MOKA EFTI ORCHESTRA, 15.12.2022, Scala, Ludwigsburg
Dauernd heißt es irgendwo, man müsse auch mal raus aus seiner Komfortzone. Als wenn 2022 irgendwie zu komfortabel gewesen wäre! Deshalb steht für uns der heutige Abend unter dem Motto: Rein in die Komfortzone, und zwar sowas von! Bigband Sound, Swing, Jazz, Zwanzigerjahre und große Chansons – damit wollen wir uns verwöhnen lassen vom Moka Efti Orchestra. Vor dem inneren Auge die üppigen Bilder von „Babylon Berlin“, für den das Orchester eigens gegründet wurde. Doch kaum haben wir in den überaus komfortablen Fauteuils des Scala Platz genommen, verkündet Bandleader Nikko Weidemann Unangenehmes: Das sähe hier doch alles viel zu gemütlich aus. Sein klares Ziel sei, uns heute aus dem Sessel zu bewegen. Na, dann schauen wir mal.
Das Scala ist anständig gefüllt, aber nicht ausverkauft, als die zwölf-köpfige Band um 20:00 Uhr beginnt. Das Bigband-Setup passt wunderbar in das charmant-altmodische Ambiente des Scala, der Backdrop zeigt das art-deco-mäßig gestaltete Cover des aktuellen Albums „Telegramm“ und die Musiker sitzen stilgerecht hinter kleinen Pulten. Die Garderobe auf der Bühne ist erstaunlich vielfältig, vom Casual Chic bis zum Smoking mit Fliege ist alles dabei. Die Befürchtung, underdressed auf dem Konzert erschienen zu sein, war jedenfalls unnötig.
Schon mit den ersten Songs zeigt sich, dass sich hier eine Riege echter Könner versammelt hat. Die Bläser stehen Schlange für ihre Soli, jedes zu Recht vom zunehmend auftauenden Publikum beklatscht. Die Arrangements sind elegant und voller überraschender Wendungen, der Sound im Scala – wie auch Weidemann bemerkt – ist trocken und kristallklar. Die Streicher – beide ebenfalls großartige Solisten – bringen den Gypsy– und Balkan-Touch, während Mario Kamien (ja, genau, der von „dZihan und Kamien“) mit Banjo und Mandoline Ragtime- und Charleston-Elemente beisteuert.
Und mit diesem Setup, das von einer hervorragenden Rhythmus-Sektion unterstützt wird, wird genau diese Art von Filmmusik produziert, deren Aufbau und Mechanismen Weidemann in seinem Ein-Mann-Stück im Stuttgarter Kammertheater ebenso offen wie überzeugend erläutert hat. Vielfältig und komplett eigenständig, aber so raffiniert mit Zitaten gespickt, dass man permanent das Gefühl hat, diesen Song irgendwo schon einmal gehört zu haben. Da lugt Kurt Weill genauso um die Ecke, wie James Bond oder Zara Leander.
Fünf Stücke vergehen, bis die litauische Sängerin und Schauspielerin Severija Janušauskaitė zu ihrem ersten Song die Bühne betritt. Wer den spektakulären Auftritt der Moka-Efti-Nachtclub-Sängerin Swetlana Sorokina im Kopf hat, wird hier schnell korrigiert. Ganz bescheiden – wenn auch mit der lässigen Eleganz einer echten Diva – nimmt sie hinter einem der Pulte Platz. Mit ihrer variablen Stimme gibt sie „Join the Club“ zum Besten, einen Song, der mit einem zarten Latin-Groove erste Bewegung ins Publikum bringt. Ihre Auftritte werden sich, wie auch die Performance des übrigen Orchesters im Laufe des Abends immer mehr steigern, bis sie in einem grandiosen Finale enden. Ganz großes Kino.
Und wie im Film gibt es auch hier verschiedene Rollen: Der schlacksige Mario Kamien ist zuständig für die humoristischen Beiträge und skurrilen Tanzeinlagen, während Weidemann den Conferencier, virtuosen Pianisten und überzeugenden Sänger gibt. Arrangeur Sebastian Borkowski dirigiert – wenn er denn eine Hand frei hat – die Bläsersektion und übernimmt den Werbeblock für die Merch-Artikel.
Der Abend ist extrem kurzweilig und abwechslungsreich, die Band hat sichtlich Spaß und scheint sich auch nicht übertrieben ernst zu nehmen. Und so strebt er unaufhaltsam seinem Höhepunkt entgegen. Natürlich ist es „Zu Asche, zu Staub“, der Hit aus Babylon Berlin, mit dem das Konzert beendet wird. Einige Tanzende haben sich im Laufe des Abends bereits in den Gängen und vor der Bühne versammelt, jetzt reißt es aber wirklich alle zu stehenden Ovationen aus den Sitzen, womit Weidemann seine Ankündigung ganz zum Schluss doch noch erfüllt hat.
Doch das ist noch lange nicht alles: Vier weitere Titel hat sich das Orchester für die Zugabe aufgehoben. Darunter als weiterer Höhepunkt des Abends „Vaskresenje“, die russische Version des ungarischen Klassikers „Szomorú Vasárnap“, der als „Gloomy Sunday“ unzählige Male gecovert wurde. Severija bringt den Song derart emotional über die Bühne, dass wir uns nicht sicher sind, ob ein plötzliches Schluchzen ein genialer Einfall der Schauspielerin ist, oder tatsächlich echter Ergriffenheit geschuldet ist. Wie gesagt: ganz großes Kino!