen – oder genauer gesagt: hinter dem Sudhaus. Es ist ein kleines, schönes Open-Air-Gelände. Rechts grenzt es an den Wald, links rahmt eine alte Scheune. Hinten sind unter alten Laubbäumen die Sitzplätze. Noch weiter hinten im Wald verstecken sich diejenigen, die keinen Eintritt bezahlt haben. Das Ganze ist, wie der Heaven-Shall-Burn-Sänger Marcus Bischoff es nennen wird: „Amphietheater mit Biergartenromantik“. Mental Health mag es cozy.
Sie tragen natürlich alle Bandshirts: Slayer, Amon Amarth, Machine Head und sonst, was Rang und Namen hat. Manche Brust ziert ein „Wacken 2023“, wo Heaven Shall Burn in der Vorwoche gespielt haben. Der Rest präsentiert sich im Merch des heutigen Headliners.

Punkt 20:00 Uhr beginnt die Vorband aus Glasgow – auf eine Therapie muss man länger warten. Vier Langhaarige und einer, der sich die Seele aus dem Leib schreit. Das Publikum geht gleich von Anfang an mit: Schon beim zweiten Song bildet sich ein Pit.
Musikalisch vergibt Bleed From Within nichts: Zwar wird gelegentlich melodischer Gesang als Intro, Übergang oder Refrain eingesetzt. Der Shouter und der rechte Gitarrist zeichnen hier verantwortlich – und das Publikum singt kräftig mit. Ansonsten ist stimmlich jedoch unerbittliches Geschrei geboten.
Die Männer an den Äxten knüppeln ein dickes Riff nach dem anderen raus, die zusammen mit dem überwiegend erstaunlich langsamen Grundbeat extrem fett grooven.
Das fährt einem so sehr in Beine und Nacken, dass die Schotten nacheinander erfolgreich eine Wall of Death, ein Circle Pit und noch eine Wall of Death einfordern können. Das Publikum macht alles begeistert mit, springt, bangt, brüllt, hebt die Fäuste.
Der Band selbst geht es offenbar genauso. Nach dem sechsten Stück geben sie bekannt, dass sich der Kater nun verzogen habe, von dem sie erst zwei Lieder zuvor zugegeben hatten, dass sie ihn vom Vortag auf dem Summer Breeze mitgebracht hätten.
Ha, die heilsame Wirkung von genial strukturiertem Krach geht weit über das versprochene Psychische hinaus!
Insgesamt ist Bleed From Within eine Macht, mit der zu rechnen ist und die man auf jeden Fall mal abchecken sollte, wenn man das nächste Mal … na ja … von innen heraus blutet.

Und jetzt warten tausend bis 1.200 aufgekratzte Leute auf Heaven Shall Burn. Alltag und Sorgen sind vergessen, der Stress blättert von einem ab, wie eine alte Schmutzschicht.
Dass sich mit dem Headliner ein kultisches Event im Sinne des Bandnamens anbahnt, merkt man schon daran, wie Marcus Bischoff während des Intros sein Mikrofon gleich einer Opfergabe auf zwei Händen vor sich hält. Wie ein Heiligenbild angestrahlt wird er auf der in Rot gebadeten Bühne von hinten in Blau.
Hier geht es ans Eingemachte. Schon der erste Song erinnert uns daran, dass wir „The Final Resistance“ („Endzeit“) sind, beim zweiten, dass wir „Bring[ing] the War Home“.
Die Thüringer tauschen Groove überwiegend gegen ein treibendes Doppelbassgeballere. Die Gitarren sind in Teilen wesentlich melodischer als beim Opener und kommen in Breiten auf uns hernieder geprasselt wie ein Felssturz.
Ein Felssturz, der nicht nachlassen, sondern sich immerzu steigern will. Auf Klargesang wird entsprechend völlig verzichtet. Dennoch singt – oder besser brüllt – die Meute stetig mit. Sei es bei „Protector“ oder bei „Übermacht“.
Es muss als gesichert angesehen werden: Wenn man das anderthalb Stunden lang macht und sich nebenher richtig austobt, ist alle eventuelle Wut verflogen.

Der Mensch ahmt, wenn er sich in Gesang vertieft, mit dem Kehlkopf im Rahmen der eigenen Möglichkeiten automatisch nach, was nötig wäre, um diesen Gesang zu imitieren. Ob man nun mitbrüllt oder nicht – die Stimme fühlt man im Hals. Sie gibt einem ein Gefühl von Kraft, wie Death Metal oder Metalcore überhaupt wie eine Power Fantasy wirken. Dem hält kein Verdruss stand.
Auf der nun etwas größeren, aber trotzdem etwas beengten Bühne machen Heaven Shall Burn erstaunlich viel Bewegung. Nur wenn die Herren an den Saiteninstrumenten den vokalen Hintergrund shouten, stehen sie an ihren Mikrofonen. Sonst bewegen sie sich unablässig.
Die Bewegungsaufforderungen an das Publikum andererseits sind in der Regel nur Handzeichen, denen der angeheizte Mob nur zu gerne folgt. Diese Aufforderungen sind hingegen etwas zurückhaltender als bei Bleed From Within. Erst zu „Voice of the Voiceless“ gibt es noch mal eine Wall of Death, die sich anschließend als riesiges Pit austobt.
Wir haben alle Spaß. Auch die Band. Deswegen werden wir als „schwäbisches Wacken“ bezeichnet. Solche leichten Übertreibungen gehen bekanntlich runter wie Bier. Zur Belohnung gibt es das selten gespielte „Godiva“ – und die Aufforderung zum Crowd Surfen, die eifrig genutzt wird.
Spätestens bei „Black Tears“, dem fest zum Set gehörenden Klassiker von Edge of Sanity, bleibt dann kein Auge mehr trocken: Alles darf raus. Der Refrain ist hervorragend zum Mitshouten geeignet; und der Stockholm-Beat lässt die Leute toben.

Musikalisch sind Heaven Shall Burn ja Zündler. Politisch fahren sie klare Kante gegen rechts und alles, was in unserem Land scheiße läuft. Deshalb wird von der Band immer ein entsprechendes Zeichen gesetzt.
In diesem Fall geschieht das in einer politischen Rede gegen Scholz, der mit den Banken im Bett liegt, und Merz, der mit der AfD ins Bett will, gegen Solidarität mit Faschisten, gegen Leute wie Höcke. Danach spielen sie „Numbing the Pain“, einen ganz alten Song, der uns die Kraft geben soll, diesen Scheiß auszuhalten und für das Richtige einzustehen, obwohl viele gegen uns stehen.
Und die Kraft spürt man nach den gut zwei Stunden Lärm auch in sich. Vertrieben ist nicht nur unser Frust, sondern auch unsere Resignation. Wir sind wieder bereit, die „final Resistance“ zu sein, von der das erste Stück erzählte.
Als letztes Stück gibt es das vom Publikum einstimmig geforderte und einstimmig mitgebrüllte „Valhala“, ein Blind-Guardian-Cover. Übers Death-Metal-Knie gebrochen, hören sich solche Stücke ja erst an, wie sie eigentlich klingen sollten.
Und so endet das Mental-Health-Programm für heute. Den Rest der Nacht werden wir die müden Knochen ausruhen müssen. Pausen müssen, wie gesagt, sein.
Was mich persönlich angeht, war die kathartische Wirkung super, das Ganze zur Behandlung meiner chronischen schweren Depression aber nicht hinreichend. Ich musste noch eine ganze Weile im Valley of Death wandeln, bis ich den Text hier hinbekommen habe. Bitte entschuldigt.
Gig Blog wünscht natürlich der jungen Frau gute Besserung, die am Rande des Konzertes eines Rettungswagens bedurfte. Falls du Heaven Shall Burn verpasst hast, aber mehr Mental Health in deinem Leben möchtest, kannst du ihren diesjährigen Auftritt auf Wacken nachsehen.

Hi,
höre so Musik wie HSB und Konsorten eigentlich nicht mehr, aber der leidenschaftliche Bericht erweckt
durchaus den Wunsch dabei gewesen zu sein.