JENS RACHUT, THOMAS WENZEL, YVY POP, 18.09.2021, White Noise, Stuttgart

JENS RACHUT & THOMAS WENZEL, YVY POP, 18.09.2021, White Noise, Stuttgart

Foto: Stephan Pohl

Wenn das Team vom Stuttgarter Poetry Slam zur (angekündigt lauten) musikalischen Lesung in den Club des White Noise lädt, ist das zweifellos eine vielversprechende Konstellation – zumal auf der Bühne zwei, nein drei Punkrock-Veteran*innen sitzen. Vor gut gefüllten Reihen im minimalistisch gestalteten Electroclub findet sich ein überwiegend mitgealtertes Publikum ein, das sich größerenteils gut zu kennen scheint.

Der eine oder die andere war wohl auch schon beim sommerlichen Gastspiel der drei Protagonist*innen im Stuttgarter Weingut Zaißerei zugegen. Der knorrige Ü-60er Jens Rachut erinnert sich allerdings mit mäßiger Begeisterung an den dort verköstigten Trollinger (?), weshalb er den Gastgebern charmanterweise lauwarmen Rosé aus der Schweiz ausschenkt.

JENS RACHUT & THOMAS WENZEL, YVY POP, 18.09.2021, White Noise, Stuttgart

Foto: Stephan Pohl

Für Stimmung sorgt aber zunächst Stuttgarts own Punk-Tausendsassa Yvy Pop (Mondo Sangue, The Bam Bams, The Heroines, Melitta Dingdong, The Popzillas) mit gewitzt untergründigen Anekdoten aus dem Leben der jungen Punkette in der schwäbischen Suburbia (Filderstadt), dokumentiert auch im Sammelband „Keine Zukunft war gestern. Punk in Deutschland“. Nicht nur die vielköpfig anwesende lokale Fanblase wünscht sich vermutlich auch mal einen ganzen Abend mit der lesenden Frau Pop.

Nach kurzer Bierpause übernehmen die Hamburger Jungs (okay, reiferen Herren) die Bühne: Jens Rachuts Karriere mit berüchtigten Punkbands wie Angeschissen, Blumen am Arsch der Hölle, Alte Sau, Dackelblut, Oma Hans und Maulgruppe (übrigens am 2. November im Merlin zu Gast) begann bereits in den 80ern. Im White Noise wird er von Thomas Wenzel (u.a. Goldene Zitronen, Sterne) musikalisch begleitet, der mit Laptop und Gitarre wahlweise für lässigen Background, zeitweise aber auch mal für satten Bandsound sorgt – und auch selbst zwei dezidiert poetische Texte vorträgt.

JENS RACHUT & THOMAS WENZEL, YVY POP, 18.09.2021, White Noise, Stuttgart

Foto: Stephan Pohl

Rachut gilt als „Schlüsselfigur der deutschen Punkszene“ (Wikipedia), wehrte sich aber schon immer gegen kommerzielle Vermarktungsmechanismen und blieb nicht nur deshalb immer Underground. Als Kontrast stelle man sich bitte das Modell Campino vor. Rachut liest (mutmaßlich) aus seinem 2020 im Ventil Verlag erschienenen Konvolut „Der mit der Luft schimpft“, überwiegend Songtexte seiner verschiedenen Bands aus allen Schaffensphasen. Ohne erkennbares Konzept (wohl auch seinem ziemlich unsortierten Manuskript aus fliegenden Zetteln geschuldet) wird munter durch kontrastreiche Szenarien gesprungen: Das alte Troja liegt nicht weit von der grauen Hamburger Gegenwart.

Rachut geht es nicht um simple Lacher (die gibt es aber auch), die erratische Performance gewinnt gerade durch die scheinbare inhaltliche Willkür an Tiefe. Der angekündigte „laute Vortrag“ besteht letztlich aus einem eher subtilen Textfluss von teils persönlicher Natur („Lied gegen Metastasen“), aber auch vom Schrägen ins Absurde mäandernd („Labskaus in der Tube“).

Dank der unaufdringlichen und sachdienlichen musikalischen Begleitung von Thomas Wenzel ergeben sich aber durchaus Momente, die in Corona-Zeiten zumindest ansatzweise an ein Punkkonzert erinnern. Letztlich ein erfreulich gut funktionierendes Konzept: Der Punkrocker als Dichter. Schön auch, dass durch solche Veranstaltungen das einst ja eher bildungsbürgerlich geprägte Format „Lesung“ an Credibility gewinnt.

JENS RACHUT & THOMAS WENZEL, YVY POP, 18.09.2021, White Noise, Stuttgart

Foto: Stephan Pohl

Ein Gedanke zu „JENS RACHUT, THOMAS WENZEL, YVY POP, 18.09.2021, White Noise, Stuttgart

  • 24. September 2021 um 16:56 Uhr
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    Könnt ihr mit dieser Lesegeschichte bitte auf Tour nach NRW kommen ? Wäre super ! Danke :-)

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