ZAUBER DER MODERNE, 04.05.2019, Künstlerhaus, Stuttgart

ZAUBER DER MODERNE, 04.05.2019, Künstlerhaus, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

Das Thema „Musik von alten Männern für alte Männer“ scheint mich zu verfolgen. Gestern noch im Kunstgebäude spielte Der Plan, eine in Ehren ergraute Band-Legende, vor einem Haufen vornehmlich älterer Semester. Heute bin ich im Künstlerhaus beim Festival „Zauber der Moderne“ und mit F.S.K. und Vic Godard & the Subway Sect stehen wieder zwei Bands auf der Bühne, die Kult-Status genießen und deren Mitglieder deutlich im sechsten Lebensjahrzehnt angekommen sind. (Nur der Schotte Alasdair Roberts vertritt mit seinen 42 Jahren die musikalische „Jugend“.) Nicht die einzige Parallele zwischen den beiden Events übrigens: Beide Male bewegen wir uns im künstlerischen Umfeld, an Orten, die normalerweise keine Konzerte bieten, und beide Bookings wurden von lokalen Musik-Auskennern vorgenommen. Was Michael Paukner, den musikalischen Kurator des „Zauber der Moderne“ zur Auswahl der Bands bewegt hat, erklärt er in unserem Q&A.

ZAUBER DER MODERNE, 04.05.2019, Künstlerhaus, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

Wir sind jedenfalls neugierig auf das Künstlerhaus, das das dreitägige Festival auf zwei Floors verteilt hat. Im zweiten Geschoss befindet sich ein Salon mit Büffet und einer Kinobox. Nachahmenswerte Idee: das Essen ist im Festivalpreis enthalten. Im vierten Geschoss wurde ein kompletter Club aufgebaut, mit einem sehenswerten Kunstwerk als Backdrop, mit komplettem Licht und Ton und vor allem: Moritz Finkbeiners Bar, die uns schon in vielen Umgebungen (bis hin zum Staatstheater) bestens versorgt hat. Die Veranstaltung ist streng begrenzt auf 200 Besucher und so fühlt es sich in dem üppigen Raum angenehm luftig an. Aus Rücksicht auf die Nachbarn, die bereits am Vorabend die Polizei vorbei geschickt haben, wird das Line-Up so gestaltet, dass die lauteren Acts beginnen dürfen.

ZAUBER DER MODERNE, 04.05.2019, Künstlerhaus, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

Schon irgendwie kurios, dass an diesem Abend F.S.K. zeitgleich mit Der Plan auf einer Bühne in Stuttgart stehen (zweitere im Moment nochmal im Kunstgebäude), ein Zusammentreffen, dass es so auch 1981 hätte geben können. Zu einem Zeitpunkt, als ein Teil anwesenden Publikums noch nicht einmal geboren war. (Erfreulicherweise hat das Künstlerhaus – oder ist es Moritz‘ Bar? – nämlich auch ein junges Künstlerpublikum angezogen). Die Band um den Autor Thomas Meinecke eröffnet den Abend mit „Fragen der Philosophie“.

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Foto: Steffen Schmid

Bassistin Michaela Melián übernimmt den ersten Gesangspart und setzt den Duktus für den größten Teil des Abends: gehobene Gesangskunst werden wir hier nicht geboten bekommen. Wird bei dieser Art von Musik aber auch gar nicht erwartet. Dafür aber ein buntes Spektrum von Easy-Lounge-Beats („Odenwald“) über NDW („Was kostet die Welt“) bis hin zu Knorrigem à la Velvet Underground. Meineckes Ansprache ist sympathisch und unaufgeregt, technische Probleme werden weg gelächelt, und mit einem Set von 12 Titeln deckt F.S.K. einen guten Teil des üppigen Œuvres ab, wobei das 2012er-Album „Akt, eine Treppe herabsteigend“ besonders gut vertreten ist.

ZAUBER DER MODERNE, 04.05.2019, Künstlerhaus, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

Der von den anwesenden Fans mit der größten Spannung erwartete Auftritt ist sicher der des Punk-Urgesteins Vic Godard & the Subway Sect. Der sperrige Brite genießt unter Musik-Connaisseuren große Verehrung, auch wegen seiner kompromisslosen Anti-Rock-n-Roll-Attitüde. Im Laufe der Jahrzehnte soll er wohl manche stilistische Neuausrichtung vollzogen haben, was er und seine Band heute aber hier präsentieren, wirkt für mich – der ich die Details nicht kenne – ziemlich aus einem Guss. Von relativ straightem Rock bis zu (eher rockmäßig gespieltem) Northern Soul erstreckt sich das Spektrum, die Band auf allen Positionen mit (optisch sehr britisch wirkenden) Routiniers besetzt.

ZAUBER DER MODERNE, 04.05.2019, Künstlerhaus, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

Natürlich bekommt der mit ähnlichem Kult-Status versehene Band-Kollege Johnny Britton auch seinen Auftritt, zum Beispiel bei „Happy Go Lucky Girls“. Und auch Titel von Godards aktuellen Albums „Mums‘ Revenge“ finden sich im üppigen Programm mit insgesamt 16 Titeln. Mich kann der Brite trotzdem nicht komplett mitnehmen, zu sehr stört mich auf die Dauer seine gewöhnungsbedürftige Singstimme.

ZAUBER DER MODERNE, 04.05.2019, Künstlerhaus, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

Nach diesem üppigen und lautstarken Auftritt kommt dem Singer-Songwriter Alasdair Roberts eine nahezu unmögliche Aufgabe zu: Er soll sein Solo-Set, allein mit einer Akustik-Gitarre versehen, vor einer komplett aufgekratzten, lautstark palavernden Meute präsentieren und diese wieder runterbringen. So zumindest der Plan des Veranstalters, denn – wie zu erwarten – hat die Polizei bereits wieder eine Aufwartung gemacht. Und als ich den schüchtern wirkenden Schotten auf seinem Stuhl auf der Bühne sehe, kommen mir große Zweifel, ob dies gelingen kann.

ZAUBER DER MODERNE, 04.05.2019, Künstlerhaus, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

Und tatsächlich, es gelingt! Ob es letztlich seine wunderschönen, keltisch angehauchten Melodien, sein virtuoses Gitarrenspiel oder seine markante Singstimme mit dem charmanten schottischen Akzent ausmachen – er schafft es jedenfalls, das Publikum in seinen Bann zu ziehen. Zuerst ein paar wenige, die sich zu seinen Füßen vor die Bühne setzen, dann immer mehr, bis zum Schluss tatsächlich Ruhe im gesamten Saal ist. Sogar Johnny Britton setzt sich an den Bühnenrand und lauscht dem intensiven Vortrag von Roberts. In kurzen, humorvollen Zwischenansagen erfahren wir, dass er in Geißlingen an der Steige geboren sei und dass er in Glasgow auch Freunde habe, auch wenn es jetzt hier und jetzt vielleicht nicht danach aussehe. Und als er dann eine irische Weise a cappella zum Besten gibt, ist das ein magischer Moment an diesem Abend der musikalischen Gegensätze. Und Alasdair Roberts ist für mich der heimliche Held des Abends.

F.S.K.

Vic Godard & The Subway Sect

Alasdair Roberts

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