KREATOR, LAMB OF GOD, 25.02.2023, MHP Arena, Ludwigsburg
Mal kurz nachgezählt: Eins, zwei, Polizei drei und vier. Viermal berichteten wir auf diesem Blog schon über Kreator. Das erste Mal, der gig-blog existierte gerade mal ein halbes Jahr, wandten wir uns über myspace direkt an Bandleader Mille, der uns nicht kannte, und baten um eine Akkreditierung. Bekamen wir. Einfach so. Ohne Nachfragen. Die Magie dieses “legendärer Musiker erweist absoluten Nobody-Musiknerds einen Gefallen”-Moments hallt bei mir immer noch nach. Seitdem “Mille über alles”!
Über drei Jahre mussten Fans auf dieses Konzert warten. Blogkollege Tox kaufte sich das Ticket noch im Jahr 2019 mit der Erwartung “Power Trip” im Vorprogramm sehen zu können. Deren Sänger starb ja nun 2020, eine Pandemie kam, und nun startet der Abend mit Municipal Waste. Schneesturmbedingt kommen wir etwas zu spät, deswegen auch leider keine Fotos. Umso leiderer, da MW einen der besten Support-Act Auftritte spielen, die ich bisher sehen durfte. Enorm sympathisches Auftreten, z.B. das lieb gemeinte „you fucking morons!“ des Sängers an uns Zuschauer, bester Sound, Spielfreude galore und ihre Musik…nun die Musik. Wie man es schafft, einen Stil so überzeugend rüberzubringen, der eigentlich schon 1986 so langsam out war, ist eigentlich ein kleines Wunder. Die US-Amerikaner spielen einen ursprünglichen Thrash, der noch stark vom Hardcore-Punk geprägt ist, mit Gangshouts, Stakkatoriffs und Midtempo-Moshparts-Pipapo. Als hätten S.O.D. einfach noch weiter Platten gemacht. Richtig, richtig geil. Also so RICHTIG meine ich! Applaus, Hut in die Luft werf, in Ohnmacht fall vor Freude. Crowdsurfing und Circle-Pit des Publikums seien meine Zeugen.
Die instant Fanwerdung treibt mich in der Umbaupause zum Merch. Der CD Preis von 20 Euro verschiebt allerdings den ersten Erwerb eines MW-Tonträgers in die Zukunft. Währenddessen grüble ich noch, ob ich “Lamb Of God” schon zwei- oder nur einmal gesehen habe. Lösung: einmal. Das vermeintlich zweite Mal waren “Children Of Bodom”. Wenn man sehr denkfaul ist (beim Autor der Fall): zwei Bandnamen, die irgendwie ähnlich sind. Sei’s drum, das wirkliche Problem ist, keine der beiden Bands gefällt mir.
Lamb Of God sind, was Bühnenausstattung und Setlänge angeht, so etwas wie der zweite Headliner. Die Schlagzeugburg thront hoch auf der Bühne. Und sie thront auch “über alles “ (sorry, muss ich öfters bringen) im Soundmix. Die Bassdrum kloppt irre laut alles zu, die downgetunten Gitarren dringen nicht klar genug hervor, der Sänger brüllt sich die Seele aus dem Leib. Das macht’s für jemanden, der nicht der größte Fan von Death Metal-, Core- und Groove Metal-Elementen ist, nicht leichter die Musik zu mögen.
Dabei ist diese eindeutig abwechslungsreicher und technisch anspruchsvoller als die der Vorband. Und wie man an den Reaktionen des Publikums sieht, kennen sich viele auch sehr gut mit dem Songmaterial von LOG aus. Crowdsurfing und Circle-Pit des Publikums seien meine Zeugen, again.
Zumindest in der zweiten Hälfte des Songs schleichen sich aber ein paar Momente rein, die mir dann ganz ok gefallen. Nicht ganz zufällig die Songs, in denen man die Riffs aus dem Lärmsturm besser raushören kann. LOG und ich finden aber wohl trotzdem nicht mehr zueinander. Die Fans allerdings sind begeistert von dem Auftritt, so who am I to judge.
Wie schon angedeutet, Mille ist ein Spitzentyp, seine Verdienste um die Entwicklung des Extreme-Metals mal ganz außen vor. Wer sich davon eventuell auch überzeugen lassen will, dem empfehle ich seine Partizipation in den Podkästen von Tocotronics Jan Müller oder von Nils Bokelberg anzuhören. Ebenfalls sehr nice sein Auftritt bei Arte Tracks Plattenkiste.
Viertel vor zehn dann also Kreator. Zwei aufgepfählte Dudes an beiden Seiten der Bühne dienen als ständige Kulisse. Als Einsteiger präsentiert das Quartett der geneigten Zuschauerschaft den Song “Hate Über Alles” aus dem gleichnamigen, aktuellen Album. Der Sound ist plötzlich wieder glasklar, alles bestens ausdifferenziert zu hören, nichts zu laut oder zu leise. Man fragt sich schon, wie so ein krasser Unterschied zu LOG zustande kommt. Besser so auf jeden Fall. Und der Song ist ein weiterer Banger im reichen Reportoire der Banger des Kreator-Katalogs.
“Hail To Hordes” von 2017 ist der zweite Song. Nun wird auch klar, warum bisher noch keine Fotograf*innen im Fotograben zu sehen waren. Flammen! Feuer! Kurz darauf kommen noch zwei Konfettikanonen zum Einsatz und es fallen an Galgen strangulierte Puppen, äußerlich Verwandte der Gepfählten, von der Bühnendecke. Wie immer bei Kreator hält alles diesen formidablen Balanceakt zwischen “Darstellung des Bösen in all seinen Formen ist halt was geiles!” und “Aber so 3000prozentig ernst nehmen muss man das alles auch nicht.” Wenn man so will: Aussöhnung jugendlicher Rebellion mit altersbedingter Distanziertheit.
Das Publikum ist tatsächlich, trotz zweier vorausgegangener, kraftraubender Auftritte, noch enthusiastischer als eh schon. Band und Ludwigsburger Publikum mussten lange aufeinander warten und haben sich vermisst. Ständige, spontane Kreator-Sprechchöre und ehrliche Freude bei der Band darüber sind die Folge.
Seit 2019 hat die Band mit Frédéric Leclercq einen neuen Bassisten. Das Zusammenspiel der Musiker untereinander hat darunter nicht gelitten. Alles sitzt, die Gitarrensoli sind fehlerfrei, abwechslungsreich und gut im Soundmix zu hören, das Schlagzeugspiel von Urmitglied “Ventor” gewohnt präzise. Mille selbst kreischt und bellt mit der gleichen Keifigkeit in der Stimme als wäre er achtzehn. Dass das Tourpackage mit den drei Bands gut zu funktionieren scheint, darüber haben uns schon Municipal Waste und Lamb Of God mit Ansagen, welche die jeweils anderen Bands feierten, informiert. Kreator widmen den Song „Strongest Of The Strongs“ den beiden US-Bands.
Die ca. 75 Minuten gehen ohne eine langatmige Sekunde enorm unterhaltend vorüber. Von Songs, die vor 2000 veröffentlicht wurden, sind tatsächlich nur “Phobia”, sowie “Flag Of Hate” und “Pleasure To Kill” Teile des Sets. Die beiden Letztgenannten sind nicht nur Staples in der Kreator Historie, sondern des Thrashmetal-Genres an sich. Was bleibt am Ende? Das bleibt: Applaus, Hut in die Luft werf, in Ohnmacht fall vor Freude. Crowdsurfing und Circle-Pit des Publikums waren meine Zeugen.