SVAVAR KNÚTUR, 04.11.2022, Indiewohnzimmer, Stuttgart

SVAVAR KNÚTUR, 04.11.2022, Indiewohnzimmer, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

Svavar, da ist er wieder. Und ich mit dabei, ich Glücksi.

Jetzt muss ich erstmal überlegen, was ich aus der sprichwörtlichen babylonischen Sprachverwirrung dieses Abends mache, in welcher Sprache ich diesen Artikel abfasse – ich krieg’s einfach nicht gut hin, wenn jemand Englisch redet, das auf deutsch niederzuschreiben. Wenn man sich regelmäßig in zwei Sprachen unterhält, beginnt das Hirn irgendwann, bestimmte Sachverhalte, je nach angesprochener Person, nur noch in der jeweiligen Sprache zu denken – mein Hirn denkt dann auch auf Englisch. So versuche ich jetzt, aus meinen Aufschrieben aus einer Mischung aus Deutsch und Englisch und den Gedanken an den Abend einen Text zu machen. Ich bin an dieser Stelle nur froh, dass ich nicht doch auch schon lang mal Isländisch gelernt habe ;-) und das Hirn nicht auch noch isländisch denkt.

Grandioser Einstieg also in den Abend:

„Mein Deutsch ist ein bisschen schlimm, ehrlich gesagt sogar scheiße.“

– sein Deutsch sei „arm wie eine Kirchenmaus“. Erster Lacher, von denen es einige, wenn auch nicht wie gewohnt so viele gibt, doch dazu später.

Sprache ist dann auch eines der Hauptthemen des Abends, was als Sprachenfreundin natürlich right up my street ist. Immer wieder geht es darum, welche Sprache die schöneren Wörter für dies und jenes habe, dass jede Sprache ihre eigene Melodie und damit etwas ihr Ureigenes, Unvergleichliches habe. Svavar Knútur springt leichtfüßig zwischen Deutsch (weil’s die meisten schönen Wörter hat, die isländische Sprache habe 100.000 Wörter weniger, schlicht, weil sie weniger Dinge hätten in Island), Englisch (weil’s alle verstehen) und Isländisch (weil’s die Muttersprache und die einzige Sprache ist, in der die Gefühlswelt adäquat ausgedrückt werden kann).

SVAVAR KNÚTUR, 04.11.2022, Indiewohnzimmer, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

Bei Svavar-Gigs ist ja die halbe Miete sowieso das Reden; gesungen wird auch, jaja, aber eben nur auch, heute hat er immerhin etwa 15 Lieder im Gepäck, erstaunlich viele davon in isländischer Sprache und erstaunlich wenige seiner wilden lustigen Songs.

Neben Sprachunterricht erteilt uns Svavar heute noch eine Lektion in Musik- und Gitarrenlehre; wie mein Vordersitzer meint, wir erhalten eine „Crashkurs in Komposition“ – Svavar philosophiert über Gitarrengriffe, die Haltung, die dabei der Körper einnehmen muss und die Wirkung, die all diese Akkorde hervorbringen. Herrlich – ein so lehrreicher Abend bis hierher schon, fast vergessen wir, dass wir der Musik wegen da sind.

Svavar hat sich verändert, wie wir uns alle verändert haben im Laufe der Jahre, durch dieses f…ing C…d (ihr wisst schon), diesen Krieg, persönliche Schicksale und wer weiß was noch alles. Es scheint mir und auch einigen anderen an diesem Abend, Svavar sei ruhiger geworden, besinnlicher, seine leichten, heiteren alten Songs oder auch wilderen, verrückten Songs von früher spielt er gar größtenteils gar nicht heute Abend.

SVAVAR KNÚTUR, 04.11.2022, Indiewohnzimmer, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

In vielen seiner Lieder erzählt er von sehr persönlichen Erfahrungen, so beginnt er mit Your love is death to me über eine toxische Beziehung, in Impossible verarbeitet er den Tod einer alten Tante, die im letzten Jahr gestorben sei, in einem anderen, isländischen Lied erzählt er die Geschichte einer alten Frau an der See. In einem weiteren, ebenfalls isländischen singt er von seiner Urgroßmutter (die Mutter seiner Großmutter, die, wie er nebenbei erzählt, mit ihren 92 Jahren sein „quality director“ für alles Neue sei), die in ihrem Leben einige ihrer etwa neun Kinder verloren habe und was dies für einen Menschen, eine Mutter bedeute. Es geht dabei sehr besinnlich zu, Svavar findet viele starke Worte darüber, dass wir doch letztlich alle Söhne und Töchter von Müttern seien und nicht von starken, wilden Wikingern, die so gerne heroisiert werden,

„we must let go of this hero worship“

und müssten doch bitte empathisch werden für die menschlichen Schickale, die immer hinter den Geschichten steckten. Unbedingt, ja, denke ich.

Er macht sich überhaupt oft verwundbar und damit angreifbar an diesem Abend. Wer ihn von früher kenne, sagt er, wisse ja um seine „Uniform“, die er stets auf der Bühne trug – ein weißes Hemd, eine Weste, um ihm einen Rahmen, einen frame wie er ihn nennt zu geben, seinen vielleicht zu dicken Bauch zu verstecken (sagt er, nicht ich) – er wolle keine Rolle mehr spielen, Schluss mit dem Body-Shaming. Ernstes Thema, und wunderbar, er kriegt eine seiner legendären Kurven zu einem Lacher: Er trage jetzt, was er wolle, gerne schwarz, damit die Polarbären denken würden, er sei ein Fels und ihn nicht angreifen, sondern allenfalls das Bein zum Pinkeln an ihm heben würden. Lassen wir dahingestellt, ob es in Island Polarbären gibt, das gehört wohl alles zum perfekten Mythos, den er um seine Heimat aufbaut – this is Iceland for you!

Im nächsten Augenblick zeigt er aber, wie stark er ist:

„I am very quick in letting go of shit“

So hat er wohl mehrmals alles aufgeben und vieles verkaufen müssen während der Finanzkrise I, Finanzkrise II und Corona – wer selbst vier Kinder hat, kann sich vielleicht gut vorstellen, was das heißen mag und so hoffe ich doch, und danach sah es aus, dass der Gagenhut an diesem Abend gut gefüllt sein wird. In allen Liedern, Geschichten und Gedanken stecken aber mehr als die persönlichen Erfahrungen, er geht weiter und formuliert universellere Gedanken, die diese Welt betreffen, in der nichts mehr ist, so läuft, wie es einmal mindestens den Anschein hatte – „The world is on fire“, singt er.

SVAVAR KNÚTUR, 04.11.2022, Indiewohnzimmer, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

Und noch ein „Überhaupt“, überhaupt sei in Island alles dunkel und das quasi ständig,

„the sun is an idiot in Iceland.“

Schön visualisiert das große Kind in Svavar diesen Umstand und macht die Sonne nach mit Blicken und Grimassen, schneidet Fratzen – Lacher garantiert. Seine Lieblingsmonate seien ja, der Dunkelheit wegen, eh der Janúar und der November, beides Songs, in denen er den Monat besingt, auf unterschiedliche Weise – der Januar sei „Oh Januar wie kein andrer. Wie herrlich ist Deine undankbare Arbeit.“ – dies Gedicht übersetzt er uns auf englisch, bevor er den Song auf isländisch singt, der Refrain klingt in etwa so, um auch noch ein wenig isländisch einfließen zu lassen:

Ó janúar, sem enginn ann. Hve dýrðlegt er þitt vanþakkláta starf?

Kann man sich hier anhören. Und den November besingt er

There’s a glow in the darkness that keeps a roaming soul safe and warm

– eine wunderbare Liebeserklärung an eine Zeit der Dunkelheit. Sollten uns alle eine Scheibe abschneiden von einem, der‘s nun wirklich wissen muss, und den November umarmen. Er kann ja nichts dafür.

Die Mischung aus universellem Gedankengut und sehr privaten Innenansichten macht’s bei Svavar – war schon immer seine Stärke (schließe ich mich Carsten an, der früher im Jahr schon über den Villa-Berg-Gig geschrieben hat – überhaupt DANKE Carsten, dass Du heute Abend mir den Vortritt gegeben hast, mal wieder zu schreiben über unseren Lieblingsisländer)

SVAVAR KNÚTUR, 04.11.2022, Indiewohnzimmer, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

Hab ich eben gesagt, Svavar hat sich verändert? Dann auch wieder nicht – irgendwie ist er sich, trotz oder gerade aufgrund aller Lebenswirren, selbst treu geblieben, einen Isländer bringt so schnell nix um. Svavar ist das, was ich eine wohltuend authentische Persönlichkeit nenne, ein Held des Alltags mit all seinen Verletzlichkeiten und Stärken – ich erinnere mich an meine Lieblingszeile aus seinem Song Humble Hymn:

„God bless our mistakes“

– Fehler, machen wir doch alle, wieso sollen wir also nicht glücklich über sie sein und sie nutzen für höhere Erkenntnis – so einfach, aber ab und an muss einem das ja eine:r sagen!

Takk fyrir, Svavar, for doing so!

Am Ende will uns Svavar nicht ganz in Gedanken versunken und deprimiert über die Wirren der Welt in den Freitagabend entlassen, meine Teenager-Kinder würden an dieser Stelle sagen „merkste selber, ne“ und so gleitet er nach einer kurzen Weile Applaus mit den Worten „I don’t want to leave you like this“ (nachdem er das Lied über seine Urgroßmutter mit den gestorbenen Kindern gesungen hat) zu den paar Zugaben über, eine brillante Cover-Version von Paul Youngs Come back and stay, die er elegant überführt in Falcos Rock me Amadeus … als ob ihm selber die Rampensau am heutigen Abend gefehlt hat, excuse my French.

SVAVAR KNÚTUR, 04.11.2022, Indiewohnzimmer, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

Bei Weinchen und Talk im Wohnzimmer nach dem Konzert nutzen wir die Chance, uns bei Svavar persönlich zu bedanken für den wundervollen, persönlichen Abend. Wir fragen, ob wir ihn am nächsten Abend im Theaterhaus auf der Bühne sehen werden, beim Gastspiel Doors (No Exit) des Theaters Gütersloh, bei dem er das musikalische Konzept zu verantworten hat und auch selbst mitspielt. Das habe leider abgesagt werden müssen – schade, hätte ich mir gerne spontan angeschaut – bin nur froh, dass Svavar deshalb schon im Lande war und seinen Gig dennoch gespielt hat.

Und weil Dankesagen so schön ist, bleibt mir, ein dickes Danke an die Macher:innen vom InDieWohnzimmer zu richten – für Eure tolle Arbeit und all die liebevollen Mühen, die Ihr ins Möglichmachen solcher Abende steckt – nicht zuletzt hat meine Begleitung an diesem Abend, die noch nicht lange in Stuttgart lebt und aus London kommt, gespürt, dass es auch hier an und in allen Ecken Kleinode zu entdecken gilt, was das „Tollste Großstadt der Welt-Vermissen“ vielleicht etwas weniger schlimm macht. Das wünsche ich ihr jedenfalls.

Komm bald wieder, Svavar.

2 Gedanken zu „SVAVAR KNÚTUR, 04.11.2022, Indiewohnzimmer, Stuttgart

  • 7. November 2022 um 09:23 Uhr
    Permalink

    Ich möchte mich an dieser Stelle auch an dem großzügigen Puplikum der Wohnzimmerkonzerte bedanken! Der Hut war sehr gut gefüllt und der Künstler (und wir) sehr glücklich über dieses großzügige Honorar seines gekonnten Auftritts.

  • 7. November 2022 um 09:41 Uhr
    Permalink

    @ Joerg … Toll, vielen Dank für das Feedback. Ein schöner Abend in toller Location. Danke.

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