SOPHIE HUNGER, LIANNE LA HAVAS, 17.09.2021, Schlossplatz, Jazz Open, Stuttgart

SOPHIE HUNGER, 17.09.2021, Schlossplatz, Jazz Open, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Barcelona, 2014. Zum ersten Mal besuche ich diese Stadt, ich bin 42 Jahre alt. Ich bin außerordentlich angetan von dieser Stadt, der Atmosphäre, der Architektur, den Ramblas, den Superblocks, der Lage am Meer. Ich komme mir reichlich beknackt vor, aber ich kann nicht anders als jedem davon zu erzählen. Die erwartbare, einhellige Reaktion: Ja, das stimmt schon, aber hey, dass Barcelona eine tolle Stadt ist – das ist ja dermaßen bekannt… erzähl mir was Neues!

Stuttgart, 2021. Zum ersten Mal besuche ich ein Konzert von Sophie Hunger, ich bin 48 Jahre alt. Ich bin außerordentlich angetan von dieser Sängerin, ihrer Ausstrahlung, ihren Kompositionen, ihren Arrangements, ihrer Begleitmusiker und -sänger. Weniger begeistert bin ich von der Lage am Meer Auftrittssituation, aber dazu später. Ich komme mir reichlich behämmert vor, aber ich kann nicht anders als jedem davon zu erzählen. Die erwartbare, einhellige Reaktion: Ja, das stimmt schon, aber hey, dass Sophie Hunger eine tolle Künstlerin ist, jaduliebezeit, hattestdusiedennnochnielivegesehen? Nee, hatte ich nicht. Ein Blick in den gig-blog-Almanach zeigt, dass bereits 2015, 2016, 2019 und 2021 über die gebürtige Bernerin Emilie Jeanne-Sophie Welti geschrieben wurde. Ich bin also spät dran.

SOPHIE HUNGER, 17.09.2021, Schlossplatz, Jazz Open, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Sophie Hunger steht in dieser Kathedrale der Musik, der riesigen Jazz Open Bühne im Hof des Neuen Schlosses, links und rechts ihre zwei männlichen Mitmusiker (Schlagzeug mit teils elektronischer Unterstützung und Klavier/Keyboards). Ihr Kleinst-Chor, bestehend aus zwei Frauen und zwei Männer, bilden ihren Hintergrund, teilweise umrahmen sie Sophie Hunger, senkrecht beleuchtet, inszeniert wie ein musikalisches Ritual, strahlt dieses Klangwunder aus dem kleinen Kreis aufs Publikum aus. Sophie Hunger wechselt zwischen Akustikgitarre, E-Gitarre und – ungewöhnlich – Bass als Lead-Instrument. Sie singt auf englisch, deutsch, französisch und schweizerdeutsch. Gerade da kommt ihre Persönlichkeit am meisten zur Geltung: verletzliche Stärke, empfindsamer Übermut, etwas, dass ich auch beim Schweizer Rapper Tinguely dä Chnächt gefunden habe, etwas ganz eigenes, was ich dem Schweizersein zuschreiben möchte. Ja, Schweizer Rap, Empfehlung: Tinguely dä Chnächt – Häsch scho?

Ich kenne Hungers Werk nur bruchstückhaft, und dennoch gelingt es Sophie Hunger in diesem komplexen Rahmen mit coronabedingt lichten Zuschauerreihen und großer Bandenwerbung ihre Kunst zu transportieren. Mit großem Respekt werden zum Abschluss beide Musiker, Sängerinnen und Sänger mit Herkunft von Sophie Hunger vorgestellt und gefeiert. Ihr sehr getragener, letzter Song hat etwas von ganz großem Entertainment, Streisand Dion ganz ohne Nasenzentristik, ein würdiger Abschluss ihres Jazz Open Auftritts.

LIANNE LA HAVAS, 17.09.2021, Schlossplatz, Jazz Open, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Gegen 21 Uhr, es ist mittlerweile dunkel, folgt das zweite Konzert der großen Frauen an diesem Abend auf der Schlossplatzbühne der Jazz Open – Lianne La Havas.

Glänzt Sophie Hunger vor allem durch ihre spannungsreichen Arrangements, also – überspitzt – durch ihren musikalischen Intellekt, verführt Lianne La Havas durch ihre starke Stimme, ihr Lächeln, ihr Gefühl. Die aus London stammende Lianne Charlotte Barnes, Tochter einer jamaikanischen und griechischen Verbindung, steht ganz vorn am Bühnenrand mit ihrer Gitarre und schafft es mit ihrem Charme und ihrem Ganz-bei-sich-sein, die Bühne zu füllen. Sie wird begleitet von Bass und Keyboard, die sich ganz in ihren Dienst stellen: der Blick beider Musiker ist ganz auf Lianne La Havas gerichtet, der Keyboarder spielt nur Akkorde, der Bassist setzt einzeln seine Tiefen, die beiden Musiker tragen, schieben, betten ihren Schützling.

LIANNE LA HAVAS, 17.09.2021, Schlossplatz, Jazz Open, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Dass La Havas Vorbilder Lauryn Hill und Mary J. Blige sein müssen, ergibt sich schon beinahe aus ihrem Gesang. Als 80er-Jahre-Musiksozialisierter assoziiere ich ihre Stimme am ehesten mit Sade; schade, werden schnippisch Kennerinnen und Kenner sagen. Allerdings ist bei ihren Idolen „etwas mehr los“, auf Dauer lässt bei mir La Havas betörende Wirkung etwas nach, da sich wenig Abwechslung einstellt. Vielleicht liegt das aber auch an den rapid fallenden Temperaturen, die deutlich spürbar werden.

Apropos Temperaturen: Es bleibt zu hoffen, dass die Jazz Open das nächste Mal wieder, wie es sonst der Fall war, im Juli stattfinden werden und dass bald die Zuschauer ihre coronabedingte Zögerlichkeit ablegen und wieder vermehrt zu Live-Konzerten gehen. Wie auch immer: Die Jazz-Open-Macher haben es nach einem Jahr Pause und widrigen Umständen geschafft, mal wieder ein fettes Programm wie z. B. heute Abend zusammenzustellen – größter Respekt und größter Dank!

LIANNE LA HAVAS, 17.09.2021, Schlossplatz, Jazz Open, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Lianne La Havas

Sophie Hunger

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