ALIN COEN BAND, STEINER & MADLAINA, KIARA HUBER, Böblinger Songtage, 02.08.2019, Alte TÜV-Halle, Böblingen
Zum sechsten Mal finden in der Alten TÜV-Halle am See die Böblinger Songtage statt. Das ist schon ein klein wenig erstaunlich, aber vor allem sehr erfreulich. Erstaunlich deswegen, weil der Landkreis Böblingen der an Stuttgart angrenzende ist, der sich in den letzten Jahren am wenigsten in Sachen Popkultur hervorgetan hat. Natürlich legen hier Esslingen mit dem Komma und der Rems-Murr-Kreis mit der Manufaktur die Messlatte auch ziemlich hoch. Da kommen die beiden Kreise Ludwigsburg und Böblingen nicht mit. Natürlich gibt es kleine, aber feine Einrichtungen wie das Flint (Ludwigsburg), das Blaue Haus (Böblingen) und das Deutsche Fleischermuseum, das Fuchs-und-Has-Festival (Herrenberg) oder das nimmermüde Festival RockXPlosion (Warmbronn). Ansonsten ist dies eher die Diaspora der Popkultur im Raum Stuttgart, wo es das Cover-Band-Festival auf dem Parkplatz eines Möbelhauses in die Sommerloch-Schlagzeilen der Lokalpresse schafft.
Genau deswegen ist es so erfreulich, dass Andreas Wolfer, seines Zeichens verantwortlich für Veranstaltungen, Museen und Archiv bei der Stadt Böblingen, seit 2014 an drei Tagen im August ein feines Programm auf die Beine stellt, das den Fokus auf Liedermacher*innen und Bands dieser Couleur mit deutschsprachigen Texten legt. Die Höchste Eisenbahn, Friedrich Liechtenstein, Bernd Begemann, Faber, Voodoo Jürgens und Dota waren unter anderem in den letzten Jahren zu Gast – alles inzwischen illustre Namen, die, so verrät uns der Organisator, teilweise über das Budget hinausgewachsen seien. Die Songtage bieten also eine schöne Gelegenheit, Bands in kleinem Rahmen zu sehen, wie es eventuell nach zwei oder drei Jahren kaum noch möglich ist. Die Location trägt einiges zum gelungenen Rahmen bei: Nahe des Sees gelegen, durch die zu 1/3 offene Halle nicht vom Wetter abhängig und mit angrenzender Bewirtung, der Innenraum zum Großteil bestuhlt.
Schön, dass am diesjährigen zweiten Tag ausnahmslos Künstlerinnen (unterstützt von dem einen oder anderen Musiker) im Rampenlicht stehen, angeführt von der 15-jährigen Kiara Huber aus Herrenberg. Scheinbar ohne oder mit kaum erkennbarem Lampenfieber besteht ihr Auftaktset aus eigenen Liedern und Coverversion von Yvonne Catterfeld und Cassandra Steen. Genau von diesem Stil sind auch die eigenen Songs geprägt, z.B. „Ich komm mit“. Auffallend ist, dass Huber sowohl das Klavierspiel als auch ihre Stimme beherrscht und dies ohne Band-Unterstützung der schon sehr gut gefüllten Halle präsentiert – Respekt! Als Erwachsener finde ich es oft schwierig, Texte von Teenagern zu beurteilen – entweder zu banal („Ach, süß, das wird sie in ein paar Jahren auch anders sehen.“ ) oder zu altklug („Naja, also in dem Alter von den ‚alten Zeiten‘ zu singen, die vergangen sind, so alt ist sie ja noch gar nicht“). Schön, dass Kiara Huber sich davon scheinbar nicht beirren lässt.
Es folgen Steiner & Madlaina aus der Schweiz. Die beiden Musikerinnen Nora Steiner und Madlaina Pollina veröffentlichten letztes Jahr schon ihr drittes Studiowerk (nach 2 EPs 2015 und 2017), das beim geschätzten Label Glitterhouse herauskam. Eingängiger Folk-Pop, gern mit Akustikgitarren, für Freund*innen von Katzenjammer und Iva Nova, teils auf Schweizerdeutsch. Es könnte für meinen Geschmack gerne den ein oder anderen Bruch geben. In den richtig guten Momenten ist die Band nahe an Sophie Hunger („Geiz ist geil“), im nächsten Atemzug dann aber doch auf dem Weg Richtung Belanglosigkeit („So schön, wie heut wird es nie mehr sein“). Das klingt vielleicht härter, als es gemeint ist. Ich merke aber, dass ich dem Auftritt zunehmend bemüht folge. Die Stimmen gefallen mir gut, allerdings gelingt es mir auch nicht immer, den Texten zu folgen. Vielleicht ist das der Grund, dass mich deren eventuelles Augenzwinkern nicht erreicht.
Der Headliner am Freitag ist Alin Coen mit ihrer Band. Eine jener Musikerinnen, deren Name mir schon seit Jahren bekannt ist, die ich bisher allerdings nie live erlebt habe. Abgespeichert ist sie bei mir unter „Luftiger Großstadt-Pop“ oder so ähnlich. Im Nachhinein stelle ich fest, dass dieses Urteil wohl auf der Basis ihres ersten Albums von 2010 beruht. Im Vergleich zu Steiner & Madlaina fällt mir als erstes der deutlich reduziertere Sound auf, was natürlich auch daran liegt, dass zwei Leute weniger auf der Bühne stehen. Dadurch entsteht eine höhere klangliche Transparenz und der Gesang kommt besser zur Geltung – etwas, was mir schon bei den Schweizerinnen aufgefallen war: Die Songs mit etwas mehr Redundanz haben mir besser gefallen.
2020 soll ein neues Album erscheinen, wie Coen dezent hinweist („Ich bin die langsamste Schreiberin in Deutschland“). Einige der Songs des Abends werden auf diesem Album zu hören sein. Die Themen, stellt Coen lakonisch bei einer ihrer sympathischen Ansagen fest, seien ja irgendwie doch dieselben – Liebe vor allem, obwohl sie doch mit 16 definitiv keine Lieder über die Liebe schreiben wollte. Trotzdem habe sie das dringende Bedürfnis sich nach sechs Jahren neu auszudrücken, was ihr ziemlich gut gelingt. Im gewohnt pop-folkigen Gewannt überzeugen die Songs durchgehend mit einer schönen und durchaus auch abwechslungsreichen Instrumentierung. Dabei fällt vor allem das sehr filigrane Spiel des Schlagzeugers auf und die manchmal kaum merklichen, aber sehr prägenden Sounds des Bassisten. Nuancen, welche diesen Auftritt kurzweilig und interessant gestaltet. Der schon angesprochene „luftige Großstadt-Pop“ ist immer noch ein Bestandteil, wird aber durch alle drei gekonnt erweitert in Richtung „luftiger Großstadt Pop-Jazz“. Ich könnte mir vorstellen, dass auf dem Album noch etwas mehr mit elektronischen Sounds experimentiert wird – 2020 soll es erscheinen, falls es noch nicht erwähnt wurde.
Die drei Acts passen insgesamt ganz wunderbar zu einem lauen Sommerabend in der charmanten alten TÜV-Halle am Böblinger See. Und auch den Musiker*innen scheint das familiäre Setting zu gefallen – sichtbar wohl fühlen sie sich, was auch am meist aufmerksamen und sehr begeisterten Publikum liegt. Schön wäre es, wenn manche nicht nur bei ihrem Lieblingsact aufmerksam zuhören würden. Böblingen jedenfalls hat mit diesem Festival ein Kleinod, das hoffentlich noch eine ganze Weile bestehen bleibt.