KRAFTWERK, 12.08.2023, Schloss, Karlsruhe
Kraftwerks einziges Konzert in Deutschland dieses Jahr soll ein ganz besonderes werden: Ein einmaliges Gesamtkunstwerk aus Lichtprojektionen und Klang unter freiem Himmel vor dem Karlsruher Schloss. Zu Ehren des kürzlich verstorbenen Peter Weibel, ZKM-Direktor und Freund von Kraftwerks Mastermind Ralf Hütter, dem einzig verbliebenen Mitglied der Originalbesetzung.
Alle 16.000 Tickets waren nach wenigen Stunden verkauft. Die legendäre Düsseldorfer Band ist momentan wieder weltweit für ausgewählte Shows wie in Rio de Janeiro, Mexico City, Sydney und eben in Karlsruhe zu sehen. Reguläre „Touren“ gibt es lange keine mehr. In Karlsruhe tritt die unermüdliche Mensch-Maschine im Rahmen der von Weibel gegründeten Schlosslichtspiele auf. Auch die künstlerische Leitung des Festivals liegt beim ZKM. Ein Teil der Kraftwerk-Show ist auch während der regulären Schlosslichtspiele zu sehen.
Die wunderschöne und weitläufige Anlage rund ums Karlsruher Schloss ist trotz ausverkaufter Show angenehm gefüllt. Als allmählich die Dunkelheit einsetzt, ertönt nach den atmosphärischen Intro-Sounds die so vertraute fiese Vocoderstimme zur Begrüßung. „Meine Damen und Herren, Ladies and Gentlemen, heute Abend die Mensch-Maschine Kraftwerk“, Gänsehaut, die Show beginnt. Wie üblich mit dem fantastischen Opener „Nummern“ – während bei den 3D-Shows die grünen Nummern auf einen zufliegen, tanzen und wabern sie nun auf der 170 Meter breiten Schlossfassade.
Die vier Bandmitglieder um den 76-jährigen Ralf Hütter stehen erhöht und für alle sichtbar auf dem Balkon des Badischen Landesmuseums in der Mitte des imposanten Schlossgebäudes. Die Band selbst rückt auf der schlichten und überdachten Bühne mit den vier Pulten bewusst in den Hintergrund, was oft das zugegeben beinah liebenswürdige wie hartnäckige Gerücht aufkommen ließ, ob die vier Herren hinter ihren Pulten tatsächlich überhaupt etwas „machen“ würden.
Spätestens direkt vergessen, als „Nummern“ und die grüne „Matrix“-Zahlenflut in „Computerwelt“ übergeht und die Band in den obligatorischen neopren-ähnlichen schwarzen Ganzkörperanzügen mit Leuchtstreifen mit den Visuals verschmilzt und eins mit der Gesamtlichtshow wird.
Besonderes Augenmerk liegt beim heutigen Konzert natürlich auf den Visuals bzw. der Lichtshow. Die komplette Fläche der Fassade wird für die Performance genutzt. Besonders vorne lässt man immer wieder den Blick schweifen, die Band selbst gerät so beinah in Vergessenheit. Man ist in einem ähnlichen Bann wie bei den vergangenen 3D-Shows mit zugehöriger Brille.
Wer eines dieser 3D-Konzerte in Vergangenheit sah, wird heute bei den Visuals nicht viel Neues entdecken. Jedoch sind die Projektionen aufs Schloss allein durch die schiere Größe gigantisch in Szene gesetzt, wenn der TEE von rechts nach links über die Fassade rast oder die Roboter unheilvoll über der gesamten Anlage thronen. Besonders gelingt das vor allem bei „Vitamin“ mit dem herrlichen „Pillenregen“ und aufgelösten Tabletten im Wasserglas, beim rot-gelben „Radioaktivität“, passend zur wehenden badischen Flagge am Mast, sowie bei „Autobahn“, als das Schloss zum grauen Band mit grünem Rand wird.
Und natürlich bei „Neonlicht“, die unverkennbaren Leuchtreklameschilder sind wie gemacht für die heutige Show. Als Ralf Hütter mit heller Stimme „Und wenn die Nacht anbricht, ist diese Stadt aus Licht“ singt, könnte es an diesem Abend kaum passender sein.
Obwohl Visuals als auch die Musik selbst schon lange Zeit bekannt und unverändert Teil der Show sind, wird Kraftwerk zu Recht bejubelt. Denn auch musikalisch ist seit „Tour de France“ vor 20 (!) Jahren nichts mehr Neues dazugekommen. Die relativ erwartbare Setlist mit quasi „dem Besten von Mitte der 70er bis Anfang der 00er Jahre“ ist in ihrer Reihenfolge und Dramaturgie so auch von vergangenen Konzerten üblich, dennoch gibt es Sound-Nuancen und Neuerungen wie „Vitamin“, das zum ersten Mal seit 2017 wieder im Set Platz findet. Dennoch ist es immer wieder beeindruckend, was für ein Werk und Statement diese Band mit den Auftritten setzt. Ein neues Album, das Hütter in den letzten Jahr(zehnt)en immer wieder selbst ins Gespräch bringt, ist eigentlich gar nicht nötig.
Allein „Radioaktivität“ ist, mit der heute vorgetragenen und besonders ergreifenden japanischen Strophe (vom kürzlich verstorbenen Ryuichi Sakamoto ins Japanische übersetzt), vor allem durch die Fukushima-Referenz das wohl bedeutendste politische Statement der Band.
Der Sound ist exzellent abgemischt und wird zwischendrin wunderbar voluminös, die Bässe spürbar. Neben dem Kunstkontext und der enorm prägenden Wirkung auf die Musik war bei Kraftwerk eines auch immer wichtig: Die Musik ist für die Tanzfläche und den Club gemacht, die Schlosswiese kommt in Bewegung. Viele rote Hemden und schwarze Krawatten blitzen in der Masse auf und es mag abgedroschen klingen, doch ist es die Wahrheit: Die Show ist ein Ereignis für Groß und Klein und vergeht zudem wie im Fluge. Die staunend schwankende Menschenmasse wirkt fast andächtig, Kraftwerk gilt längst als ein quasi festes Kulturgut.
Am Ende des knapp zweieinhalbstündigen Konzerts verabschiedet sich Hütter wie immer knapp, hebt dabei aber nochmals ausdrücklich das Werk Peter Weibels hervor. Die heutige Performance sei „für einen wunderbaren Künstler und Freund“. Kraftwerk erweist Weibel hiermit ein besonderes Andenken – und allen Gästen ein Konzert-Highlight, das lange anhalten wird.
(Erstmals gibt es zwei Berichte vom selben Konzert. Hier findet ihr den von Britta.)
Geil. Sehr schön geschrieben. Da bereut man, nicht dabei gewesen zu sein.
Mango.
Haha, wie viele Kraftwerk-Reviews kommen noch? Aber beide super geworden, Kompliment!