LORD OF THE LOST, SETYØURSAILS, 02.08.2023, Substage, Karlsruhe

LORD OF THE LOST, 02.08.2023, Substage, Karlsruhe

Foto: Madita Nair

We have everything, poisoned candy and toys
You can hang out with ugly boys

No fun to stay with us, L.O.T.L.

Mehr lyrische Anreize müssen nicht gesetzt werden, um uns auf die Akkreditierungsliste für unsere Helden aus Liverpool setzen zu lassen. Die Erwartungen waren auch im überschaubaren Level angesiedelt, da wir wirklich nur den ESC-Beitrag “Blood & Glitter” kennen, der sich dann imo aber doch deutlich vom Niveau der letzten deutschen Beiträge abgehoben hat. Selbstverständlich darf man sich darüber auch amüsieren, denn wie Finnland mit Käärijä und ihrem Metal-Rap-Song (?) “Cha Cha Cha” hat auch Deutschland eine ziemlich bunte Truppe mit einem Klecks Düsternis ins Rennen geschickt. Wie gesagt – amüsieren. Selbst die Mütter und deren Mütter beleidigen, was sie da in die Welt gesetzt haben, zeigt dann doch wieder die hässliche Engstirnigkeit und oft auch beschränkte Offenheit vor allem aus der Metal-Szene.

Doch das alles soll uns heute Abend nicht jucken. Das Substage in Karlsruhe ist restlos ausverkauft. Wäre ich Teil der Band, würde ich in jede Kamera mit hocherhobenen Mittelfingern grinsen. Vor dem Einlass gibt es auch noch symbolische Grüße aus Wacken zugesandt. Nicht einmal fünf Minuten extremer Regen und das Wasser steht in den Schuhen und der Buchse. So freut man sich natürlich auf die kommenden drei Stunden, wenn der Geruch von frischem Regen sich langsam in nassen Hund verwandelt. Genug von unseren First World Problems, in Wacken wurden, mag man den sich mehr und mehr verbreitenden Vor-Ort-Bildern Glauben schenken, erste Haie gesichtet. Widmen wir uns dem Geschehen im prall gefüllten Substage. Passend zum eigenen Wohlgefühl dürfen Setyøursails aus Köln heute als Erstes auf die Bühne und bringen eine ordentliche Bugwelle mit sich.

SETYØURSAILS, 02.08.2023, Substage, Karlsruhe

Foto: Madita Nair

Wer sich als Intro für seine Show Scooter’s “Maria” aussucht, bringt meiner Meinung nach schonmal ein perfektes Verständnis dafür mit, wie man Stimmung in einen Laden bringt. Und wenn Setyøursails sodann mit “Ghosts” sofort losbrettern, ist mindestens die Hälfte der Besucher schon im Feiermodus. Der gewünschte Circle Pit zu “Into The Storm” fällt zwar noch etwas klein aus, doch der harte Kern ist feste bei der Sache und auch auf der Bühne herrscht eine ausgiebige Party, bei der chaotisch über die Bretter gehüpft und gedanced wird. Für die ruhigeren Songs ist heute weniger Platz in der Setlist, moderner Metalcore steht ganz oben auf dem Menü. Eine kleine Ausnahme bildet das sehr interessant klingende Cover von “Shallow”, bei dem Sängerin Jules beachtenswert gut klingende Unterstützung von Bassist Nicolai erhält und diese auch lauthals vom Publikum quotiert wird. Ruhiger und klarer, mal emotionaler Gesang wechselt sich ab mit starken Growls. Für den letzten Song “Fckoff” wird dann um stimmgewaltige Resonanz des Publikums geworben, was selbstredend prima funktionert, mit einem Augenzwinkern, dass man bei entsprechender Lautstärke dann auch endlich die Bühne verlässt, um Platz zu machen für Lord Of The Lost. Zum Abschluss gibt es noch ein wunderschönes Selfie mit knapp 2000 Mittelfingern. Man möchte der Familie ja auch zeigen, was man so erlebt an einem Dienstagabend.

LORD OF THE LOST, 02.08.2023, Substage, Karlsruhe

Foto: Madita Nair

Wie schon eingangs erwähnt, habe ich mich noch nie mit den St. Paulianern Lord Of The Lost befasst. Schaue ich nun auf die Vita der Band, haben sie in 14 Jahren Bandbestehen 10 Alben veröffentlicht, im letzten Jahr als von Iron Maiden persönlich eingeladener Opener getourt, schließlich vor ein paar Monaten Deutschland beim ESC vertreten und am gestrigen Abend wieder zusammen mit Iron Maiden gespielt. Das kann sich schon extrem sehen lassen. Für manch einen könnte da der leichte Eindruck entstehen, der Verlust an Bodenständigkeit rückt in greifbare Nähe, doch schon beim ersten Song “The Curtain Falls” werden solche Gedankengänge von der Bühne geblasen. Sänger Chris Harms, typisch paradiesisch gekleidet in funkelndem Gold ist vom ersten tiefen Ton an in den Herzen der Zuschauer und wird wie auch der Rest der Band frenetisch begrüßt. Ich muss dazu erwähnen, dass Multiinstrumentalist Gerrit Heinemann absolut geile Schuhe mit leuchtenden LEDs trägt und im Laufe des Abends für sich selbst das traurigste Happy Birthday in Moll spielt. Ich bin absoluter Fan des Looks von Lord Of The Lost. Nicht nur, weil es ansprechend und durchgestylt passend aussieht, sondern auch, weil es dem konservativen Metal-Günnie ein absoluter Dorn im Auge sein muss. Vom spießigen Rest Deutschlands fangen wir am besten gar nicht an. Aber natürlich gilt auch – wer provoziert bzw. Wert auf ein extravagantes Auftreten legt, muss auch liefern, sonst wird’s schnell peinlich. Aber LOTL liefern gut.

LORD OF THE LOST, 02.08.2023, Substage, Karlsruhe

Foto: Madita Nair

Da ich nur “Blood And Glitter” kenne, überrascht es mich ziemlich, dass dieser zu den eher softeren, poppigeren Songs der heutigen Setlist zählt. “Kill It With Fire” schlägt da schon in eine härtere Kerbe und hat gewissen Anleihen der “Holy Wood” Ära von Marylin Manson. Tritt man etwas vom Gas wie bei “And It Was Night” und Harms glasklarer Baritongesang dominiert den Song, kommen auch in einigen Passagen Typ-O-Negative-Schwingungen auf, und als Baden-Württemberger denkt man auch an Michelle Darkness. Dem würde allerdings keine goldene, ass-tighte Pants stehen. Oder?

LOTL gönnen sich selbst und uns keinen Moment durchzuatmen. Es folgt Song an Song, mal mit kurzen Anekdoten, Dehnübungen, Sprungübungen, Sprungübungen mit Drehung, um sich im Raum umzusehen und gemeinsames in die Hände klatschen. Mit “Leave Your Hate In The Comments” gibt es auch noch einen bittersüßen Mittelfinger an alle Internetkrieger, die sich täglich über ihre Tastatur übergeben und sich danach stolz auf die Schulter klopfen, wen sie heute wieder alles beleidigt haben. Im Gegensatz dazu sind Lord Of The Lost eine wirklich nette und sympathische Band, die, wie sich im Laufe des Abends an vielen Stellen herausstellt, sehr viel Wert auf gegenseitigen Respekt und ein friedliches Miteinander legt.

LORD OF THE LOST, 02.08.2023, Substage, Karlsruhe

Foto: Madita Nair

Bevor es weiter nach Wacken geht, gibt es noch eine letzte Zugabe für uns, die aus meiner Sicht nicht passender hätte ausfallen können. Roxette’s “The Look” Für Karlsruhe hat es leider nicht gereicht, doch wenn sie es durch all die Schlammmassen im Norden schafft, wird sie für dieses Duett mit auf der Bühne stehen: Blümchen. Oh, was wird nur Metal-Hotte sagen? – Leave your hate in the comments.

Lord of the Lost

Setyøursails

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

I accept that my given data and my IP address is sent to a server in the USA only for the purpose of spam prevention through the Akismet program.More information on Akismet and GDPR.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.