PATTI SMITH, 22.07.2015, Zeltspektakel, Winterbach

Patti Smith

Foto: X-tof Hoyer

Unter kreischenden Feedbacks zerreißt Patti Smith, die vor kurzem noch dem Dalai Lama auf der Bühne des Glastonbury Festivals persönlich zum Geburtstag gratulierte, mit wütender Miene die Saiten ihrer Gitarre. Trotzdem: „I hope I die before I get old“, die prominenteste Zeile aus Pete Townshends mit Anfang 20 geschriebenen The-Who-Klassiker lässt Patti Smith aus. Viel zu wichtig war es ihr in den 90 Minuten zuvor, verstorbenen Freunden zu gedenken, die Schattenseiten des Lebens zu beleuchten.

Nichtsdestoweniger ist die fulminante Interpretation von „My Generation“ das würdige Ende eines denkwürdigen Konzerts, das der Vergänglichkeit wie der Schönheit des Lebens gleichermaßen huldigt und die friedensstiftende Kraft der Rockmusik beschwört:„Break it up“ („Written in memory of Jim Morrison“) oder „Elegy“, das sie nach dem Tode Jimi Hendrix schrieb, sind passende Beispiele. Letzteres widmet Smith den verstorbenen Freunden der Zuhörer und den Verlusten in ihrem eigenen Umfeld, denen sie mit namentlicher Nennung unter Applaus gedenkt; darunter New-York-Dolls-Legende Arthur Kane, die Ramones, Joe Strummer, Robert Mapplethorpe, ihr Ehemann Fred „Sonic“ Smith und Lou Reed. Zusätzlich widmet sie Fred „Sonic“ Smith, ihrem „boyfriend in 1976 who became my eternal boyfriend“, ihren größten Single-Hit „Because the Night“, während sich ihre Band vor Lou Reed und seiner legendären Gruppe The Velvet Underground mit einem Medley aus „Rock & Roll“ „Waiting For The Man“ („26 Deutschmark in my hand“) und „White Light/White Heat“ zum 50. Bandjubiläum verneigt.

Um das 40. Jubiläum ihres eigenen, wegweisenden Debütalbums „Horses“ angemessen zu feiern, ist die 68-jährige, als Godmother of Punk rezipierte Ikone aus New York auf großer Tour, die sie auch zum 9. Winterbacher Zeltspektakel in die schwäbische Provinz verschlägt.

Patti Smith

Foto: X-tof Hoyer

Dass Smith nach ihrem gefeierten Konzert auf der Freilichtbühne im Killesbergpark im vergangenen August binnen einen Jahres erneut im Stuttgarter Großraum auftritt, ist ein echter Glücksfall. Denn schon die Ankündigung als „Patti Smith and Band performing ‚Horses’“ lässt Großes erwarten. Und tatsächlich: Die Präsentation von „Horses“ in voller Länge ist schlichtweg grandios. Winkend betritt Smith die Bühne. „Gloria“ entwaffnet auch den skeptischen Teil der Zuschauer. „Jesus died for somebody’s sins but not mine“ schreit Smith in ihrer unnachahmlichen Art, spuckt kräftig aus, der Refrain bricht über das Publikum herein und zu gereckten Fäusten werden Buchstaben skandiert:

G-L-O-R-I-A

Die Menge tobt und das zurecht. Die acht Songs von „Horses“ sind zeitlose Perlen der Popmusik, die in ihrer ursprünglichen Reihenfolge besonders gut zur Geltung kommen. Smith stampft auf, lässt ihre Stiefel auf den Bühnenboden knallen, spuckt wieder aus, blickt burschikos in die Menge. Ohne Atempause folgt der Reggae „Redondo Beach“, vor dem jazzigen „Birdland“. Erwartungsgemäß ist das avantgardistische Stück zwischen Spoken Word Poetry und betörendem Pop ein großes Highlight früh im Konzert. Der Übergang zum ruhig beginnenden, punkig ausufernden „Free Money“ ist brillant. „This was the A-Side of ‚Horses’“ erklärt Smith, nun sei es an der Zeit die Platte umzudrehen, die Nadel erneut aufzusetzen und die nächste Seite zu spielen. Mit „Kimberly“, dem wahrscheinlich unpopulärsten Song des Albums, geht es weiter. „Land/Gloria“ als fantastisches Stück Protopunk steht zwischen erwähntem Jim-Morrison-Tribute und „Elegie“ und ist kraftvoller Höhepunkt der B-Seite wie besonders starker Moment des Konzerts.

Patti Smith

Foto: X-tof Hoyer

Smith und ihre großartigen Mitmusiker Lenny Kaye (Gitarre), Jay Dee Daugherty (Schlagzeug), Tony Shanahan (Bass und Keyboards) sowie Jack Petruzzeli (Gitarre, Bass und Keyboards) wissen zu überzeugen. So kann eine brachiale Version von „Beneath the Southern Cross“, angekündigt als Hymne auf das Leben, qualitativ locker an „Horses“ anschließen. Für erwähntes Velvet-Underground-Medley, bei dem sich Kaye („Waiting For the Man“), Shanahan („Rock & Roll“) und Petruzzeli („White Light/White Heat“) die Leadvocals teilen, verlässt Smith zunächst die Bühne. Nach wenigen Minuten kehrt sie zurück, winkt und tanzt ausgelassen, bevor sie ihren Überhit („Because the Night“) und die Agitprop-Hymne in John-Lennon-Tradition „People Have the Power“ zur Verzückung des Publikums ausgezeichnet kredenzt.

Dann noch „My Generation“, stürmischer als es Townshend/Daltrey Anno 2015 bringen könnten. Wut im Gesicht, die von einem einnehmenden Strahlen abgelöst wird. Smith verneigt sich, nimmt Lenny Kaye und den Rest ihrer Band in den Arm, winkt euphorisch, verneigt sich erneut. Weiße Rosenblüten werden ins Publikum geworfen. Das würdige Ende einer Ode aufs Leben, die obschon inklusive Esoterik und Agitprop daherkommt, doch immer entscheidend dominiert ist von Smiths einnehmendem Charisma und ihrem ehrlichen Glauben an die Liebe und das Gute im Menschen, den sie mit ihrem Freund, dem Dalai Lama teilt.

Patti Smith

Foto: X-tof Hoyer

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