THE GRAND BAY, 20.02.2016, InDieWohnzimmer, Stuttgart
We take all kinds of pills that give us all kind of thrills
But the thrill we’ve never known
Is the thrill that’ll get ya when you get your picture
On the cover of the Rolling Stone.
So lautet das Ende der ersten Strophe eines Songs von Dr. Hook & The Medicine Show aus dem Jahre 1972. Der Rolling Stone war es zwar nicht, der in seiner Februar-Ausgabe die Stuttgarter Wohnzimmerkonzertszene auf das Cover hievte, aber das Stadtmagazin LIFT. Als Stammgast dieser wunderbaren Institution in Claudias Feuerbacher Wohnzimmer hatte ich ehrlicherweise die Befürchtung, dass aufgrund des Artikels eine Flut von E-Mails auf die beiden Haupt-Organisatorinnen Claudia und Christine hereinbricht – diese erwies sich aber als unbegründet und so gab es im Vorfeld nur den für einen Samstag schon gewohnten Andrang, einen der Plätze zu ergattern.
Also trudeln wie gewohnt die Gäste ein – viele bekannte Gesichter, manch vermeintlich neue – und die Band, das aufgebaute Equipment sowie die Bierauswahl werden mit fachlich-interessiertem Blick beäugt und vor allem letztgenanntes mit anerkennenden Kommentaren schon vor Konzertbeginn bedacht. Über die Band des Abends, The Grand Bay kann man im Voraus nicht allzu viel sagen: Nicht einmal eine Handvoll Songs lässt sich auf verschiedenen Kanälen finden, so zum Beispiel der Song „Cosmos Pool“ , der die von der Band selber festgelegte Bezeichnung „Melancholic Pop“ durchaus verdient.
Das Set beginnen die vier in Straßburg ansässigen Musiker mit „Listen“ und mit dem von in 90er Ballonseide gekleideten Eliade am Hausklavier gespielten Pattern sowie der äußerst markanten, manchmal schon leicht ins Nölende gehenden Stimme des Sängers Lukass Edgar ist die Stimmung für den restlichen Abend vorgegeben: Melancholisch, fast schon entrückt lächelnd setzen viele im Wohnzimmer ihre Beine dezent in Bewegung. Den restlichen Abend begleitet nicht nur mich die Frage, an wen diese Stimme erinnert. Ich komme nicht darauf, aber sie klingt nach großem Pop. So wie sämtliche folgenden Songs des Quartetts – alleine die Melodie des Auftaktstückes hätte mich durch den Abend getragen. Rajen Gimbro am smoothen Bass und Jérôme Grelo am Schlagzeug tragen als Rhythmus-Gruppe den Sound, treiben ihn aber stellenweise auch voran.
Zu dem zeitgenössischen, fließenden Pop à la Bands wie Lower Dens oder The War On Drugs, kommt eine für mich überraschende Komponente: Der gefühlvolle Mann am Klavier des ersten Songs rappt. Und zwar tight und real, dass es eine wahre Freude ist. Das ist schon eine wirklich gelungene Verbindung, da es zu keinem Zeitpunkt aufgesetzt wirkt, sondern sich homogen – meist zum Ende der Songs hin – einfügt und den Ausdruck der Songs nochmals auf eine neue Ebene bringt.
Das Set umfasst „nur“ neun Songs, aber jeder wartet mit einem anderen, oft ungewohnten Eigenart auf: Eine ansonsten nicht zum Einsatz kommende durchgehende Basedrum z.B. oder Edgars Muttersprache Lettisch, in der das Stück „Tu un es“ erklingt und den Sound auf angenehme und spannende Art ergänzt. Ein eingespieltes Arien-Sample, eine feine E-Gitarre – immer wieder sind Details zu hören, die alle nicht als Effekthascherei eingesetzt werden, sondern ihren stimmigen Platz in den Arrangements haben. Und dazu hat jeder dieser Songs eine Melodie, die bei mir die „Top-10-Konzerte-des-Jahres-Gänsehaut“ verursacht.
Zwischen den Songs wartet Edgars mit charmanten Ansagen auf Deutsch auf, und dabei strahlen diese vier Jungs eine große Sympathie aus. Die anfänglich noch leicht zu verspürende Unsicherheit aufgrund der vielen aufmerksamen Zuhörer*innen ist schnell verflogen und es entwickelt sich eine unübersehbare Spiellaune und Freude über den gesamten Abend hinweg. Das schon erwähnte „Cosmos Pool“ und „My Setlist“, die sicherlich auch auf ihrem ersten Album zu finden sein werden, beschließen dann den umjubelten offiziellen Teil. Nach anregenden Plaudereien zwischen Band und Gästen schnappen sich die vier Musiker wieder ihre Instrumente, um eine bis nach Mitternacht dauernde Jamsession zu starten. In „ein, zwei, drei Monaten“ soll ihr erstes Album fertig sein und ich hoffe, dass diese tolle Band vielleicht mal einen nie zuvor gekannten „thrill“ erlebt, wenn sie ihr Konterfei auf einem Cover eines Magazins entdeckt.
Schöner Abend, tolle Musik, klasse Bericht ; )