THE 69 EYES, 07.11.2019, Im Wizemann, Stuttgart
They are the band that time forgot. They are the band that refuses to die.
They are the Helsinki Vampires.
Unbekümmertheit, durch die Nacht schwebende Melancholie und jede Menge Schnaps in einer stickigen Bar irgendwo in Helsinki. Mehr bedarf es nicht, bis ein Stein ins Rollen gerät und man entweder eine Kneipe aufmacht oder eine Band gründet. Glücklicherweise waren Jyrki69, Bazie, Jussi69, Archzie und Timo-Timo schon vor drei Jahrzehnten so trinkfest, um sich am nächsten Tag noch an diesen idiotischen Plan zu erinnern.
The 69 Eyes. The Helsinki Vampires. Vor über fünfzehn Jahren hörte ich zum ersten Mal Brandon Lee und war sofort im Bann dieser umschmeichelnden, wie Honig fliesenden Stimme. Ville Valo, Pete Steele, Michelle Darkness und eben auch dieser finnische Vampyr Jyrki69. Alle gesegnet mit diesem Bassbariton, der unsäglichen Schmerz, bittersüße Romantik und morbide Wärme zu verbreiten vermag.
Ein Hauch von Patchouly liegt schon vor dem Betreten des Wizemann schwer in der Luft dieser tief herbstlichen Nacht und lädt betörend zum Tanz der Vampire ein, zumindest im Club. In der Halle neben an geht es heute etwas epischer zu. Dort spielen Beast in Black. So werden, bevor jeder sich auf seinen favorisierten Weg macht hier und da zum Teil noch ein paar skeptische Sprüche ausgetauscht, wieso man zu dieser Band geht, wenn neben an jene Band spielt. Ein freundlicher Besucher weist auch warnend darauf hin, dass man fälschlicherweise in der Schlange für The 69 Eyes anstehe.
Voller Überzeugung berichte ich heute vom eindeutig besseren Konzert.
Schon mehrere Male hatte ich dieses Jahr das Glück, dass sich, nachdem ich Songs einer Band nach langer Zeit einmal wieder angehört habe, die kurzfristige Möglichkeit auftut, diese auch live sehen zu können. The 69 Eyes werde ich heute das erste Mal sehen und freue mich wie ein kleiner Junge an Halloween, wenn endlich die Geisterstunde schlägt und seltsame Gestalten durch die Gegend streunen.
Bevor die Verdammten aus ihren Särgen klettern, muss aber erst einmal den Trauergästen ein wenig eingeheizt werden. Lacrimas Profundere aus Bayern, auch schon seit 26 Jahren unterwegs, anfänglich noch den Death/Doom Hammer schwingend, heute eher eine Mischung aus Dark und Gothic Metal spielend, sind der Support und haben mit Julian Larre nicht nur einen neuen Frontmann, sondern ebenfalls einen lustigen Finnen mit im Quartett. Die einen oder anderen werden ihn vielleicht schon kennen, verfolgt man das Schaffen von Lessdmv aus Finnland. Seine gefühlt schwächere Stimme im direkten Vergleich zu Vorgänger Roberto Vitacca wird ausgeglichen durch die mitreisende Energie, die Larre von Beginn an dem Publikum entgegen knallt. Musikalisch bewegen sich Lacrimas Profundere mit der Setlist heute im ziemlich soliden Alternative Rock herum, lassen aber auch mal die härteren Riffs raushängen oder grooven im 69´schen Goth´n Roll Style. Leider ist der Gesang an manchen Stellen viel zu leise und die Screams gehen komplett unter, was Songs wie Father of Fate ordentlich den Wind aus den Segeln nimmt. Ich habe über weite Strecken dieses Auftritts gerätselt, woher ich diese Band kenne, da ich mir ziemlich sicher bin, sie schon einmal live gesehen zu haben. Bei My Release In Pain lichtet sich dann mein Nebel der Vergessenheit.
2008 in München, gemeinsam mit Wednesday 13. Und sie sind mir in Erinnerung geblieben, weil ihr alter Sänger Roberto Vitacca auch diese tiefe, ergreifende Stimme hatte. Heute werden auch einige Songs aus dieser Zeit gespielt, doch schafft es Julian Larre nicht gänzlich zu überzeugen, an die gesanglichen Leistungen von damals heran zu kommen, was die Zukunft sicherlich vergessen machen wird, denn das neue Material mit ihm ist durchaus ebenbürtig. Trotz dieser, oft leider dem Sound geschuldeten Schwächen – Stuttgart mag Lacrimas Profundere. Mit jedem Song wird das Publikum aktiver, tanzt und Larre gibt im wahrsten Sinne des Wortes beim letzten Titel The Letter sein letztes Hemd. Allen voran die weiblichen Fans begrüßen diesen Anblick und aus mehreren kleinen Grüppchen im Raum outen sich kreischend ein paar Fans offensichtlich speziell des Sängers wegen.
Gewiss sind Lacrimas Profundere mit ihrem breiten Spektrum an unterschiedlichen Stilrichtungen, aufwendigen Musik Videos und nebenbei erwähnt auch ziemlich guten Songs nicht auf dem Bekanntheitsgrad unterwegs, den sie verdient hätten. Doch andererseits fehlt dieses gewisse Merkmal, eine gewisse Besonderheit im Auftritt und der Musik, die das Ganze noch auf den nächsten größeren Schritt hebt.
Auf solchen irdischen Wegen wandeln Vampire natürlich nicht. Ich habe schon so manchen Konzertbericht gelesen, bei dem ein gesteigerter Kater oder amtliche Betrunkenheit den Auftritt der 69 Eyes getrübt hat. Aus Erfahrung weiß ich, dass wenn die Band betrunkener ist als das Publikum, dieses eher negativ reagiert. Wir dürfen also gespannt sein, ob es heute Blut oder Sima beim Catering gab.
So zieht Dunkelheit aus den Gräbern des Backstage-Bereiches herauf, Nebel breitet sich über den Bühnenboden aus und das Phantom Der Oper erklingt aus den Boxen. Welch schaurig feines Intro. Fünf Skelette in Lederjacken erscheinen vor uns. Zusammen mit diesem Intro und dem Anblick der Band bekomme ich innerlich Lust, nach der Show noch eine Folge The Munsters anzusehen. Ebenso wie Alice Cooper oder Wednesday 13 fassen die 69 Eyes das Genre Horror mit einem klassischen Augenzwinkern auf, old school Style. Sofort fühle ich diese Schwarzweiß-Horrorfilm-Atmosphäre ála The Last Man On Earth oder The House On Haunted Hill. Als Jyrki69 die ersten Zeilen von Two Horns Up erklingen lässt, macht sich dieses wohlige, warme Gefühl im Kopf und Magen breit. Ich hätte jetzt gerne einen gemütlichen Sessel, Beine hochlegen und genießen. Es wird schwer, seinen Körper in den nächsten 1 ½ Stunden aufrecht zu halten, wenn alles so zähfließend und betörend ist. Allen aufkommenden Sorgen zum Trotz sind die 69 Eyes frisch und spielfreudig und Drummer Jussi69 ist ebenso unterhaltsam am Draufhauen, wie meine Helden Joe Letz und Racci Shay Hartt. Das kommt alles ganz von selbst und man kann nebenbei ordentlich posen.
Während ich Jyrkis´ Performance und Dancemoves zu Never Say Die verzückt beobachte, strickt mein Gehirn eine seltsame Theorie um den Tod von Elvis Presley zusammen. Ja, Elvis ist tot. Definitiv. 666 Feet Deep. Aber möglicherweise wanderte sein Geist ja irgendwann in den Neunzigern durch die Straßen Helsinkis und fuhr ein in diesen seltsamen Trunkenbold in Lederjacke, in dessen unsterblicher Existenz er uns weiter mit seinem Können beschenkt. Es ist in vielen Momenten wirklich extrem cool, wie sehr Jyrki nach einem finsteren Elvis klingt und sich auch so bewegt in seinem Skelett Outfit. Dance D´Amour ist auch so ein unglaublich langsamer, düster romantischer Song, da versinkt man automatisch in Tagträumen über ein Glas Wein bei schwachem Kerzenlicht mit der Mrs im Arm. Warm, melancholisch und unglaublich sexy. Ja, ich bin verzaubert von dieser Musik. Aber wie schon zu Beginn erwähnt, wird es mit jeder Minute schwerer sich auf den Beinen zu halten.
How Many Kisses Drive You Crazy?
Just One Or None?
Mit 27 & Done der neuen Platte West End wird ganz unüblich, abseits der ganzen Hommagen an die viel zu früh und tragisch verstorbenen Künstler bla bla bla… zur Abwechslung auch mal ein positiver Aspekt des frühen Ablebens besungen. Das Leben geht sowieso stetig abwärts, rational gesagt führt man das traurige Fristen im Hier und Jetzt ja nur bis+ man das Ticket löst und warum dann nicht schon mit 27 die Schnur ziehen und im Jenseits die richtig große Party feiern. Und wieder muss hierbei erwähnt werden, dass Jyrki einem dies so schmeichelnd singend nahelegt, dass es einfach so sein wird.
Ein lustiges Indiz dafür, dass die Band nicht komplett betrunken ist, zeigt auch Jyrki immer wieder während den Songs, wenn er sich voller Freude mehrfach im Kreis dreht. Eindeutig sein Signature Move. Mit ordentlich Promille würde er dabei sicherlich ins Schlagzeug fallen und sich über die erste Reihe übergeben. Und plötzlich ertönt aus dem Off ein Donnerschlag und ich Fuchs weiß sofort: Brandon Lee
Ich hoffe, wenn ich mal mit Brandon Lee einen Wein trinken sollte, in welchem Kreis der Hölle auch immer, wird mein Dasein ebenso schön besungen. Schaue ich den Film, höre ich Jyrki singen. Höre ich den Song, beendet Brandon Lee diesen mit seinen Worten:
„It Can´t Always Rain“
Und The 69 Eyes beenden diesen Abend mit der Hymne für all uns die Dunkelheit liebenden Verdammten, auf der Suche nach dem Unerreichbaren. Denn wenn das Sonnenlicht des neuen Tages uns erneut blendet sind wir alle wieder Lost Boys.