DEICHKIND, 06.11.2019, Im Wizemann, Stuttgart

Deichkind

Foto: Christian Seyffert

Deichkind – der Name steht in der deutschen Musiklandschaft für vieles. Für mich klingt er nach „Megasause in der Schleyerhalle“. Und von dieser Spielstätte glaube ich ja, dass sie jede große Band auf die Bedeutung ihrer Mehrzweckhallenfunktion reduziert – The Cure, Placebo und (*hüstel*) die Scorpions. Was in der Schleyerhalle dagegen seine ganze Größe entfalten kann: Helene Fischer, PUR und das Festival der Militärkapellen. Nun hat mich Kollege Torsten auf den Umstand hingewiesen, dass Deichkind, bevor sie im Frühjahr die Schleyerhalle entern, eine Clubtour veranstalten und Im Wizemann aufschlagen. Wollen wir uns das anschauen? Klar. Will man, dass unsere Leserschaft sich hochqualitative Fotos der ersten drei Songs anschauen kann? Nein.

So gibt es keine Foto-Akkreditierung für diesen Gig, weswegen ich mich alleine auf den Weg nach Cannstatt mache. Dort angekommen, ergibt sich das teils erwartete Bild: Kostüme, welche den Hedonismus, den diese Band in den Nullerjahren ausgestrahlte, ausstrahlen. Das war aber auch eine unbeschwerte Zeit: Das Sommermärchen brachte schwarz-rot-gold zurück auf die Straße, der VfB die ganze Region und die 80er-Jahre-Kinder verbrachten ihre Studienjahre im Rocker 33.

Die erste Überraschung des Abends: Das Konzert findet nicht im großen Saal, sondern im kleinen Club statt. 12,99 € kosteten die innerhalb kürzester Zeit vergriffenen Tickets, wozu es keinen Discounter als Vertrieb benötigte. Eine Vorband gibt es nicht, die Leute trinken Bier, das Konzert beginnt 20.30 Uhr und ich habe hinten genügend Platz und bin doch nah dran – es gibt weit schlechtere Voraussetzungen für einen gelungenen Konzertabend:

1. „Keine Party“

Der ausdrucksstarke Tanzstil aus dem Video, der zuerst von einem Mitglied, dann von allen auf die Bühne gezaubert wird, gepaart mit dem eher gnadenlosen Beat bieten den perfekten Auftakt und zeigen von Anfang an eins: Die sieben haben richtig große Lust. Alle sieben sind in weiße Overalls gekleidet, die wie der Bühnenhintergrund, der wie das Album gestaltet sind, dazu Sonnenbrillen und weiße Caps. Auch bezüglich des Textes ist es ein naheliegender Auftakt: Selbstironisch beziehen sie sich auf ihren Ruf und auf das, für was sie die meisten kennen werden – Krawall und Remmidemmi.

2. „Dinge“

Was Sound und Beat betrifft für mich ein Highlight des Albums und des Konzerts, da es die Bandbreite erweitert in Richtung Osten und 2019.

3. „Wer sagt denn das?“

Der Sound ist perfekt abgemischt: Die Bässe wummern breit, aber nicht verschwommen und die Texte sind bestens zu verstehen. Und diese bieten gerade bei diesem Song mehr als nur Unterhaltung – anders als ich die Band abgespeichert hatte. Aber trotz ernsthafter Töne unterhalten sie auch weiterhin, eine nicht zu verachtende und schwierig zu erreichende Mischung.

4. „So ne Musik“

Vielleicht sind einige beruhigt – es wird nicht nur das neue Album präsentiert, sondern auch ausgewählte Hits der vergangenen Alben. Ein klein wenig spürbar ist die doch etwas stärkere Begeisterung, die sich ganz natürlich bei den später rausgeballerten Klassikern noch steigern wird.

5. „Richtig gutes Zeug“

Man merkt im kleinen Club, dass die Bühnenpräsenz der Jungs in den letzten Jahre für die ganz großen Bühnen gemacht ist. Es wirkt nun auf der kleinen Bühne aber nicht übertrieben, sondern eher verdichtet und konzentriert. Fast schon wie eine Theatertruppe füllen sie die Bühne, manchmal mit kleinen Szenen und Choreographien, die man schon in den Videos zu sehen bekam. Ich erwarte jeden Moment Lars Eidinger.

6. „Knallbonbon“

Was bewundernswert ist: die auf dem Album ineinandergreifenden Textpassagen und Rapparts werden auch live absolut überzeugend auf den Punkt gebracht.

7. „Alles außer Sunshine“
8. „Wir fahren autonom“

Ich frage mich in meiner bescheidenen Musik-Blogger-Welt, ob ich wirklich schreiben soll, dass das Ende des Songs eine Hommage an Kraftwerks „Autobahn“ ist und zudem zeigt, wie Deichkind Sounds aus vier Jahrzehnten elektronischer Tanzmusik zitieren? Ich weiß es nicht, vielleicht ist das zu naheliegend oder einfach gedacht. Jedenfalls musikalisch gefällt es mir hervorragend!

9. „Cliffhanger“
10. „Gewinne“

Jetzt wird in den Party-Modus geschaltet: Es gibt Plakate, ne Palette Dosenbier und andere Gimmicks. Der Saal kommt so richtig in Fahrt.

11. „1000 Jahre Bier“

Jetzt gibt‘s auch ne Bierdusche für die Reihen 1-7, die Overalls weichen nackten Oberkörpern und skurrilen Kopfbedeckungen – das Limit naht.

12. „Arbeit nervt“

It‘s a Klassik! We call it a Klassiker!

13. „Bude voll people“

Die Party ist nun in vollem Gange. Ca. 15 Leute werden leicht verdutzt auf die Bühne geholt und haben mit den Deichkindern tanzend den Spaß des Jahres und werden von der Band der Reihe nach per angeleiteten Stagedive von der Bühne gebracht.

15. „Limit“

Das Limit wird ausgerufen. Auf der Bühne schont sich keiner – das nötigt mir einen großen Respekt ab! Das wird vor der Bühne durch am Limit befindlicher Ekstase gewürdigt, die mit

16. „Krawall und Remmidemmi“ endgültig erreicht ist. Das obligatorische Schlauchboot schafft es bei der Clubgröße Fast ganz nach hinten, ein Gemisch aus Schweiß, Bier und Federn fliegt durch die Luft und bedeckt nach pickepackevollen 70 Minuten den Boden. Die Deichkinder und das Publikum wirken gleichermaßen erschöpft, aber glücklich. Beim nächsten Mal dann wieder die große Bühne – die Performance war heute schon groß.

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