THEATERFESTIVAL, 26.07. bis 03.08.2019, Burkwanger Weiher, Isny
Jedes Jahr im Sommer findet das familiäre Theaterfestival Isny statt. Aus dem kleinen Treffen von Straßentheater-Kompagnien ist laut der Website seit dem ersten Festival 1983 ein vielfältiges Kulturevent mit Konzerten, Kleinkunst, Theater und interessanten Workshops geworden. Reibungslos organisiert für uns Zuschauer – ehrenamtlich – wird das alles vom gleichnamigen Verein Theaterfestival Isny e.V. Jeder Abend hat seinen eigenen regionalen Sponsor, für die leckere und gesunde Verpflegung sorgt Aziz Rahimi vom Gasthaus Lamm in Leutkirch mit seiner Crew. Und übernachten kann man auf dem unvermüllten Festivalgelände nahe dem Burkwanger Baggersee auch, vorausgesetzt man hat ein Ticket und ein Zelt oder so was. Nicht nur auf der Bühne wird Allerlei dargeboten, auch die Besucher haben was drauf und immer mal hört man selbstgemachte Musik aus einem der Wohnwägen, irgendwo wird jongliert oder eine Dame wird von einem Herrn über den Platz balanciert. Die Stimmung ist auch bei Starkregen ungebrochen ausgelassen. Die meisten Besucher sind angesichts der Autokennzeichen aus der Gegend, mit ein paar Ausnahmen, z.B. aus Hamburg.
PHILIPP MARX, Open Stage, 26.07.2019
Der allererste Auftritt des diesjährigen Theaterfestivals Isny gehört in diesem Jahr dem Liedermacher Philipp Marx. Er stammt ursprünglich aus Isny und lebt jetzt offenbar in Karlsruhe. Sanft singt er – begleitet von sich, Nadja Hirsmüller und Johnny Gee (allesamt an der Gitarre) – deutschsprachige Eigenkompositionen. Sein Lied U.S.A. (Unser schönes Allgäu) wirft bei mir die Frage auf, warum er in Karlsruhe lebt und merke auch, dass das hier schon ein Hit ist – es wird kräftig mitgesungen. Ich muss erstmal richtig ankommen und höre nur mit einem Ohr zu, aber: charmanter Auftakt für ein charmantes Festival.
HERBERT PIXNER PROJEKT, 26.07.2019
Eröffnet wird das diesjährige Theaterfestival Isny vom in Österreich längst legendären Herbert Pixner Projekt. Hier gehts zum kompletten Bericht. Der aus Stuttgart extra angereiste Fotograf Armin und ich sind uns einig, dass damit am 1. Tag schon das Highlight verbraten wird.
DOBET GNAHORÉ, 27.07.2019
Doch wir haben nicht mit Dobet Gnahoré gerechnet. Natürlich ist das komplett andere Musik als bei Pixner, aber einem Vergleich, was Virtuosität und Ausstrahlung angeht, hält sie locker stand. Heute dürfen wir tanzen, die Bierbänke und Stühle sind weggeräumt. Eine gewaltige Mischung diverser afrikanischer Musikrichtungen mit einer feinen Brise Elektronik und natürlich Gnahorés energiegeladener Auftritt bringen das Theaterzelt zum Kochen. Sie singt, trommelt und macht gleichzeitig übermenschliche Bewegungen – und ich hoffe nur, dass sie uns nicht auffordert, es ihr gleichzutun – wir würden umfallen wie dicke Käfer. Sie trägt ein knappes Lederoutfit, das nur Schönheiten wie sie tragen können, ohne tragisch auszusehen. Dazu orthopädische Knieschoner. Ob sie die tatsächlich zum Schutz anhat oder ob sie einem modischen Bruch dienen? Ich tippe auf Ersteres, weil sie wie schon erwähnt unglaubliche körperliche Anstrengungen unternimmt, um uns zu unterhalten.
MOKOOMBA, 27.07.2019
Direkt im Anschluss kommen die sechs Musiker von Mokoomba aus Simbabwe zum Zug. Von Anfang an ist der Gitarrist ob seiner Mimik mein Liebling. Sie legen mit Vollgas los, die Musik ist erwartungsgemäß kraftvoll und tänzerisch sind sie sensationell, vor allem der Sänger. Bis zu einem beeindruckenden A-capella-Liebeslied, bei dem alle Bandmitglieder mitsingen, habe ich großen Spaß. Danach wird es leider etwas eintönig und zieht sich bis zum Schluss ganz schön. Aber vielen geht es zum Glück nicht so und sind bis ganz zum Schluss kräftig am Feiern.
ZIRKUS ZAMBAIONI, 28.07.2019
Heute habe ich Freunde mit ihren Kindern aus Bodnegg zum Kinderprogramm anlocken können, Zirkus macht mir in Gesellschaft kleiner Leute einfach mehr Spaß. Der Regen trommelt aufs Zirkuszelt und den kurzen, gesprochenen Teil hört man nicht gut. Aber Wahnsinn, was die Jugendlichen vom Kinder- und Jugendzirkus Zambaioni aus Tübingen hier darbieten, die witzigen Jonglier-Nummern und artistischen Darbietungen sind sehr beeindruckend. Thema ist die Entstehung der Welt und ihre Entwicklung. Die Geschichte kennen wir zwar anders, aber vielleicht war es so, wie die jungen Künstler uns weismachen wollen. Der Zirkus Zambaioni feiert in diesem Jahr sein 25. Jubiläum und zeigt uns, dass Schönheit keine Perfektion braucht.
DER GOTT DES GEMETZELS, 28.07.2019
Heute wird das Programm dem Namen des Festivals gerecht. Wir sehen das Theaterstück „Der Gott des Gemetzels“ in bairischer Sprache. Die Autorin Yasmina Reza hatte zwar jegliche mundartliche Version untersagt, aber sie ließ sich in diesem Fall doch überzeugen – was für ein Glück. Die Schauspieler sind genial, ich freu mich tierisch, hier zu sein. Erst nach einer halben Stunde, als „Anette“ über den Kokoschka-Kunstband kotzt, merke ich, dass ich den Film doch gesehen habe. Diese Theaterversion werde ich hingegen nicht so schnell vergessen. Minuspunkte: Ein paar Leute haben Mallorca gemacht, also weiträumig mit Jacken Sitzbänke reserviert. Und eben diese kommentieren jetzt lautstark alles, was auf der Bühne passiert. Ich übe mich in Gelassenheit, auf der Bühne wird ja schon genug gemetzelt …
Den Poetry Slam nehme ich an diesem Abend nicht mehr mit, morgen ruft die Arbeit.
RAINALD GREBE & DIE KAPELLE DER VERSÖHNUNG, 29.07.2019
Die erste Hälfte dieses Auftritts ist für mich etwas schwierig. Wenn der musizierende Kabarettist Rainald Grebe schnell singt oder spricht, verstehe ich kein Wort. Ich verstehe nur, dass er uns linksversifft schimpft. Um mich herum wird immerzu inbrünstig gelacht, wahrscheinlich denkt jeder in meiner Nähe, dass ich vollkommen humorlos bin. Wenigstens kann ich über seine Gesichtsausdrücke und deppigen Bewegungen lachen. Für die letzten Stücke vor der Pause suche ich mir in der Hoffnung auf besseren Sound ein anderes Plätzchen. Im Austausch mit meinem Sitznachbarn erfahre ich, dass er auch nicht alles versteht – das macht mich froh. Aber oh Wunder, ab jetzt versteh ich alles. Woran das liegt, kann ich nicht sagen. Entweder sind die Wortfolgen langsamer oder der Sound in dieser Ecke besser. Hierhin werde ich auf jeden Fall nach der Pause zurückkehren.
Und das macht sich bezahlt, nichts entgeht mir mehr von Grebes Ergüssen, der unsere aktuellen Spinnereien und komischen Moden und Altmoden beleuchtet und belächelt. Nicht bösartig, nur mit der nötigen Ironie. Offensichtlich hat er sich, mich und alle anderen gut beobachtet. Aber er kann nicht nur witzig, er und seine Band stellen sich als feine Musiker heraus, die auch Brüche draufhaben.
Im Anschluss finden sich noch ein paar Leute für eine spontane Session ein. Darunter die Musiker von Veeblefetzer aus Rom, die hier im Gastrozelt am Dienstag offiziell aufspielen.
ACCADEMIA TEATRO DIMITRI, 30.07.2019
Auf den heutigen Abend habe ich mich sehr gefreut, die Studenten der Schauspielschule „Accademia Teatro Dimitri“ treten heute im Zirkuszelt. auf. Die Familie Dimitri kenne ich gut von ihren jährlichen Auftritten im Forum-3-Theater in Stuttgart. Wie kann es anders sein, die Studenten sind großartige Mimen und zeigen alle Facetten ihres Könnens, sei es Schauspiel, Clownerie, Artistik oder HipHop-Tanz und Musizieren. Die modulare Bühnenausstattung gibt ihnen den Raum dafür. Da verwandelt sich der Salon von „Frau Bianca“ mit ein paar Handgriffen in ein Spa und später in ein Rennauto etc. Das Stück wird in 4 Sprachen aufgeführt, es dreht sich um eine Champagner saufende Sylvestergesellschaft, die so der Welt enthoben ist, dass die wirkliche Welt für sie nicht zu existieren scheint. Bis der Champagner ausgeht. Und auch diejenige, die noch was wahrnimmt, tut dies nur zum Selbstzweck. Ich hätte mir persönlich ein wenig mehr Artistik und pantomimische Darstellung und weniger gesprochenes Theater gewünscht. Es hat ein bisschen was von Boulevard-Theater und es ist teils sehr vordergründig. Dennoch – ein großartiger Abend, was Details und humoristische Spitzen angeht.
VEEBLEFETZER, 30.07.2019
Nun spielen Veeblefetzer aus Rom gratis im Gastrozelt. Dem Programm entnehme ich, dass sie Reggae, Hip Hop, Brass´n´Roll mit einer ganz speziellen Tropical-Gypsy-Note spielen. Jetzt bin ich schon eh die Schlechteste im Bestimmen von Musikrichtungen. Wie hätte ich darauf kommen sollen? Ich verweile nicht lang, obwohl sie mir gut gefallen. Ich wünschte ich wäre fit. Aber nach 5 Abenden Kultur und normaler Tagestätigkeit sehne ich mich nach meinem Bett.
VON WEGEN LISBETH, SUPPORT: PANDA LUX, 31.07.2019
Ich komme am Festivalgelände an und sehe, dass einige weitere Parkplätze auf den umliegenden Futterwiesen eröffnet wurden. Für Von Wegen Lisbeth sind sie aus dem weiteren Umkreis angereist, aber ich sehe auch Autos aus Essen und Bielefeld.
Panda Lux aus Rorschach am Bodensee eröffnen. Im Programmheft steht, dass sie die Band 2006 mit 12, 13 und 14 Jahren gegründet haben. Also wenig verwunderlich, wie gut die sind, die sind zusammen gewachsen und zusammengewachsen. Es gibt Clueso- und Coldplay-Momente – blöde Vergleicherei immer -, der Sänger hat eine herrliche Kopfstimme. Er singt deutsch, hatte ja gehofft schweizerdeutsch. Allerdings verbindet er die Worte beim Singen sehr, ich kann nur einmal wirklich was verstehen und das ist „Pizza“.
Bei Von Wegen Lisbeth denke ich, dass wir dringend junge Leute im Gig-Blog brauchen, so 20/25 Jahre alt. Das Lebensgefühl, das die Band mit ihren Texten transportiert, ist bei mir zu lange her, um ihnen heute gerecht zu werden. Obwohl einiges aus den 80ern drinsteckt. Beim ersten Stück denke ich nämlich sofort: „Kim Wilde“. Und zwar klingt es zunächst nach Wildes Interpretation von „Keep me hanging on“. Eine deutsche Version davon wäre sicher nicht uninteressant. Aber es geht dann doch anders weiter. Ein weiterer 80er-Bezug ist die Frisur des Keyboarders,. Oben kurz der Rest lang. Ach Du Schreck, kommt das nach Schnurrbärten jetzt auch noch wieder. Schluck. Egal – die Band ist supersympathisch und alle spielen prima, aber der Sound und die Texte berühren mich leider nicht. Wäre ich 19, hätte ich mich ganz bestimmt für die Dauer des Auftritts in den Sänger und sein großes Lächeln verliebt, aber es ist wie es ist, ich bin der Sache entwachsen. Zum Glück ist das Publikum großteils im richtigen Alter und feiert die Band so, wie es ihr gebührt.
ATELIER LEFEUVRE & ANDRÉ, 8m3, 01.08.2019
Das ist mit Abstand das Hinreißendste, was ich seit langer Zeit gesehen habe. Auf 8m3 erzählen Jean-Paul Lefeuvre und Didier André eine Geschichte. Und zwar getrennt voneinander. Beide stellen auf ihre Weise unheimlich liebevoll eine tragische Person dar, mit ganz feinem Humor. Lefeuvre nimmt einen Fernseher zu Hilfe, der die Vergangenheit seiner Figur erzählt. Er spult immer wieder zurück und mimt nach, was er sieht. Nebenher wird noch ein wenig gezaubert und jongliert, aber auch das hauchzart. Nach der Pause vollführt der sichtlich unter der Enge leidende André in der 8m3-Kiste, die in seinem Stück wohl einen Omnibus darstellt, akrobatische Höchstleistungen. Das ist umso unglaublicher, da er aussieht, als wäre er mindestens zwei Meter groß. Ich bin bezaubert und werde die Band „La Cuneta Son Maschine“, die sich im Gastrozelt bereit macht, auslassen. Ich will mit diesem Gefühl nach Hause gehen.
GROSSSTADTGEFLÜSTER, SUPPORT: 2ERSITZ, 02.08.2019
2ersitz aus Leipzig bezeichnen ihre Musik als Neo-Hippie-Pop. Wer soll bei Musikrichtungen eigentlich noch mitkommen?! Ich finde, sie machen nichts Ungewöhnliches, aber das machen sie verdammt gut. Die Musik ist einfach schön und unaufgeregt und geht mir leicht in die Beine. Können gerne noch ein paar Stunden weitermachen.
Aber der Hauptact, das Elektro-Fun-Punk-Trio Grossstadtgeflüster aus Berlin, steht in den Startlöchern und bringt heute denen, die das mögen, einen großen Elektrospaß ins Zelt. Die ersten drei Stücke lang freue ich mich mit ihnen und tanze sogar, dann wird es mir zu eintönig und zu melodiös. Elektro mag ich lieber härter und ohne viel Gedöns – wie zu viel Gesang. Also Elektro-Punk ohne Fun. Wobei die Stimme der Sängerin toll ist. Erinnert mich an Ideal und Wir sind Helden und ein wenig Claire Waldoff steckt auch mit drin.
Das Programm des Theaterfestivals hat für jeden was im Gepäck, Grossstadtgeflüster ist halt nicht meins, aber haben mehr als genug Liebhaber und mich brauchen sie ja nicht.
HELMUT SCHLEICH, 03.08.2019
Zum Abschluss dieser schönen Festival-Tage wird es noch mal lustig. Der bayrische Kabarettist Helmut Schleich nimmt Politiker, seine und unsere Befindlichkeiten und Glaubenssätze, Bayern und Berliner aufs Korn. Das ist zunächst nicht ungewöhnlich, aber durch seine Mimik und Körpersprache wird es irre komisch. Und er versucht, uns den bairischen Konjunktiv beizubringen. Also gehört haben wir den jetzt mal, aber merken wird sich den keiner.
Nach diesen 9 Tagen voll Kunst und Kultur bin ich erschöpft und ein wenig reizüberflutet, aber glücklich. Nächstes Jahr nehme ich auf alle Fälle frei und zelte hier. Und wenn der Jodel-Workshop wieder angeboten wird, bin ich dabei!
Isny Tourismus hat uns dankenswerterweise Fotos von Matthias Hagmann und Simon Graf überlassen, die so unverhofft Gastfotografen für den Gig-Blog wurden.